Hamburg. Mit Caroline Peters und Martin Wuttke in „Gefährliche Liebschaften“ begann das 16. Hamburger Theater Festival. Was auf St. Pauli fehlte.

Draußen vor der Tür des St. Pauli Theaters tobt der Schlagermove-Irrsinn. Durch dieses Fegefeuer des Frohsinns muss man sich erst einmal durchkämpfen zur Theatermeile am Spielbudenplatz. Als sich der Vorhang im St. Pauli Theater hebt, eröffnet er den Blick auf einen langen silbrigen Glitzervorhang, der sicher auch bei den Schlagerfans Gefallen gefunden hätte, und ein rotes Plüschsofa.

Von links nähert sich Caroline Peters als Marquise de Merteuil im ausladenden flamingofarbenen Rokoko-Kleid, mit hochtoupiertem Haar und sehr viel Schmuck (Kostüme: Tabea Braun). Von rechts kommt Martin Wuttke als Vicomte de Valmont dazu. Wie ein abgehalfterter Fluch-der-Karibik-Pirat sieht er aus mit silberner Langhaarperücke, das offene Hemd legt ein Tattoo frei, um den Hals schwingen mehrere lange Ketten. Zwei obszön reiche Hochadelige aus der Zeit vor der Französischen Revolution, die sich schon bald in einem Briefe-Schlagabtausch mit großer Bosheit und dämonischer Durchtriebenheit duellieren.

Hamburger Theater Festival: Ein Briefroman, zwei TV-Stars – kaum mehr als eine Skizze

Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos‘ Briefromanklassiker „Gefährliche Liebschaften“ von 1782 hat zahlreiche Theater- und Filmemacher inspiriert. Regisseur Jan Bosse hat den Stoff zur Eröffnung des 16. Hamburger Theater Festivals in einer geradlinigen Bühnenfassung John von Düffels herausgebracht. Die Koproduktion mit dem Wiener Burgtheater ist ein Ausbau des Formats Leseprobe. Und ja, sie ist kaum mehr als eine ausgearbeitete Skizze ohne wirkliches Regie-Konzept, auch ohne Überprüfung auf zeitgenössische Dringlichkeit.

Der Reiz liegt überwiegend darin, dass mit Caroline Peters und Martin Wuttke, flankiert von der Musikerin Carolina Bigge, zwei Hochkaräter ihres Fachs aufeinandertreffen, aus deren Sätzen bald komödiantische Funken sprühen. Man vergisst mitunter, dass sie die ganze Zeit einen Stoß Manuskripte in der Hand halten. Wuttke wird zum züngelnden Verführungskünstler, Caroline Peters gelingt mit dem Papier in der Hand eine höchst facettenreiche Darstellungskunst.

Verkündet die Marquise ihre Winkelzüge, blickt Wuttkes Vicomte de Valmont meist starr

Das Vergnügen an diesem Duell liegt darin, dem jeweils anderen bei seinem Mienenspiel zuzuschauen, während ein neuer Brief – im Originaltext sind es 175 – vorgetragen wird. Caroline Peters verschließt streng ihre Lippen und verzieht das Gesicht, als der Vicomte ihr eröffnet, dass er sich tatsächlich ernsthaft in die tugendhafte – und verheiratete – Madame de Tourvel verliebt hat, deren Entehrung doch Gegenstand einer lustvollen Intrige sein sollte. Doch die wahren Gefühle des Frauenverbrauchers drohen, das so geliebte zynische Spiel mit der Marquise zu gefährden. Mit breitem, ebenfalls sehr verführerischem Lächeln verspricht die Marquise dem Vicomte eine Liebesnacht – für die er Madame de Tourvel erst erobern und dann betrügen soll. Man muss dazu wissen, dass die beiden obsessiven Briefeschreiber einander zuvor in einer Affäre verbunden waren, die in diese bösartige Freundschaft mündete.

Die Intrige zieht bald eine weitere nach sich: Die Marquise will sich an einem ehemaligen Liebhaber rächen, der die junge, unschuldige Cécile de Volanges ehelichen will. Wenn die Marquise ihre neuen Winkelzüge verkündet, blickt Martin Wuttkes Vicomte de Valmont meist starr geradeaus, zieht an einer Zigarette oder ascht in einen großen Eimer. Spricht er selbst, wird er auch mal laut und heftig.

An mancher Stelle hätte man sich Heiner Müllers Stoffadaption „Quartett“ gewünscht

So gekonnt das Spiel der Kontrahenten ist, irgendwann kreist der Text um sich selbst, lässt einen Zeitbezug vermissen. Valmont stößt die geliebte Madame de Tourvel vor den Kopf, verschafft sich mit Gewalt Zugang zur gerade mal 15-jährigen Cécile. Dass diese Szene ohne jeden Bruch gelesen wird, ist schwer auszuhalten, da wäre die Regie gefragt.

Der Vicomte de Valmont fordert die mit der Marquise verabredete Belohnung ein: die gemeinsame Liebesnacht. Doch die Marquise zaudert und zetert. Das Stück endet mit der Kriegserklärung der zu Gegnern gewandelten Spielpartner, die damit zugleich ihrer beider Untergang besiegeln.

An mancher Stelle hätte man sich dieses Duo gleich in Heiner Müllers Stoffadaption „Quartett“ (1980) gewünscht, die das Zwei-Personen-Duell um Sprache und Sex so präzise auf eine dystopische Düsternis zugespitzt hat. Am Bühnenrand zaubert gleichsam als dritte Mitspielerin Carolina Bigge an der E-Gitarre zarte, wenn auch sich auch meist wiederholende Blues-Melodien.

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Caroline Peters hat einen starken Monolog, in dem ihre Marquise de Merteuil erklärt, wie sie – früh verwitwet – sich als amoralische Machtspielerin selbst neu erfunden hat. „Es gibt über jeden Menschen einen Satz, der ihn zerstört. Wenn man den weiß, dann hat man Macht über sein Schicksal“, sagt sie. Ein Satz, der auch auf die Machtspiele der Politik zutreffen könnte. Diese „Gefährlichen Liebschaften“ breiten den ewigen Geschlechterkampf mit zwei Spielenden in Hochform aus – und erzählen zugleich von einer amoralischen Gesellschaft, zu der man doch gern mehr Gegenwart gesehen hätte.

Hamburger Theater Festival bis 24.6., diverse Theater, Programm und Karten unter www.hamburgertheaterfestival.de