Hamburg. Das muss man gehört haben: Der erst 25 Jahre alte Bruce Liu gab sein Solo-Recital-Debüt in Hamburg. Nach der Zugabe gab es kein Halten.

Er war der Star und bravouröser Sieger des letzten Chopin-Wettbewerbs 2021 in Warschau: Bruce Liu, Kanadier mit chinesischen Wurzeln, 26 Jahre jung. Im Finale war der Schlussakkord noch nicht erklungen, da sprang der ganze Saal von den Sitzen auf und geriet aus dem Häuschen. Zu Recht. Genauso war es jetzt bei Bruce Lius Solo-Recital-Debüt in der Pro-Arte-Reihe „Die Meisterpianisten“. Die Laeiszhalle kochte vor Begeisterung.

Schon zur Pause wurde Liu mehrfach wieder aufs Podium geklatscht, und am Schluss nach der dritten Zugabe mit Liszts halsbrecherischem „La Campanella“ gab es kein Halten mehr. Kein Wunder, dass das Traditionslabel Deutsche Grammophon den Jung-Star unter Vertrag genommen hat.

Bruce Liu: Den muss man gehört haben

Klar, atemberaubende Technik reißt jeden vom Stuhl, aber die ist es eben nicht allein, was diesen Ausnahme-Künstler charakterisiert. Zum Beispiel war sein Hamburger Programm dramaturgisch abwechslungsreich gestaltet und keineswegs auf reißerische Stücke ausgerichtet. Wenn ein Super-Virtuose einen Klavierabend mit einem über 20-minütigen Block von Stücken des selten gespielten (französischen Bach-Zeitgenossen) Jean-Philippe Rameau beginnt, dann heißt das, dass ihm Gestaltung wichtiger als Show ist. Die Cembalo-Stücke auf dem Klavier wirken zu lassen, ist nämlich gar nicht so einfach. Übrigens spielt auch Lius großer Kollege Grigory Sokolov immer wieder Rameau!

Bruce Liu in der Laeiszhalle: Schon zur Pause wurde der junge Pianist in Hamburg mehrfach wieder aufs Podium geklatscht.
Bruce Liu in der Laeiszhalle: Schon zur Pause wurde der junge Pianist in Hamburg mehrfach wieder aufs Podium geklatscht. © Sebastian Madej | Sebastian Madej

Liu faszinierte von der ersten Sekunde an bei dem mediativen „Les teindres plaintes“ (Zärtliche Klagen), zeigte glasklare Artikulation, Struktur und Energie bei „Die Zyklopen“ oder „Les sauvages“ (Die Wilden).

Pendant zum französischen Auftakt war im zweiten Konzertteil Ravels intergalaktisch schwerer Zyklus „Miroirs“. Wie nobel und ruhig, mit welchem feinen Klangsinn Liu die fünf Stücke durchdrungen und präsentiert hat, wie er im eigentlich unspielbaren „Alborada del gracioso“ die Rhythmen klar herausmodellierte, wie er aber auch Ravels geniale Akkord-Mixturen magisch schillern ließ - etwa bei „Oiseaux tristes“ (Traurige Vögel) oder „La Vallée des chloches“ (Tal der Glocken) – das muss man gehört haben.

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Und den Atem hielt man auch an bei den Bearbeitungen von Themen aus Mozarts Don Giovanni, die Liu jeweils zum Abschluss jeder Konzert-Hälfte bot: vor der Pause Chopins Variationen über „La ci darem la mano“ (Reich mir die Hand, mein Leben), am Schluss Liszts „Reminiscences de Don Juan“. Diese abenteuerliche Klavier-Akrobatik so mühelos, so zupackend und elegant zu servieren, hört man nicht alle Tage.