Auf dem zehnten Album „Medicine At Midnight“ gelingt der Band um Dave Grohl der Spagat zwischen hartem Rock und tanzbarem Pop.
Vor vier Jahren sang Dave Grohl im Lied „Happy Ever After“ von einem Ort des Glücks, wo er ohne seine Band Foo Fighters dem Unkraut beim Überwuchern des Blumenbeets zusehen kann, einen letzten Drink in der Hand. Aber wie vieles, was dem lautesten, wildesten und doch nettesten Stadion-Rockstar unserer Zeit einfällt, war das nicht ganz ernst gemeint.
Es wird keinen Ort ohne Foo Fighters, keine Welt ohne das Sextett aus Los Angeles geben. Sie werden wie die Rolling Stones im ewigen Unruhestand verwittern, Dave Grohl zählt schon seine grauen Haare. Aber aufhören? Wer Grohl auch nur einmal auf einer Konzertbühne gesehen hat, der weiß, dass er wie sein Idol Lemmy rockt, bis der Schnitter kommt.
Und er lebt nicht nur von alten Hits, wie man 2015 in der Barclaycard Arena erleben konnte: Der Abend begann einfach mal mit den populärsten Klassikern „Everlong“, „Monkey Wrench“ und „Learn To Fly“, jede andere Band hätte sich die für Zugaben aufgehoben, die Foo Fighters aber zelebrieren jeden Song wie eine Zugabe.
Zehntes Album der Foo Fighters: "Medicine At Midnight" erscheint mit Verspätung
Und so ist jetzt mit „Medicine At Midnight“ das zehnte Album der Footos erschienen, wenn auch mit einiger Verzögerung. Eigentlich sollten damit im vergangenen Jahr weltumspannende Jubiläumsfeierlichkeiten der 1994 gegründeten Band begonnen werden. Daraus wurde nichts, aber man kann in jedem Takt von „Medicine At Midnight“ spüren, wie sehr Grohl mit den Hufen schart, wie unbedingt er wieder auf die Bühne will.
Zwar ist das Album mit 37 Minuten Lauflänge sehr kurz und verlässt sich auf die aus Seattle-Zeiten überlieferte Laut-Leise-Dynamik (manche erinnern sich daran, dass Grohl mal bei Nirvana trommelte), eingängigen Hymnen-Charakter und radioformat-füllende Balladen, trotzdem ist „Medicine At Midnight“ nicht nur durch die kompakte Spielzeit deutlich zackiger als die Vorgänger „Sonic Highways“ (2014) und „Concrete And Gold“ (2017).
Hat Chad Kroeger die Gitarren der Foo Fighters verstimmt?
In Interviews erzählen die Foo Fighters, dass es bei den Aufnahmen in einem alten Haus aus den 40er-Jahren in Encino, Los Angeles, gespukt habe. Aufnahmen seien verschwunden, Mischpult-Einstellungen wurden verstellt, Gitarren verstimmt. Ob es nun Geister waren oder die bei vielen Gelegenheiten von Grohl gern verulkte kanadische Konkurrenz von Nickelback, sei dahingestellt.
Jedenfalls sahen Grohl, sein trommelndes Alter Ego Taylor Hawkins, die Gitarristen Pat Smear und Chris Shiflett, Bassist Nate Mendel, Keyboarder Rami Jaffee sowie Produzent Greg Kurstin zu, so wenig wie möglich Zeit im Studio zu verbringen. Das konzentrierte Arbeiten hat den neun Liedern gut getan.
Ein Spagat von David Bowie über Kiss bis zu ABBA? Das geht, sehr gut sogar
Grohl wollte seine Antwort auf David Bowies Klassiker „Let’s Dance“ (1983) aufnehmen, wie man besonders deutlich im Titellied „Medicine At Midnight“ hören kann. Ein tanzbares Rockalbum wurde versprochen, das den breiten Rockposen-Spagat zwischen Band-Vorbildern wie Stones und KISS bis hin zu Sly and The Family Stone und ABBA schafft.
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Total irre eigentlich. Aber schon der erste Song „Making A Fire“ macht klar: Ja, das geht, sehr gut sogar. Verschleppte Led-Zeppelin-Trommeln und kreischende Gitarren gesellen sich zum weiblichen „Nanana“-Chor, der Bilder von Agnetha und Anni-Frid heraufbeschwört, es wird geklatscht und jubiliert, da fehlt nur noch Dave Grohl im hautengen ABBA-Dress oder in Relikten aus dem Scorpions-Kleiderschrank der 80er. Das ist mal was Neues, sehr gewagt für eine Konsens-Rockband, die auch im Stream zu Joe Bidens Amtseinführung aufspielen durfte.
Adele-Produzent Greg Kurstin hält die Foo Fighters auf Kurs
Für eine Gruppe, die seit einem Vierteljahrhundert zuverlässig – für manche Kritiker auch vorhersehbar bis langweilig – abliefert, ist es durchaus ein Risiko, sich teilweise auf eine synthetische Klangebene zu begeben. Aber es dürfte auch der kundigen Hand von Produzent Greg Kurstin zu verdanken sein, dass sich die Foo Fighters nicht verirren.
Als Grammy-Gewinner für Adeles Hit „Hello“ und musikalischer Partner von Paul McCartney, Lana Del Rey sowie Katy Perry kennt Kurstin sich aus mit Gala-Pop und melodiösem Glam, und offensichtlich kann man damit auch die Gitarrenwände der Foo Fighters zieren, wie sich schon auf „Concrete And Gold“ zeigte.
"Medicine At Midnight" – der Galopper des Jahres
Auch wenn sich die Foo Fighters auf gewohntem Terrain bewegen oder Riffs bearbeiten, die Grohl 25 Jahre lang in der Schublade hatte, schütteln sie unglaublich locker tolle Melodien aus dem Ärmel. Ähnlich wie Foo-Oldies à la „Come Alive“ oder „Let It Die“ beginnt „Waiting On A War“ langsam und akustisch, um von Minute zu Minute zu beschleunigen und völlig zu entfesseln. Eines dieser Lieder, die für den großen Effekt bei Konzerten in Wembley und anderen Arenen geschrieben werden.
Scheinwerferbatterien und Verstärker-Stapel, lange Rampen zum Entlangtoben, danach verlangen auch die Bretter „No Son Of Mine“, „Holding Poison“ und das treibende „Love Dies Young“. Gebremst wird nur in der obligatorischen Ballade „Chasing Birds“, ansonsten ist die Platte der Galopper des Jahres und enthält genug Lieder, die zusammen mit „Everlong“ und „Learn To Fly“ reifen wie ein guter Roter.
Wann zieht es Dave Grohl mal wieder ins Weinhaus Gröhl?
Vielleicht gibt Dave Grohl seinen Fans wie vor knapp drei Jahren nach dem legendären Auftritt auf der Trabrennbahn ja mal wieder ein Glas im Weinhaus Gröhl aus. Die Mitarbeiter dort sehnen sich gewiss nach einem Wiedersehen mit einer der besten Livebands – und haben einiges dagegen, dass deren Chef nur noch dem Unkraut beim Überwuchern des Blumenbeets zusieht.
Die Foo Fighters im Netz: foofighters.com