Hamburg . Im Schauspielhaus zeigten Matthias Brandt und Jens Thomas ihre Collage „Krankenakte Robert Schumann“. Ein Abend zum Atem anhalten.

Beide Hände kneten die Kniescheiben. Dieser Körper will nicht sein, wo er ist, und was in ihm denkt, will er schon erst recht nicht mehr. Die andere Hälfte dieser Persönlichkeit sitzt nah daneben, an seinem Flügel, im Dunkel. Tastet sich in die Klavier-Akkordverbindungen, die noch so vertraut klingen, fast wie früher. Greift nach verblassenden, romantischen Ideen, deren Reste im geschundenen, unheilbar erkrankten Hirn herumspuken, das wie die Seele leerer und leerer wird.

Ein fürchterlicher Anfang

„Dann ist da wieder das Höllengeräusch...“, sagt leise der, der einmal Robert Schumann war. Nietzsche hatte ihn als „Trunkenbold des Gefühls“ bezeichnet, auch Nietzsche endete bekannlich in geistiger Umnachtung. Ein fürchterlicher Anfang ist schon das, und es wird noch fürchterlicher. Ein fürchterlicher Anblick auch ist die Eindringlichkeit, mit dem der Schauspieler Matthias Brandt und der Pianist Jens Thomas die letzte Lebensphase erzählen. Wie sie mit Tönen, Worten, Gesten und Stille fantasieren, wie es gewesen sein könnte, in den zwei Jahren nach einem Selbstmordversuch durch Sprung in den Rhein, Rosenmontag 1854, als Schumann in eine Irrenanstalt bei Bonn ging und dort litt bis zum Tod. Die erste Diagnose lautete „Melancholie mit Wahn“.

Thomas improvisiert auf der Bühne

Nur keinen klassischen Original-Schumann wollte er spielen, hatte Thomas drei Stunden zuvor in der Garderobe erzählt. Deswegen, wie schon in den früheren gemeinsamen Therapie-Seancen „Angst“ und „Psycho“, wird Thomas später auf der Bühne improvisieren und sich treiben lassen, von Bruch-Stück zu Bruch-Stück, singen, gurren, stöhnen, brüllen. Er hat viel Musik von Schumann gehört; Brandt hat viel über ihn gelesen und das frühere Fremdeln mit dessen Musik, das ein Schumann-Zyklus mit den Berliner Philharmonikern und Rattle lockerte, ist seitdem fort.

Roman „Schumanns Schatten“ als Inspirationsquelle

Beide plauderten da noch fröhlich, noch nicht in ihren Rollen. Noch im Licht. Neben den realen, ernüchternd profanen Krankenakten, die 2006 veröffentlicht wurden, war der Roman „Schumanns Schatten“ von Peter Härtling, der den einfühlsamen Krankenpfleger Tobias Klingenfeld in Schumanns katastrophale Lebens-Coda hineinerfunden hatte, eine weitere Inspirationsquelle gewesen. Später, auf der mit einem Vorhang verhängten und doch komplett mit Eindrücken möblierten Bühne ist neben Doktor Schu auch Mister Mann zu erleben. Der eine hält sich in seinen hellen Momenten am Flügel fest, an Musik, dem letzten, was er – noch – hat. Oder kriecht unter das Instrument, Schutz suchend. Der andere: löst sich auf. „Eigentlich wollte ich schon früher sterben“, flüstert er. „Von Tag zu Tag wurde er leichter“, lässt Brandt mit sanftem Mitleid den Pfleger staunen.

"Jemand, der seine Musik verliert"

Als, endlich, Clara Schumann ihren Mann besuchen darf und er lächelt, sagt der Pfleger über dieses Lächeln: „Das war der traurigste Tanz von der Welt, aber: ein Tanz.“ „Es ist schnell etwas aufgetaucht, was uns sehr nahe gegangen ist: Jemand, der seine Musik verliert, als Bild für Persönlichkeitsverlust“, hatte Brandt zuvor berichtet. „Das fand ich auf sehr direkte Weise sehr anrührend, und auch umsetzbar für uns.“ Also macht Thomas aus der Volkslied-Melodie „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ eine aufmüpfige Ballade, und aus dem „Ich grolle nicht“ aus Schumanns „Dichterliebe“ eine brachial herausgebrüllte Anklage, als Wüten gegen das Schicksal, das da schon längst gewonnen hatte. Mehr als erfolgloses Zetern ist nicht mehr drin.

Brandts Spielweise ganz unpathetisch

Brandts Verkörperung des gebrochenen Menschen, der einmal ein Kunst-Schöpfer war, wirkt unmittelbar und man muss ständig den Atem anhalten. In diesem Schumann, wie er flucht und aufgibt und dann doch noch nicht, ist immer der Mensch zu entdecken, der Künstler war. Dass Brandts Spielweise so unpathetisch und so minimalistisch auf den Punkt ist, wäre das reine Vergnügen, wenn nur die Geschichte nicht so schrecklich wäre, weil beide – Thomas mit seinen Leid-Motiven und Brandt mit seinen offengelegten Gedanken – ohne Hoffnung in einem Abgrund stecken. „ Es wäre grundsätzlich schwierig, unseren Beruf auszuüben, wenn man Abgründe scheuen würde“, hatte der Schauspieler dazu in der Garderobe gesagt, „die sind nun mal Teil des Geländes, in dem wir unterwegs sind.“ Und bevor das letzte Wort verklingt, sang Thomas „Sei es, wie es wolle, es war doch schön“.

Publikumsstimmen:

Karin Jonas, Hamburg: „Ich fand das ganz toll. Die beiden habe ich hier schon mit ,Psycho’ gesehen, aber dieses Stück fand ich noch intensiver. Und ich mag Matthias Brandt, weil er immer so extreme Rollen spielt.“

Sylvia und Christina Panarinfo, Hamburg: „Ein ganz intensiver Abend. Wie Jens Thomas das am Klavier begleitete – fantastisch! Und wie plastisch sie da eine ganze Welt aufmachten, mit so wenigen Mitteln ... Man war mittendrin.“

CD-Tipp: „Schumann. Die innere Stimme“ Hörbiografie, gelesen von Matthias Brandt, Brigitte Hobmeier, Udo Wachveitl u.a. / Sinfonie Nr. 1. BR-Symphonieorchester, Mariss Jansons (BR Klassik, 4 CDs, 21 Euro)