Hamburg. Der Bestsellerautor und Leander Haußmann erliegen im Thalia Theater leider der Begeisterung über den sicher geglaubten Erfolg.

Es gibt so Pläne, die müssen einfach funktionieren. Zum Beispiel: Ein renommiertes Theater beauftragt einen Bestsellerautor, ein Stück zu schreiben, und weil der Autor in erster Linie Romancier ist, macht der Regisseur – der eng mit dem Autor befreudet ist – den Text bühnentauglich. Der Regisseur ist im Übrigen ein Routinier, der das Haus in- und auswendig kennt und der hier zuletzt mehrere Publikumshits landen konnte. Und das Ensemble besteht ohnehin aus den besten Schauspielern der Republik.

Mit anderen Worten: Wenn das Thalia Theater in Hamburg ein Stück von Sven Regener, Autor des „Herr Lehmann“-Kosmos und Sänger der Band Element Of Crime, zur Uraufführung bringt, inszeniert von Regener-Kumpel Leander Haußmann, der hier zuletzt den Spielplandauerbrenner „Der Geizige“ einrichtete, und besetzt mit Hochkarätern wie Jens Harzer, Marina Galic und Gabriela Maria Schmeide, dann muss das funktioneren! Nur leider funktioniert „Intervention!“ nicht.

Thalia Theater: "Intervention!" gerät zum Rohrkrepierer

An Regeners Vorlage liegt das nicht. Der hat ein Stück im für ihn typischen Sound geschrieben, eine Geschichte, die von Geistesblitz zu Rohrkrepierer und zurück mäandert, die keinen Anfang hat und kein Ende, und die ihren Zauber gerade in dieser Ziellosigkeit entwickelt.

Es liegt auch nicht an Haußmann. Der macht, was er kann, er arrangiert die fehlende Handlung mit dem ihm eigenen Gespür für die Spannung zwischen genau getimtem Slapstick, krachendem Boulevard und sensibler Schauspielerführung. Und das Ensemble ist ohnehin toll, Harzer, der stückdienlich neben sich spielt, Galic, die wieder und wieder durch die Kulisse stolpert, Lisa-Marie Sommerfeldt, die eine Art poröse Derbheit performt. Man schaut denen gerne zu. Nur eben nicht hier.

"Intervention!" am Thalia Theater – mit Grünkohlessen

Eine „Intervention“ hat in der Pädagogik keinen guten Ruf: Es geht darum, jemandem sein als negativ empfundenes Verhalten abzutrainieren, auch gegen den Willen des Betroffenen. Hier also wollen Markus (Harzer) und seine Frau Katja (Schmeide) Jannis, Markus’ Sohn aus erster Ehe, zurück auf den rechten Pfad bringen.

Jannis scheint sein Leben nicht im Griff zu haben, er nimmt wohl Drogen, und er wird Vater. Damit Jannis auch auftaucht, laden Markus und Katja zum Grünkohlessen, nur: Jannis kommt nicht. Dafür kommen Jannis’ Mutter Silvie (Galic), Markus’ Schwester Gudrun (Victoria Trauttmansdorff), deren Mann Helge (Tim Porath), Katjas Tochter Gwendolin (Sommerfeld) sowie Gisela (Sandra Flubacher), die auch irgendwie zur Familie gehört. Außerdem geistert noch Markus’ verstorbener Vater Robert (Norbert Stöß) durch die Szenerie, hat aber keine echte Aufgabe. Und als ein Pizzabote (Steffen Siegmund) auftaucht, wird der kurzerhand als Jannis umdefiniert, weil die Intervention nun mal stattfinden muss – komme, was wolle.

"Intervention!" von Regener und Haußmann – Theaterabend dudelt immer weiter

Klingt nach höherem Blödsinn, nach abgründigem Spaß und einer Gelegenheit, einen Schwank zu spielen, ohne das Niveau allzuweit abzusenken. Und, ja: Der Abend erfüllt all das, er setzt auf eindeutige Lacher, und er zieht spätestens, als die Themen Demenz und Kindesmisshandlung auftauchen, eine zweite Ebene ein, die überhaupt nicht mehr lustig ist. Aber er trägt nicht über fast 200 Minuten.

Immer wieder gibt es in „Intervention!“ Verweise auf den Jazz, einmal wird eine Platte aufgelegt, ein andermal bekennt der Pizzabote, eigentlich studierter Jazzmusiker zu sein, aber: Guter Jazz weiß auch, wann eine Improvisation vorbei sein muss. Dieser Theaterabend dudelt hingegen immer weiter, in seiner Begeisterung für Metaebenen und seiner Freude an einer Gestrigkeit, die nicht nur auf die Austattung bezogen ist (das Achtzigerjahre-Wohnzimmer-Bühnenbild hat Haußmann selbst mit René Fußhöller gestaltet, die Kostüme Eleonore Carrière), sondern auch auf die Handlung.

Haußmann und Regener verbindet langjährige Zusammenarbeit

Ein Beispiel: Patchworkfamilien sind eine gesellschaftliche Realität, trotzdem kann man natürlich einen Witz darüber machen, dass irgendwann niemand mehr versteht, wer mit wem verwandt ist. Es ist dann allerdings kein besonders origineller Witz, und er wird auch nicht besser, wenn man ihn mehrfach wiederholt.

Haußmann und Regener verbindet eine langjährige Zusammenarbeit. Element Of Crime etwa schrieben die Musik für Haußmanns Bochumer „Peter Pan“-Inszenierung, der Regisseur verfilmte Regeners Romandebüt „Herr Lehmann“ kongenial, die können miteinander. Aber: Das sind keine Zusammenarbeiten auf Augenhöhe, sondern Dienstleistungen, die der eine Künstler dem anderen erfüllt.

"Intervention!" am Thalia Theater: Stück versandet nach und nach

Wenn Regener und Haußmann hingegen tatsächlich gleichberechtigt arbeiten, verlieren sie regelmäßig den Fokus. Der gemeinsam gedrehte Film „Hai-Alarm am Müggelsee“ (2013) etwa verließ sich ausschließlich auf die Idee, einen blutrünstigen Hai in einem Berliner Badesee auftauchen zu lassen, und niemand schien dem Regieduo gesagt zu haben, dass das so nicht abendfüllend ist – ganz ähnlich wie bei „Intervention!“ Der sichere Erfolg des Stücks jedenfalls versandet nach und nach in einer Abfolge von für sich genommen lustigen Einfällen und einer wenig begründeten theaterästhetischen Nostalgie.

In den freundlich-zurückhaltenden Schlussapplaus mischen sich einzelne Buhrufe für den Regisseur – was allerdings auf einem Missverständnis zu beruhen scheint. Nicht Haußmann hat den Abend in den Sand gesetzt, das Gesamtpaket funktioniert einfach nicht. Wahrscheinlich, weil von Anfang an alle Beteiligten davon überzeugt waren, dass „Intervention!“ gar nicht anders kann als zu funktionieren.

Dass Theater auch mal danebengehen kann, vielleicht auch danebengehen muss, kommt in dieser kollektiven Begeisterung nicht vor – und das rächt sich dann eben. „Schwamm drüber“, würden Regeners fatalistisch-lebenskluge Figuren das vielleicht kommentieren, „nächstes Mal wirds besser. Oder zumindest anders.“

Intervention! wieder am 9., 21. und 30. März, 1. und 22. April, jeweils um 20 Uhr, Thalia Theater, Alstertor, Tickets unter 32814444, www.thalia-theater.de