Hamburg. Brandt gastiert bald mit seinem Max-Frisch-Solo beim Hamburger Theater Festival. Ein Gespräch über seine Rückkehr auf die Bühne.

Vielleicht hat das ja rein gar nichts zu bedeuten. Aber bei einem so sehr auf Details und Genauigkeiten achtenden Schauspieler wie Matthias Brandt? Vielleicht eben doch. Beim Gespräch in seiner Garderobe in der Elbphilharmonie – ein Rezitator-Gastspiel bei Mozart-Konzerten des NDR-Orchesters – stellt Brandt die Kaffeetasse ganz leise und behutsam auf den Unterteller, um nur ja nicht das iPhone beim Aufnehmen und damit den Gesprächsfluss zu stören. Er achtet auf so etwas, ganz eindeutig.

Matthias Brandt ist bald wieder im Thalia Theater

Demnächst ist der aufmerksame Berliner wieder hier, zweimal, dann im Thalia, mit seiner One-Matthias-Brandt-Show „Mein Name sei Gantenbein“, als Gastspiel beim Theater Festival. Ganz klassischer Max Frisch, sehr klassischer Schul-Stoff. Rund 100 Minuten, nur Brandt, dieser Textberg und ein sparsames Bühnenbild. 40 Mal hat Brandt diesen Abend seit Januar 2022 im Berliner Ensemble schon gespielt, die nächsten 40 Male ebenso auszuverkaufen wären sicher auch kein Problem.

„Berlin ist um eine Touristenattraktion reicher“, quengelte die „Spiegel online“-Rezension nach der Premiere. Besonders froh ist Brandt über diese verkürzte Sicht auf seine Arbeit nicht. „Muss ich nicht dringend kommentieren… Durch solche Aussagen wird das Publikum schnell unterschätzt. Die sind ja nicht doof. Ich trete nicht im Katzen-Kostüm auf, das ist auch nicht ,Charlies Tante‘.“

Einen Publikumsliebling als Publikumsmagnet, so etwas hätten gerade viele Bühnen gern

Einen Publikumsliebling als Publikumsmagnet, so etwas hätten gerade viele Bühnen gern. Und nötig, nach rund drei Jahren Corona plus Ukraine-Krieg. „Das als Rezept zu betrachten, würde wohl nicht funktionieren“, findet Brandt. „Aber wenn es dazu dient, Leute wieder ins Theater zu kriegen, dann ist das doch okay.“ Und außerdem: Bekanntheit allein trägt einen ganzen Abend auch nicht. Die Attraktion über Prominenz ist in den ersten zehn Minuten schön und gut, aber „dann bleiben ja noch 90 für mich übrig, die muss ich ja füllen. Sich nur jemand angucken, den die Leute aus dem Kino oder Fernsehen kennen – das reicht ja nicht.“

Ihm gehe es auch gar nicht so sehr um sich, erzählt er. „Auch nach 40 Vorstellungen gehe ich da hin, versuche mich zu nullen und nicht mit Ambitionen zu überladen. Der Text interessiert mich so sehr, dass ich jedes Mal neugierig bin, was er mit mir veranstaltet. Ich zeig euch jetzt mal, was ich kann? Das hat mich nie so wahnsinnig interessiert, das war nie mein Antrieb.“ An guten Abenden – aber ohne das frontal esoterisch klingen zu lassen – laufe der Text so durch ihn durch, „ich bin das Medium“.

Gantenbein war auch für Brandt Schulstoff

Diese Roman-Vertheaterung war Brandts gefeierte Rückkehr ins Theater-Scheinwerferlicht, nach gut zwei Jahrzehnten als wandlungsfähiger Charakter-Vorsteller in etlichen Filmen. Diese Möglichkeit war es auch, die ihn wohl vor allem an der Rolle dieses Gantenbein reizte, der sich – Schulstoff-Zitat! – „Geschichten anzieht wie Kleider“, die eigene ablegend, andere erfindend und ausfüllend.

Nach längerer Zeit, in der der Film- und Fernsehschauspieler dachte, er hätte sich schon zu weit vom Theater entfernt, ergab sich über Brandts Musik-Text-Programme mit dem Pianisten Jens Thomas ein Kontakt zum BE. Hast du nicht Lust, wie wär’s, so was. „Dann zierte ich mich relativ lange, dann ging es um Stoffe.“ Gantenbein war auch für ihn Schulstoff, „ich konnte damit überhaupt nichts anfangen. Ein Desaster, um Spätpubertisten mit dieser Geschichte zu quälen. Aber dann war ich doch sehr angetan und fasziniert von diesem Text.“

Brandts Erklärung für den Erfolg diese Figur in dieser Produktion ist sehr klarsichtig: „Ein sehr guter Autor macht sich Gedanken darüber, dass es das Leben gibt, das wir leben. Und dass es noch ganz viele andere Leben gibt, die wir gleichzeitig auch leben könnten, aber nicht leben. Und davon macht er sich ein Bild. Ein Vorgang, der mich immer schon interessiert und fasziniert hat. In einer Zeit wie dieser, wo sehr viel über Identitäten gesprochen wird, ist besonders interessant, wie jemand Versuchsanordnungen macht.

