Hamburg. Das NDR Elbphilharmonie Orchester mit Anaëlle Tourret und Vasily Petrenko spielte Raritäten von Glière und Prokofiew.

Manchmal kann Musik sehr einfach sein. Hört, oder besser: Bestaunt man das durch und durch, vom ersten Ton an wunderschöne Harfenkonzert von Reinhold Glière (trotz des französelnden Künstlernachnamens ein 1875 in Kiew geborener Komponist), stellt sich die Uhr vom Baujahr 1938 auf etwa 1880 zurück. Zurück in eine Ära reinsten, melodienseligen Schmachtens; in ein Bilderbuch-Russland mit Zarenfamilie, Kerzenlicht und spielsüchtigen Offiziersanwärtern vor dem inneren Auge. Ein echtes, großes, hochinteressantes und lohnendes Bravourstück, um die ansonsten nur stellenweise gefragten solistischen Qualitäten der NDR-Harfenistin Anaëlle Tourret, aus dem Tutti des Spielbetrieb-Alltags herausgelöst, einmal ganz nach vorn ins Rampenlicht zu stellen.

Dass das NDR Elbphilharmonie Orchester diese Rarität in seiner populär gehaltenen „Klassik kompakt“-Reihe zur besten Sonntagskaffeezeit mit Prokofjews anders gefälliger Siebenter kombinierte, war interessant konsequent. Auch dieses Stück entstand in Stalins Sowjetunion, vor allem aber: Auch dieses Stück ist alles andere als gegen den Strich der damals staatlich vorgeschriebenen Ästhetik komponiert. Beide wurden, man kann es nicht anders sagen, sehr reizend, ganz ohne Subtexte abgeliefert, die sie eh nicht bieten wollen.

Elbphilharmonie: Harfenistin Tourret lässt Repertoire-Schatz zum Vorschein kommen

Wie viele funkelnde Akkordbrechungen passen in ein einziges Harfenkonzert? Noch mehr, als man ohnehin vermutet. Doch derart prominent eingesetzt, wurde – für die meisten im Großen Saal womöglich erstmals – klar, welchen Klangreichtum, wie viel Nuancenvielfalt dieses Instrument bietet.

Natürlich ist der größte Teil des anspruchsvollen Soloparts mit einer satt-lieblichen Puderzuckerschicht überzogen, sicher doch folgt ein feiner melodischer Einfall, handwerklich gut inszeniert, dem nächsten, ohne dass großartig mehr damit passiert als genau das. Aber wenn man sich durch diese eher harmlose Oberfläche hindurchhört, kommt ein echter kleiner Repertoire-Schatz zum Vorschein.

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Tourret präsentierte ihn mit großer Hingabe und beeindruckend leicht wirkender Virtuosität. Das NDR-Orchester unter der geschmeidigen Leitung von Vasily Petrenko trug die Solistin rücksichtsvoll und kollegial zurückhaltend durch die drei Sätze.

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In Prokofjews Siebenter arbeitete Petrenko wacker daran, dem Stück Format und Profil zu geben. Das Orchester legte sich ebenfalls ins Zeug, walzerte sich so elegant durch den zweiten Satz, als wäre es immerhin B-Tschaikowsky. Aber wo arg wenig Aufregendes zu holen ist, kann man auch nur wenig mehr als einen freundlichen Achtungserfolg herausholen.

Konzert: Anaëlle Tourret spielt am 5.4. das Boieldieu-Harfenkonzert mit dem Landesjugendorchester Bremen im Großen Saal der Laeiszhalle. Aktuelle Einspielung: „Perspectives“ (Es-Dur, CD ca. 16 Euro)