Hamburg. Die Symphoniker Hamburg erwecken zwei Slapstick-starke Stummfilme des Filmgenies zum Leben. Sind die wirklich schon 100 Jahre alt?
So richtig Freude macht das Stummfilm-Gucken ja nur mit Ton. Wenn sich zur Untermalung eines Schwarz-weiß-Klassikers dann auch noch rund vier Dutzend Profis an Streich- und Blas- und Schlaginstrument einfinden, kann kaum noch etwas schiefgehen. Beim Filmkonzert „Charlie Chaplin“ der Symphoniker Hamburg in der Laeiszhalle kamen am Donnerstag daher alle auf ihre Kosten – Filmfans, Musikliebhaber und alle dazwischen und außerhalb.
Charlie Chaplin in der Laeiszhalle: „Pay Day“ für Filmfans und Musikliebhaber
Chaplins Filme sind für gewöhnlich kurz, das Laeiszhallen-Publikum kam daher in den Genuss gleich zweier seiner Komödien: der 26-minütigen „Pay Day“ und der 50-minütigen „The Pilgrim“, beide im Jahr 1922 abgedreht und, klar, mit Chaplin in seiner Paraderolle des „Tramps“ samt Zahnbürstenbart und Melone. Beide Filme haben jüngst eine 4K-Restauration erfahren.
Während der Regisseur in „Pay Day“ den Blick auf die Lebenswelt im städtischen Amerika der 1920er-Jahre – und zwar einmal nicht aus glamouröser Gatsby-, sondern alltäglicher Arbeiterperspektive – richtet, schlüpft in „The Pilgrim“ ein Sträfling in die Kleidung und damit Rolle eines kleinstädtischen Pfarrers. Die Satire, die auch die Religion aufs Korn nimmt, löste bei Erscheinen ganz schön Empörung aus. In einigen US-Bundesstaaten wurde sie zensiert, in Pennsylvania gar verboten.
Paraderolle Landstreicher – hier ist immer was los
Was beide Filme gemeinsam haben: Da landstreichert einer herum und macht in jener Chaplin-Manier, dank der der Filmemacher noch heute im kollektiven Bewusstsein präsent ist, am laufenden Band Faxen. Quasi sekündlich fällt etwas oder jemand, geht ein Ding zu Bruch, rutscht wer aus, veräppelt einer den anderen absichtlich oder blamiert ihn versehentlich. In jedem Fall wird dabei in stark übertriebener Weise gestikuliert. Für das Orchester unter der Leitung von Stefanos Tsialis natürlich ein Glücksfall. Hier ist immer was los, wird immer ein Tusch benötigt oder zumindest ein Triangelschlag.
Die musikalische Untermalung zu den mehr als 100 Jahre alten Werken mussten sich die Symphoniker im Übrigen nicht selbst einfallen lassen. Universalgenie Chaplin – der nicht nur Schauspieler, Komiker und Filmemacher, sondern auch Filmkomponist war – hatte die Musik zu „Pay Day“ und „The Pilgrim“ in den 1970er-Jahren beziehungsweise 1959 geschrieben. Die zeitliche Differenz zwischen der Enstehung der Filme und der Kompositionen ist unüberhörbar, erleichtert es aber, das Gesehene etwas gegenwärtiger zu interpretieren.
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Laeiszhalle: So hundertjährig wirkt Chaplins Chuzpe gar nicht
Bei genauerer Überlegung fällt nämlich auf: So hundertjährig wirkt das, was hier gezeigt wird, eigentlich gar nicht. Jedenfalls lacht noch immer der ganze Saal, wenn Chaplins Tramp es nicht in die überfüllte Straßenbahn schafft, wenn er sich mit einer guten Portion Chuzpe der Autorität seines Bosses erwehrt und allerlei weitere kleine Hürden des Alltags so unkonventionell und Slapstick-haft wie möglich nimmt.
Dass die beiden Werke auch nach so langer Zeit – trotz grober Körnung und fehlender Dialoge – noch immer begeistern, liegt vielleicht an der universellen Verständlichkeit des Films. Oder daran, dass sich in 100 Jahren zwar viel verändern mag, aber das Wesen des Menschen gar nicht so sehr. Oder daran, dass Charlie Chaplin ein bislang unerreichter Meister seines Fachs war. Suchen Sie sich etwas aus.