Hamburg. Mehr Kosten, weniger Einnahmen: Intendantin Karin Beier hat am Schauspielhaus mit Technikproblemen und zudem Baumängeln zu kämpfen.
In Christoph Marthalers „Entertainer“-Inszenierung präsentierte die Schauspielhaus-Bühne dem Publikum ein Bruchbuden-Theater; in Karin Beiers Version von „Ab jetzt“ wurde auch thematisiert, wie viel Ärger Technik machen kann, wenn sie nicht gehorsam begeistert, sondern bockt und klemmt. Doch nicht erst ab jetzt, sondern schon seit viel zu langer Zeit, leidet die größte deutsche Sprechbühne unter technischen Problemen.
Das Lachen über solche Parallelen ihrer Arbeitsbedingungen zum eigenen Spielplan ist Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier deswegen längst vergangen. „Die größte Anstrengung hier ist, dass wir im permanenten Krisenmanagement sind.“ Normalbetrieb, nach fast zwei Spielzeiten und einem Bühnenunfall-GAU zur Begrüßung? Hier nur ein frommer Wunsch.
Schon eine kurze Zusammenfassung der Probleme zeigt, wie komplex das Krisendurcheinander ist, und wie schwer die Suche nach eindeutig Schuldigen, denn es gibt sehr viele Verantwortliche. Und nicht alle könnten noch zur Verantwortung gezogen werden.
Die Kosten für die Sanierungsmaßnahmen werden derzeit vom Rechnungshof auf 24,6 Millionen Euro geschätzt. Das ist klar mehr als die 20 Millionen Euro aus der 2010 erstellten ersten Drucksachen-Berechnung. Vor allem aber viel mehr als jene 16,5 Millionen Euro, die damals von der Bürgerschaft bewilligt wurden. 2013 wurde ein erster Mehrbedarf von 3,7 Millionen Euro ermittelt.
Es gibt ständige Verzögerungen bei den Aufbauzeiten, Tag für Tag
Nach wie vor hat dieses Hamburger Staatstheater keine funktionsfähige Untermaschinerie. Das Vorgängermodell war alt und unberechenbar geworden, doch es war immerhin die einzige Untermaschinerie in ganz Theaterdeutschland, die Bühnenabschnitte gleichzeitig drehen und heben konnte.
In den oberen Abschnitten des Bühnenturms fehlt eine Kühlung, damit sich dieser Teil des Hauses im Sommer nicht in einen Römertopf verwandelt und die Elektrik dort bei 45 Grad Umlufthitze köchelt, bis sie ausfällt.
Beim Bühnenturm wurde auch nicht daran gedacht, dass man ihn von der Probebühne schallentkoppeln sollte; das gilt ebenfalls für das Große Haus und den Malersaal. Die Bühnentüren haben keine Schleusen mehr, die für Ruhe und Konzentration sorgen. Und, besonders anschaulich als Missstand: Nach wie vor wird der Bühnenboden abgestützt, damit er sich nicht mehr durchbiegt. Besserung sollen Baumaßnahmen in der Sommerpause bringen.
Die Folgeschäden der Havarie des Eisernen Vorhangs im Oktober 2013 haben das Haus etwa 1,9 Millionen Euro gekostet, vor allem durch die Ausfälle an der Kasse, weil wochenlang nicht gespielt werden konnte. Wer daran schuld ist und dieses Geld erstattet? Dieser Rechtsstreit könnte noch fünf, sechs Jahre dauern, doch ob dann alles zurückbezahlt wird, darauf sollte man wohl lieber nicht wetten. Bis es einmal so weit sein sollte, muss sich das Theater für jede Saison eine Liquiditätsgarantie von der Stadt ausstellen lassen, damit diese roten Zahlen überhaupt von Bilanz zu Bilanz wandern dürfen, erklärt Peter F. Raddatz, Beiers Kaufmännischer Direktor.
In der Drehbühne sind die Motoren Baujahr 1960 und die Lager von 1984 und bekommen eine neue Steuerung. Deswegen müssen Motoren und Getriebe ausgetauscht werden, aber das war im Bausoll nicht drin. Nur eines von etlichen Beispielen.
