Neu im Ensemble von Schauspielhaus-Intendantin ist der Schauspieler Charlie Hübner. Er soll auch die Rolle als Publikumsmagnet übernehmen.
Hamburg „Man steckt ja nicht drin“, heißt es gern, wenn man über andere redet, von denen man sich flott ein Bild gemacht hat und dann sind sie doch – ganz anders. Charly Hübner ist ein 1A-Beispiel dafür. Eigentlich Carsten Hübner, doch dieser Vorname aus der Vergangenheit im realsozialistischen Mecklenburg-Vorpommern ist nur noch Archivmaterial. 1,92 Meter hoch ist er, ein Kerl wie eine Schrankwand aus dem Baumarkt, keiner dieser Modestrecken-Mimen, auf deren Zehnkämpfer-Sixpack man beim Shakespeare-Aufsagen Möhren raspeln könnte.
Als wir uns vor gut zwei Jahren in der Kantine vom Schauspiel Köln zum ersten Mal trafen und Karin Beier dort noch amtierende Intendantin war, hatte Hübner gerade seine ersten Runden als „Polizeiruf“-Hauptkommissar Alexander Bukow hinter sich. Aber wie! Einen Typen wie ein Ausrufezeichen rammt Hübner in diese Krimis, einen Rostocker Hartholz-Bullen, meistens mit Saulaune und einem nicht immer eindeutigen Verhältnis zu Recht und Ordnung. Eindeutig niemand jedenfalls, dem man ohne Not dumm kommen möchte. Dass Hübner schon damals eine beeindruckende Bühnen-Karriere vorweisen konnte, war den Hamburger Theatergängern nur klar, wenn sie jahrelang so sehr in der deutschsprachigen Bühnenrepublik unterwegs waren wie er. Jetzt ist Beier Chefin am Schauspielhaus, Hübner soll dort ein Publikumsmagnet werden.
Klar, könnte man nun denken, ganz plumper Trick, einfach ein gutes Sonntagabend-Glotzegesicht engagieren, und schon kommen die Leute, weil sie mal sehen wollen, wie der denn wohl klarkommt mit Rampe und Saalluft und seitenweise Textaufsagen.
Und dann, um das mit dem „Man steckt ja nicht drin“ zu bewahrheiten, sitzt Charly beim Wiedersehen in der Ottensener Warenwirtschaft, einem amtlich korrekten Bioladen mit Retro-Sitzgruppe und Bio-Mittagskarte, am Rand des Szene-Geschehens. Und wird komplett von der Kundschaft ignoriert, obwohl seine wegen einer Kinderfilmrolle noch fies auf H.P.-Baxxter-Blond gefärbten Haare unübersehbar sind.
Der Charly sitzt da einfach so, in einem T-Shirt, auf dem „Arbeit macht Arbeit“ steht, was ja durchaus stimmt und gleichzeitig als Ironieversteher-Ansage auch ein cleveres kleines Ablenkungsmanöver vom Ernst des Themas sein könnte. Denn nachdem wir, während an der Kirchenallee noch die Bauarbeiter am Staatstheater werkeln, über eine Menge anderes geredet haben, sagt Hübner über seine Arbeit mit intensiver Selbstverständlichkeit einige Sätze mit Tiefgang und, man mag das Wort wegen seiner Übergröße kaum ohne kurzes Stocken in Gebrauch nehmen: Herzensbildung.
Hat nun vielleicht auch nicht jeder Schauspieler.
Der Selbstzweck seines Berufs sei es, sich anzumaßen, „anderen Menschen etwas Nicht-Materielles schenken zu können – ein Lachen, eine Lebensidee, eine Erkenntnis. Ich bin gespannt, wie die Hamburger auf den ,Idiot‘ reagieren werden. In Köln war das der Knaller. Ich hab’ noch an keinem Theater so oft weinende Menschen gesehen, die einem danach glücklich um den Hals gefallen sind. Das kann so nur das Theater.“ Charly lächelt, von tief innen. Er spricht auch eher nicht von „Schauspielern“, sondern, direkter und bestimmt kein Zufall, von „Spielern“.
Am 20. November hätte Hübner als Rogoschin in Karin Henkels Kölner Inszenierung von Dostojewskis „Idiot“ seine Hamburger Bühnen-Premiere haben sollen. Die erste Eröffnungshysterie im Schauspielhaus wäre dann gerade abgeklungen. Doch dann raste bekanntlich der Eiserne Vorhang Richtung Bühnenhimmel, demolierte die Technik, und alles war anders. Jetzt ist der nächste Termin für Hübner-Fans und alle, die es werden wollen, der 6. Februar. „Schuld“, inszeniert von Karin Henkel, im Malersaal. Die „Sühne“ wird in die nächste Saison vertagt.
