Hamburg. Star des Elbphilharmonie-Konzerts war Pianist Lang Lang, aber Mirga Gražinyte-Tyla setzte mit der Staatskapelle Dresden eigene Akzente.
Natürlich war er der Publikumsmagnet, die ganz große Touristenattraktion dieses Programms: Nachdem Lang Lang Ravels G-Dur Konzert und die Zugabe, Debussys „Clair de lune“ auf langlangtypische Weise gespielt hatte, hielt es einige deswegen auch nicht mehr für den „Rest“ des Abends auf ihren Elbphilharmonie-Sitzen. Ziemlich großer Fehler, diese Haltung.
Christian Thielemann hatte ausgerechnet seine Abschieds-Tournee vom Chefposten der Staatskapelle Dresden krankheitsbedingt absagen müssen, die kurzfristige Einspringerin Mirga Gražinytė-Tyla war ein nicht ganz so prominenter, musikalisch und charismatisch aber deutlich interessanterer Ersatz.
Thielemann-Ersatz mehr als Sättigungsbeilage für Superstar Lang Lang
Während Thielemann ein ausgesprochener Bauch-Dirigent sein kann, so effektstark wie zielsicher auf Gefühlsmaximierung ausgerichtet, wo immer es die Partitur ihm erlauben könnte, behält die Litauerin gern einen etwas cooleren Kopf, um ganz andere Wirkungen zu erzielen. Ihre Sichtweise auf die impressionistischen Meisterwerke von Debussy und Ravel hatten viel von der Tiefenschärfe, mit der ein Pierre Boulez vom Pult aus diese Musik analytisch erklären konnte, ohne sie ihrer sanften Magie zu berauben.
Weil das Dresdner Orchester mühelos exzellent genug ist, um sich geschmeidig darauf einzulassen, waren die virtuosenlosen Stücke dieses Abends angenehm überzeugend und nicht nur überwältigend schön. Und erst recht nicht lediglich mitnehmbare Sättigungsbeilagen rund um den bejubelten Superstar Lang Lang herum.
- Elbphilharmonie – Lang Lang vor Konzert: „Ein Rockstar will ich nicht sein“
- Elbphilharmonie: Lang Langs Beethoven – immer wieder von allem zu viel
- Elbphilharmonie: Lang Lang kann also auch Chopin – und wie er das kann
Lang Lang in der Elbphilharmonie: Übersüßung in Superzeitlupe
Der reizte seinen Part im Ravel bis zum Anschlag aus: Die jazzigen Akzente kullerte er mit großem Aplomb und chronischem Überdruck aus dem Flügel heraus, als ob er so partout sicherstellen wollte, dass ja niemand diese Pointen überhören könnte. Aus der – zugegebenermaßen wunderschönen – Melodielinie im langsamen Satz machte Lang Lang einen einzigen, weit gedehnten Seufzer; Übersüßung in Superzeitlupe, hinter der der Rest dieses Adagios, insbesondere die klangschön ausgekosteten Bläser-Soli, nur verblassen konnten.
Im Schlusssatz ging es dann wieder tief hinein ins Exaltierte, deutlicher als notwendig. Auch das Mondlicht in Debussys Nacht-Stückchen, das von Lang Lang hauchzart nachgezeichnet wurde, schwebte sehr, sehr, wirklich sehr langsam durch den Großen Saal. Schon wirklich schön, dieses noble Dahintupfen, aber auch: extrem auf Zeit gespielt.
Mit Ravels „Ma mère l’oye“ hatte Gražinytė-Tyla den Abend dezent begonnen. Die Kinderbilderbuch-Stückchen organisierte sie mit fast minimalistischen Gesten. Nach der Pause, mit Debussys opulent aufschäumendem Klangwellen-Gemälde „La Mer“ und mehr noch in Ravels 2. „Daphnis et Chloé“-Suite zeigte sie, was in dieser Musik steckt, wenn man Details durch kluges Zoomen in die Struktur herausholen kann.
Diese Klangfarbenpracht gab reichlich Material zum Schwelgen, war für diese Dirigentin aber kein Grund, sich besinnungslos darin zu verlieren. Die wunderbar diffusen Klangeffekt-Wölkchen, mit denen diese Ballettmusik beginnt, als würde sich Morgennebel verziehen, hätten womöglich noch etwas ekstatischer verströmt werden dürfen. Doch Gražinytė-Tylas Perfektionswille trieb das Bachanal im dritten Abschnitt danach zu einem aufreizend sinnlichen, glasklar funkelnden Höhepunkt.
CDs: Lang Lang „Saint-Saëns“ Gewandhausorchester Leipzig, Andris Nelsons (Dirigent), Gina Alice (Klavier) (DG, 2 CDs ca. 25 Euro/2 LPs ca. 44 Euro). „The British Project“Mirga Gražinytė-Tyla, City of Birmingham Symphony Orchestra. Musik von Elgar, Britten, Walton und Vaughan Williams (DG, CD ca. 17 Euro).