Die Theaterplaner-Firma Gerling & Arendt aus Berlin, die den Zuschlag für die scheinbar so hübsch günstige Sanierungsrunde bekommen hatte, hat im letzten Sommer Insolvenz angemeldet. Über einen Nachfolger soll in Kürze entschieden werden. Derzeit erarbeitet die Kulturbehörde eine Drucksache, die noch vor der Sommerpause in die Bürgerschaft gehen soll, um jene 4,4 Millionen Euro bewilligt zu bekommen, die für die Erfüllung des Bausolls fehlen. Dazu kommen weitere Kosten für nötige Nachbesserungen wie die Klimatisierung des Bühnenturms. Wie viel insgesamt anfällt? Die Behörde prüfe auch das jetzt, sagt Raddatz. „Es gibt eine Mischung aus nicht Fertiggestelltem und Baumängeln.“
Besonders gravierend ist für Beier und Raddatz der Zustand der Portalbrücke, an der wichtige Teile der Bühnenbeleuchtung angebracht sind. Durch Planungsfehler ist sie weniger tragfähig als erwartet. Das bedeutet ständige Verzögerungen, Tag für Tag. „Unsere Aufbauzeiten dauern bei einigen Stücken ein bis zwei Stunden länger als normal“, erklärt Raddatz die Tücke dieses Problems. Diese Verzögerungen summieren sich: „Pro Produktion etwa zwei Schließtage zusätzlich, dass könnte am Saisonende zu Mindereinnahmen von schätzungsweise bis zu 150.000 Euro führen.“
„Das Dilemma beginnt immer am Anfang, wenn da nicht gut und sorgfältig geplant wird, rächt sich das am Ende“, erwidert Raddatz auf die staunende Frage, wie es zu all dem Elend kommen konnte. „Wir haben ein Erbe übernommen, aus dem wir jetzt mit vereinten Kräften und gemeinsam mit der Kulturbehörde das Beste machen müssen.“ Und setzt noch einen Konjunktiv drauf: „Rückwirkend gesehen, hätte man das Haus in der letzten Saison stilllegen müssen. Dann hätte man in Ruhe bauen können und es wahrscheinlich gut fertig bekommen.“
Beier und Raddatz befürchten, dass die geplante Untermaschinerie nach ihrer Fertigstellung keine wesentliche Verbesserung gegenüber den Funktionen der bisherigen bieten wird. „Und trotzdem: Der jetzige Zustand ist nicht haltbar. Wir brauchen eine funktionierende Untermaschinerie“, kommentieren die beiden diesen Abschnitt ihrer Großbaustelle.
Was von ihren Vorgängern und der damaligen Kulturbehörden-Leitung an so manchen Notwendigkeiten vorbei berechnet und beschlossen wurde, nennt Beier heute ihre „Büchse der Pandora“. „Erst nach unserem Amtsantritt, nicht vorher, konnten wir den Deckel öffnen und die Details in Augenschein nehmen. Unser neuer Technischer Direktor hat sich das dann genauer angesehen und mich sofort gewarnt: Da kommt was auf uns zu!“
Die Regisseurin Karin Beier hat aus ihrer Not eine Handlungsrichtlinie machen müssen: „Wir müssen unsere Produktionen ohne Untermaschinerie planen. Ich selbst werde in der nächsten Saison ein großes Stück machen – und Schnellaufbau-Stück, bei dem ich dem Bühnenbildner gesagt habe: Das muss in drei Stunden mit Beleuchtung stehen und das schreiben wir auch in den Vertrag. Der Spielplan würde uns richtig um die Ohren fliegen, wenn wir das nicht hin und wieder berücksichtigen. Das ist kein Zustand für ein Staatstheater.“ „Natürlich brauchen wir an einem Haus wie diesem repertoiretaugliche Bedingungen“, ergänzt Karin Beier als Intendantin. „Derzeit gibt es Dinge, die das behindern.“ Dem Regisseur von Dürrenmatts Klassiker „Die Physiker“, der im April Premiere hat, habe sie den Wunsch nach Videotechnik wieder ausreden müssen.
Der Kommentar der jetzigen Kultursenatorin Barbara Kisseler zu dem Problemberg lautet, dass auch ein unsachgemäßes Herunterrechnen des Sanierungsbedarfes durch den Vorgängersenat letztendlich zu den Kostensteigerungen geführt habe. Danach folgt eine Portion Zweckoptimismus: „Mit der Sanierung haben wir dem Schauspielhaus nun endlich den Weg geebnet, damit es als Deutschlands größte Sprechbühne auch international technisch Schritt halten kann.“
Mit dem Ausmaß ihrer Verärgerung und Frustration hält Beier dennoch nicht hinter dem Berg, warum auch: „Das Schauspielhaus hat etwas von einem Dinosaurier. Ein voll funktionsfähiges, modernes Theater sieht anders aus. Das darf aber keine Konsequenzen für die mir wichtigen Regisseure und die Qualität ihrer Kunst haben. Ich kann von diesen Regisseuren nicht verlangen, sich bei ihrem Bühnenbild so zu beschränken, dass sie ruckzuck aufgebaut werden können.“
Als Beier um das Jahr 2011 herum die Verhandlungen über ihren sehnlichst erhofften Wechsel als Retterin in der Not von Köln nach Hamburg aufnahm, hatte die Kulturbehörde jede Menge Ärger mit einer komplett anders gearteten Kultur-Baustelle. Das damalige Gezerre um die vielen Planungsfehler bei der Elbphilharmonie könnte ein Grund für das Durchwinken so mancher Planungsdellen beim Schauspielhaus sein, ohne vorher gründlich genug nachzurechnen. Aber keine Entschuldigung.
Wie viel Prozent Funktionsfähigkeit die beiden Chefs ihrem Theater augenblicklich attestieren würden? Raddatz’ erstes Gebot liegt bei 60 Prozent, bevor er nach Beiers Protest auf 70 Prozent erhöht, aber dabei bleibt es dann auch. Von 100 Prozent redet keiner von beiden. Beier bringt ihre Gemütslage so auf den Punkt: „Ich hätte ein Riesenproblem, wenn Kosten, die mit dem Bau oder der Havarie in Zusammenhang stehen, zu Lasten der Kunst finanziert würden. Aber das steht jetzt nicht zur Debatte. Irgendjemandem ist es damals offensichtlich gelungen, den irreführenden Eindruck zu erwecken, dass eine Teilsanierung sinnvoll ist – und für 16,5 Millionen Euro durchführbar. Das war der Sündenfall. Da liegt der Hund begraben.“