Hamburg. Eine Lehrstunde in Sachen Komödien-Handwerk ist Karin Beier mit der Premiere von Ayckbourns Science-Fiction-Groteske geglückt.
Eigentlich müsste jede Schauspielerin, die bei einigermaßen klarem Verstand ist, tagtäglich vor dem Intendantenbüro herumlungern und darum betteln, dass die Theaterleitung doch bitte und am besten sofort „Ab jetzt“ von Alan Ayckbourn auf den Spielplan setzen möge. Weil es ein so großartiges Stück ist? Weil es den Zeitgeist einordnet, die Gesellschaft analysiert? So richtig mit Tiefgang und Aussage und Haltung und Ewigkeitswert? Ach was. Weit weg davon! Es ist eine Klamotte, nun ja. Aber: Es hält einen fabelhaften Auftrittsmonolog bereit, eine echt ergiebig schrullige Rolle der Kategorie „mit einem Erdbeben anfangen und dann langsam steigern“. Für eine Schauspielerin eine hinreißende Steilvorlage, so ein richtig herrlich saftiger Leckerbissen.
Wenn sie denn Komödie kann. Und Lina Beckmann, oh ja, die kann. Und Karin Beier, die kann auch.
Vielleicht ist es also so ähnlich gewesen am Schauspielhaus. Vielleicht hat sich die Intendantin gedacht: Wer Lina Beckmann im Ensemble hat, der müsste die mal die Zoe in „Ab jetzt“ spielen lassen. Sind bestimmt lustige Proben. Und wenn das bei den Proben und im Ergebnis so viel Spaß macht, na, dann mach ich’s doch gleich selbst!
Gute Entscheidung. Eine Lehrstunde in Sachen Komödien-Handwerk ist Karin Beier da mit der Premiere von Ayckbourns Science-Fiction-Groteske geglückt. Was Timing und Tempo und präzise Schauspieler-Führung für das Gelingen eines Theaterabends bedeutet, erschloss sich dem (immer wieder Tränen lachenden) Publikum von der ersten Sekunde an.
„Ab jetzt“ ist sicher nicht Ayckbourns stärkstes Stück, weshalb es auch nicht eben das meistgespielte Werk dieses insgesamt meistgespielten lebenden Dramatikers ist. Viel besser als die Schauspielhaus-Intendantin aber kann man die (einigermaßen absurde) Geschichte um den Komponisten Jerome (Götz Schubert), der sich einen weiblichen Haushaltsroboter anschafft, um seine Ex-Frau zu überzeugen, ihm die gemeinsame Tochter wenigstens zeitweise zu überlassen, nicht auf die Bühne bringen.
Eigentlich schreibt Jerome, der in einer ziemlich miesen Gegend in einer Art Hochsicherheitsstudio lebt, an seinem Meisterstück, einer modernen Komposition über – ausgerechnet – die wahre Liebe, als sich seine geschiedene Frau ankündigt. Sie, die ihm die letzten vier Jahre das gemeinsame Kind entzogen hat, will ihn mit dem Sozialarbeiter vom Jugendamt besuchen, um zu entscheiden, ob es wieder ein Besuchsrecht geben kann. Um vor dem Jugendamt zu bestehen, will Jerome zunächst die Schauspielerin Zoe als seine Verlobte engagieren. Die aber erweist sich trotz eines bis in die letzte Pore hysterischen Erstauftritts als vielleicht einzig normaler, weil empathischer Mensch in der Gesamtkonstellation und tritt recht bald wieder die Flucht an. Jerome ersetzt sie frankensteinesk durch seine Menschmaschine Gou, einen Roboter im weiblichen Körper, ursprünglich als Babysitter auf den Markt gebracht, aber als völlige Fehlkonstruktion längst aus dem Verkehr gezogen.
Gou, die zunächst im Körper von Ute Hannig steckt, läuft zunehmend aus dem Ruder, die Komik entsteht dabei durch das bewusste Fehlinterpretieren eindeutiger Zeichen und Codes, das Aushebeln von Verabredungen. „Ab jetzt“ ist ein Boulevardstück, und Karin Beier macht auch keine Anstalten, künstlich mehr daraus zu stricken. Sie nutzt lieber das (reichlich vorhandene) Potenzial für Slapstick, andauernd knallt jemand gegen eine Wand oder purzelt über ein Sofa oder kämpft (gewissermaßen eine Variante des Klappstuhlklassikers) mit einem superklebrigen Fertiggericht. Alles vollkommen übertrieben, aber dabei exakt getaktet, punktgenau inszeniert auch im stimmigen Wechsel zwischen lautstarkem Durcheinander und rettender Stille. Der perfekte Wahnsinn.
Ute Hannig und Lina Beckmann teilen sich die Rolle der verbuggten Roboterdame, beide machen ihre Sache bravourös. Überhaupt ist der Abend ein Schauspielerfest für ein glänzend eingespieltes Ensemble – weshalb die Schwächen und manche Länge des Stücks auch nicht weiter ins Gewicht fallen. Bis in die kleinsten Auftritte ist die Inszenierung groß besetzt: die junge Gala Winter als Jane, die im Laufe der Pubertät vom süßen Töchterlein (in diesem Stadium gespielt von Karin Beiers Tochter Momina) zum Glatzkopfkerl mit Kinnbart mutiert, möchte man gern öfter sehen. Michael Wittenborn als Jeromes depressiver Freund ist zwar nur per Skype auf der rückwärtigen Sperrholzleinwand zugeschaltet (Bühne: Thomas Dreissigacker), nutzt seine Auftritte aber als feine Kabinettstückchen, das gilt auch für Yorck Dippe als verklemmter Jugendamtsheini.
Dass Götz Schubert als gescheiterter Klangbastler Jerome ein wenig unter seinen Möglichkeiten bleibt, liegt weniger an ihm oder der Inszenierung als an der Vorlage, die einfach nicht dieselbe Vielschichtigkeit und erst recht nicht dieselbe Verrücktheit wie die anderen Rollen bietet und als Gegenpol (und bisweilen schlicht Stichwortgeber) für die durchgeknallten Frauenparts gebraucht wird. Allen voran eben Lina Beckmann. Wie die sich lustvoll durch eine ganze Gefühlsklaviatur von Peinlichkeiten hibbelt und mit Anlauf und Juchu von einem Fettnäpfchen ins nächste hüpft, ist im Grunde allein den Eintritt wert.
Auf der Premierenfeier – nach frenetischem Jubel beim Schlussapplaus – moserten trotzdem einige, so etwas Albernes sei doch eher „Winterhuder Fährhaus mit Abitur“. Ach Gottchen, wie kleinlich. Vor allem nämlich ist es: ein richtig, richtig lustiger Abend!
„Ab jetzt“ läuft am Schauspielhaus u.a. wieder am 7., 25. und 31. März, 20 Uhr, Karten unter Tel. 248713