Hamburg. Der Elektro-Pionier hat für den Stummfilm „Das Cabinet des Dr. Caligari“ neue Musik komponiert. Im Juni ist sie beim SHMF zu erleben.

„Das Cabinet des Dr. Caligari“, 1920 uraufgeführt, gilt als eines der bedeutendsten Werke des Stummfilms. Ein expressionistisches Meisterwerk; ein surreales Spiel aus Wahn und Traum, mit Hirngespinsten und Schlafwandelei und verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen. „Eigentlich ist die Geschichte ein Theaterstück. Regisseur Robert Wiene wollte eigentlich keinen Stummfilm drehen, aber er hatte keine andere Wahl, denn es war damals noch nicht möglich, eine Tonspur auf das Celluloid des Films zu bekommen“, sagt Karl Bartos. Der Musiker und Komponist, von 1975 bis 1991 Mitglied der Elektro-Pioniere Kraftwerk, hat zusammen mit seinem Partner Mathias Black eine neue Tonversion für den Filmklassiker kreiert.

„Wir haben uns zur Aufgabe gestellt, Sound-Design und erzählende Filmmusik zu schaffen“, sagt er bei einer Vorabaufführung des Films im Hamburger Metropolis-Kino. Seine Uraufführung erlebt diese Neufassung am 17. Februar in der Alten Oper in Frankfurt. Am 5. und 6. Juni wird „Das Cabinet des Dr. Caligari“ im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) in der Hamburger Laeiszhalle gezeigt: als Liveaufführung mit Bartos und Black.

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„Caligari“: Die Musik der Uraufführung von 1920 ist verschollen

Bei der Uraufführung 1920 im Berliner Filmtheater Marmorhaus spielte ein Orchester Musik des Komponisten Guiseppe Becce, die jedoch verschollen ist. In den vergangenen Jahrzehnten hat es immer wieder musikalische Kreationen gegeben. Der Komponist Peter Michael Hamel schrieb 1983 für eine ZDF-Fassung Begleitmusik, der New Yorker Avantgardist John Zorn komponierte 2014 für die digital restaurierte Fassung, 2021 gab es eine weitere Neuvertonung durch den US-Komponisten Jeff Beal für das Bundesjazzorchester. Doch niemand ist bisher so weit gegangen wie der jetzt in Rissen lebende und arbeitende Bartos.

Er hat nicht nur Filmmusik komponiert, sondern eine komplette Geräuschebene geschaffen. Türen quietschen, Schritte sind ebenso zu hören wie Jahrmarktmusik, selbst Stimmengewirr lässt sich im Hintergrund ausmachen. „Im Stummfilm sind Dialoge eigentlich ein Tabu. Ich habe mich darüber hinweggesetzt. Damals am Set in Weißensee herrschte ein Höllenlärm, wie ein Journalist beschrieben hat, der damals dabei war. Diese Geräusche wollte ich wieder hörbar machen“, sagt Bartos. Was jedoch nicht bedeutet, dass „Caligari“ plötzlich zum Tonfilm mutiert, Bartos schneidert den Bildern ein neues Klanggewand.

Karl Bartos, geboren 1952 in Marktschellenberg (Bayern), war von 1975 bis 1991 Mitglied der stilbildenden Elektro-Avantgarde-Band Kraftwerk. Seit mehr als 25 Jahren lebt er in Hamburg.
Karl Bartos, geboren 1952 in Marktschellenberg (Bayern), war von 1975 bis 1991 Mitglied der stilbildenden Elektro-Avantgarde-Band Kraftwerk. Seit mehr als 25 Jahren lebt er in Hamburg. © Patrick Beerhorst

„Caligari“: Mehr als zwei Jahre arbeiteten Bartos und Black an ihrem Projekt

Komponiert hat Bartos die neue Partitur am Klavier und teilweise auf der Gitarre. Umgesetzt wurden die Notenbilder dann in synthetische Orchesterklänge auf dem Computer. „Ein Orchester hatten wir nicht zur Verfügung, also haben wir es digital transformiert. Die Geräusche aus der erzählenden Welt sind live aus meiner Wohnung. Da habe ich selbst auf Holz geklopft oder mit Papier geraschelt“, beschreibt Bartos das Verfahren. „Die akustische Skulptur entsteht jedoch im Computer.“ Dafür ist der Ingenieur und Produzent Mathias Black verantwortlich. Mehr als zwei Jahre lang haben Bartos und Black sehr kleinteilig gearbeitet, sich immer wieder Soundfiles hin- und hergeschickt, experimentiert und Ideen oft wieder verworfen.

„Wir haben 350 Jahre Musikgeschichte benutzt, von Johann Sebastian Bach über die frühe Romantik und Arnold Schönbergs Dissonanzen bis hin zu Philip Glass‘ Minimalismus mit seinen Wiederholungen“, so Bartos. Herausgekommen ist dabei eine Klanglandschaft, die Robert Wienes Psycho-Thriller akustisch um eine Dimension erweitert und „Das Cabinet des Dr. Caligari“ mehr als 100 Jahre nach seinem Erscheinen zu einem neuen und spannenden Kino-Erlebnis macht.

Karl Bartos: „Das Cabinet des Dr. Caligari“ Mi 5.6., Do 6.6., 19.30, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz, Karten ab 19,- bis 49,-; T. 0431/2370 70; www.shmf.de CD/LP: Karl Bartos: „The Cabinet of Dr. Caligari“ Album (Bureau B) im Handel