Hierher gezogen ist er schon vor vielen Jahren, aber ein echtes Heimspiel, neben dem „Rumdüsen“ zwischen Bühnen und Filmen? Dazu kam es noch nicht. „Das Schauspielhaus, das ist ein totales Geschenk. Da einen Neuanfang zu machen, finde ich total stark.“ Dass seine Frau, die Schauspielerin Lina Beckmann, mit im Beier-Boot ist, macht die Sache nur noch runder. „Wenn ein Regisseur uns beide haben will, dann kriegt er uns. Ist aber nicht so, dass wir das beide möchten.“ Romeo und Julia, nur mal so als Vorschlag? „Das fände ich sehr lustig“, sagt Hübner feixend.
Diese unvermeidliche Frage nach dem brutalen Erfolgsdruck, der auf dem tragisch verspäteten Beier-Start lastet, die umdribbelt der Werder-Fan Hübner hier verbal ganz entspannt: „Ich weiß nicht, wie es den anderen geht, aber mich tangiert das gar nicht. Man muss sich auf das konzentrieren, was man macht und nicht auf das, was die anderen erwarten.“
Einen Freifahrtschein als TV-Star, den bekam er nicht bei der Rollenvergabe-Planung mit Beier und ihrer Kölner Dramaturgin Rita Thiele. „Es gibt immer das Gespräch darüber. Als Schauspieler hat man immer im Herzen, welches Thema man gerade spielen will.“ Welches das wäre? „Die Ambivalenz in uns“, sagt Hübner, ohne großes Nachdenken. „Einerseits ist es ganz toll, wenn wir sonst wie miteinander vernetzt sind, auf der anderen Seite haben wir die NSA. Unter bestimmten Umständen wird man zum Vieh und unter anderen zum Engel. Das ist ein Wesenskern von uns allen. Und für den Raum zwischen beiden hat man sich bisher etwas zu wenig Zeit genommen. Aber im Theater kann man sich dafür Zeit nehmen. Theater ist kein Zeitvertreiben, sondern der einzige Ort, bei dem du dich als Spieler in ein Verweilen begeben kannst.“ Und dann sagt er noch: „Das Tolle am Theater ist die Hysterie. Wenn man es schafft, die zu erzeugen, für oder auch gegen eine Arbeit, dann hat man auf jeden Fall einen Nerv getroffen.“
„Es ist immer eine Kombination aus Stück und Regisseur“, antwortet Hübner auf die Frage, was es demnächst am liebsten sein dürfte. „Mit Karin Beier würde ich gern einen Shakespeare machen, durchaus auch was Lustiges. Kann aber trotzdem auch Richard III. sein. Der spielt dann vielleicht in der Küche, alles ist nur die Idee eines Werftarbeiters, der nach Hause kommt und das Ganze nicht mehr ertragen kann.“ Nachlegen. „Den ganzen Tschechow runterspielen könnte man.“ Eher großklassisch gramgebeugt? „Tschechow kann man sehr lustig machen, oder auch Beckett. Das ist eigentlich Comedy, wenn man die beiden ernst nimmt.“
Zur dramatischen Konkurrenz zwischen Lux’ Thalia und Beiers Schauspielhaus meint Hübner: „Für mich gibt es einen Riesenunterschied: Das Thalia ist ein Theater, wo du naturalistisch sprechen und spielen kannst, und man versteht das noch in der letzten Reihe. Das Schauspielhaus ist eine Bühne, wo du einfach Gas geben musst, es sei denn, das Bühnenbild ist einen Meter hinter der Rampe zu. Deswegen ist die Spielästhetik auch eine ganz andere. Das Thalia ist fast wie eine Kammerbühne, trotzdem riesengroß. Das Schauspielhaus ist einfach ein Operettenhaus.“
So ein Operettenhaus ist für Charly Hübner nur einige Gesprächsminuten entfernt vom totalen Gegenteil. Er war beim Rammstein-Auftritt in Wacken, und er war total begeistert. „Das ist so präzise gebaut, und auch so witzig, wenn man genau reinguckt. Total diszipliniert.“
Eben. Arbeit macht Arbeit. „Und bei ,Mein Herz brennt‘, da muss ich immer an Bukow denken.“
In der nächsten Folge: Lina Beckmann