Ein Gegenentwurf zu der Ansage: Schauspieler dürfen nur noch spielen, was sie selber sind. Da passiert etwas, was meinen Beruf im Kern definiert: aus der eigenen Identität zum Zwecke des Erkenntnisgewinns herauszutreten“, denkt Brandt laut darüber nach. „,Ich stelle mir vor’, das ist ein Satz, der an dem Abend etwa 28 Mal kommt.“ Bei aller Freude am Jetzt: Der nächste Theater-Projekt-Plan ist für Brandt noch eher im Vagen. Auf der Berlinale lief der Film „Roter Himmel“, unvergessen der Silvester-Sketch „Kurzschluss“ mit ihm, Anke Engelke und einem bockigen Geldautomaten in tragenden Rollen. Alles soll ja passen, und Theater „kann ich nicht so nebenbei machen“.

„Die Kamera kann Gedanken lesen“

Seinen Theater-Textliefermuskel hat Brandt jahrzehntelang nicht trainiert; rund 100 Minuten Rolle am Stück lernen und abliefern sollen, ist das wie Fahrradfahren, das verlernt man auch nach 15 „Polizeiruf“-Runden und etlichen Filmen nicht? „Das ist schon Arbeit. Ein Sprung in sehr kaltes Wasser. Aber es ging dann doch schneller, als ich dachte.“

Probebühne, Aufführung. „Manchmal merkt man erst, wie sehr man Dinge vermisst hat, wenn man sie wieder macht.“ Endlich wieder allein vor echtem Publikum statt vor Kameralinsen zu spielen, muss doch wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten sein. „Das sind die angenehmen Seiten. Aber die Skrupel und Ängste potenzieren sich dadurch auch.“ Noch ein Monolog als Nächstes? Eher nicht, „ich würde mich schon sehr auf Kollegen freuen“, feixt Brand, aber nur sanft.

Interessant ist auch, wie er die Berufe Theater und Film unterscheidet und definiert. „Die Kamera kann Gedanken lesen“, erklärt er, „wenn sie von den richtigen Menschen bedient wird. Wenn man präzise denkt, bildet sich das ab. Auf der Bühne bildet sich ein Gedanke nie von alleine ab. Ich muss dafür irgendeine Form der Übersetzung finden, sonst ist der nicht zu sehen. Der Film ist kein Wort-Medium. Film ist ein Bild-Medium, und den Text gibt’s dann auch noch.“

Das Thema Meuffels ist eindeutig erledigt

Geschichten und Figuren wieder ablegen wie der Gantenbein in seinem Solo, das ist kein Problem für Brandt. Eigentlich. Der „Polizeiruf“-Feingeist Hans von Meuffels ist seit 2018 Geschichte. Der Fintech-Unternehmer Magnus A. Cramer, das Premium-Arschloch aus der Netflix-Serie „King of Stonks“, so was von drüber, mit seiner neonweißen Kauleiste im Gesicht. „Das ging eigentlich sehr schnell“, erinnert sich Brandt leise amüsiert an das Wiederrauskommen. „Ich bin keiner dieser Schauspieler, der Gefahr läuft, sich in einer Rolle zu verlieren. Ich weiß schon immer, dass ich das spiele.“

Hin und wieder sanftes Nachdieseln, je nach Rolle, das ja, mehr aber auch nicht. Das Thema Meuffels ist aber eindeutig erledigt. „Für meine Verhältnisse habe ich das ziemlich lange gemacht, obwohl: 15 Filme á 90 Minuten gelten im Spezialfach Fernseh-Krimi ja noch als kurze Amtszeit“, amüsiert sich Brandt beim Zurückdenken daran. Diese Figur gebe es für ihn danach auch noch. Deswegen hätte er es „nicht so gern gehabt, dass er umgebracht worden wäre, um ihn aus dem Weg zu schaffen.“ Nicht, weil damit die Rückkehr schwierig wäre.

  • Das Theater Festival
  • Seit 2009 importiert das Theater Festival einige prominente bzw. prominent besetzte Produktionen aus dem deutschsprachigen Theaterraum an Hamburger Bühnen. Stammgäste sind Häuser wie das Wiener Burgtheater oder das Deutsche Theater Berlin.
  • Das Sortiment 2023 beginnt am 16. Mai mit Schnitzlers „Das weite Land“ im Schauspielhaus. Es folgen u. a. Bernhards „Theatermacher“, Jelineks „Angabe der Person“ und Shakespeares „Sturm“. Infos und Karten unter hamburgertheaterfestival.de

Die Vorstellung, dass Meuffels nach dem letzten Polizeiruf in Belgien auf Chocolatier umgeschult haben könnte, egal, was auch immer, die gefällt Brandt jedenfalls ganz gut. „Wenn ich daran zurückdenke, ist das eine Figur, die ich sehr mochte.“ Man soll ja immer Ziele haben im Leben, also: Auch wenn der Kollege Michael Maertens ab diesem Sommer der nächste Salzburger „Jedermann“ nach Lars Eidinger ist, das könnte Brandt doch einfach abwarten und aussitzen? „

Erstens finde ich toll, dass er das macht, weil ich ihn sehr mag“, kontert er. „Und es ist auch eine sehr österreichische Angelegenheit… Na ja… Nö… Alles, was ich mir in der Richtung vorgenommen habe, hat nicht funktioniert. Man darf sich nicht verschließen und muss offen sein für Dinge, die einem begegnen, dann kommen die besseren Dinge. Das ist für mich sicher der richtigere Weg. Kann zu allem Möglichen führen. Zum Jedermann aber wohl eher nicht.“

Aufführungen: „Mein Name sei Gantenbein“, 14. / 15. Juni, jeweils 19.30 Uhr, Thalia Theater. Evtl. Restkarten