Scheeßel. Die 2019-Ausgabe des Festivals in Scheeßel bot Bands für viele Geschmäcker. Das kann man abwechslungsreich nennen. Oder profillos.

Ein Morgen in Scheeßel: Vögel zwitschern, in der Ferne kräht ein Hahn, Schwebfliegen und Hummeln summen im ersten Morgenlicht. Schön hier! Eine Bierdose zischt, eine Musikanlage wird mit AC/DC – „Hells Bells“ – gestartet, eine Frau übergibt sich wimmernd in eine Mülltüte. Ach ja, da war ja was: Hurricane Festival.

68.000 Besucher sind dieses Jahr zum Eichenring gepilgert. Etwas mehr als im Vorjahr, aber 10.000 weniger als noch 2017. Wieder nicht ausverkauft. Es ist offensichtlich schwer geworden, in Zeiten großer Konkurrenz und hartem Geschacher um die besten Bands (und entsprechend absurden Gagen) ein Programm zusammenzustellen, das ein Selbstläufer im Vorverkauf ist. Das Hurricane versucht es auch 2019 mit der bunten Tüte. Mit dem langen Arm wird an den Genre-Regalen entlanggegangen und alles ausgeräumt. Punk, Metal, Rock, Hip-Hop, Folk, Electro.

Für jeden ist etwas dabei, für jeden ist aber auch viel nicht dabei. So steht man am ersten Festivaltag am Freitag zuerst bei Romantik-Pop-Barde Bosse, als nächstes bei den Metalcore-Schrubbern Parkway Drive, dann bei den Wiener Falco-Erben Bilderbuch, um den Abend mit den Toten Hosen zu beschließen. Man darf das abwechslungsreich nennen. Oder profillos.

Die Toten Hosen und Foo Fighters geben den Ton an

Festivals wie Watt en Schlick oder Pangea locken mit Nord- und Ostseeflair, Parookaville in Weeze baut im Prinzip eine komplette Stadt um seine Star-DJs, Fusion steht für Freiheit und alternativen Lebensstil, Wacken für Metal-Mallorca, das Hurricane hingegen steht für perfekte, seit 1997 jährlich optimierte Organisation – und schlechtes Wetter.

Dieses Jahr grüßt aber die Sonne über dem Eichenring, entsprechend ausgelassen ist die Stimmung. Selbst bei unbekannteren Bands wie den zackig rockenden Leoniden aus Kiel tanzt die Meute noch außer Sichtweite der Bühne auf Mülltonnen und Podesten, im langsam verdorrenden Gras, auf Bierbänken. Bei Zebrahead wird ein Rollstuhlfahrer über die Köpfe der Menge getragen. Viele haben sich Mühe mit ironischen Outfits gegeben, sich in Glitzerleggins oder Fellkostüme gezwängt.

Alles wie immer also, auch die Headliner, Die Toten Hosen und Foo Fighters kennt man hier schon. Alte Zirkuspferde, die nach wie vor in der Manege den Ton angeben. 27 Lieder schießen die Hosen zum Konfetti ins Rund, von „Bonnie & Clyde“ bis „You’ll Never Walk Alone“. Aus dem ganzen Bundesgebiet angereiste Hosen-Ultras schwenken ihre Fahnen. Auswärtsspiel und Sieg.

Aber wie lange wird das so weitergehen? Die Zeichen stehen auf Wechsel, Hörgewohnheiten ändern sich und auch das Drumherum. Extrem beachtlich ist die allgemeine Orientierung zu Instagram und ähnlichen Portalen der Selbstinszenierung. Mit Riesenrad und Sponsorenburgen voller VIP-Terrassen, Rutschen und Bällebädern (!), Fototapeten, Konvois von Foodtrucks für jeden Geschmack, Getränkeständen auf Schritt und Tritt, „Green Camping“-Bereichen und vielen weiteren Gimmicks wird der Aufenthalt nicht nur so angenehm und unterhaltsam wie möglich gemacht, sondern auch fotogen.

Alle Bands geben wirklich ihr Bestes

Immer wieder sind Influencer zu entdecken, weltberühmt auf Instagram, völlig unbekannt bei den älteren Hurricane-Veteranen, die für Hosen, The Cure oder Fünf Sterne Deluxe („Wir sind alt!“, ruft Das Bo beim Blick ins Publikum) gekommen sind. So geht dann ein Insta-Star bei den Idles begleitet von ihrem Fotografen in die vorderen Reihen, wartet auf den richtigen Moment, tanzt 20 Sekunden und verschwindet wieder zum Hochladen, Teilen und Likes-Sammeln.

Likes und Streams sind mittlerweile auch die Währung, um für Festivals gebucht zu werden. Künstler wie Trettmann, Macklemore, Steve Aoki und Yung Hurn sind Spotify-Könige, auf der Bühne und als Livekünstler allerdings erstaunlich unspektakulär bis nervend mit Autotune-„Gesang“. Aber: Alle Bands geben wirklich ihr Bestes, von den kleinen Mittagsslots wie The Dirty Nil, Alex Mofa Gang oder Grossstadtgeflüster bis zu etablierten Namen wie Bloc Party, Mumford & Sons, AnnenMayKantereit, 257ers oder Wombats. Fast vermisst man eine miese, bocklose Show wie die von den Strokes 2006. Aber auch diese Zeiten sind passé. Wer sich 2019 live danebenbenimmt, steckt kopfüber im virtuellen Dixi-Klo, im Shit-Hurricane.

„Wenn dein Herz nicht mehr auf unseren Beat schlägt und die Band unser Lied nur noch schief spielt: Mach die Musik bitte aus, sagst du leise, es ist vorbei“, singt die Alex Mofa Gang. Nein, vorbei ist es noch lange nicht.

Zwei Stunden lange geballte Ladung Rock‘n‘Roll

Denn dann sind da ja noch, nach den schon sehr guten The Cure, die Foo Fighters. Während die Jüngeren schon nach dem letzten Autotune-Rapper Bausa die Zelte abbauen, erlebt der Ü30-Rest eine zwei Stunden lange geballte Ladung Rock‘n‘Roll. Dave Grohl und seine Jungs haben ihre eigene Licht- und Videoshow, ein mehrere Meter hochfahrbares Schlagzeug-Podest, Backgroundchor und Hits, Hits, Hits für das große Finale mitgebracht: „The Pretender“, „ Learn To Fly“, „All My Life“, „Best Of You“, „Everlong“, da brennt noch mal ein herrliches Feuerwerk ab beim heißesten Hurricane seit vielen Jahren. Schön hier! Nächstes Jahr gehts weiter, mit Seeed aus Berlin ist bereits ein dickes Ding bestätigt.