Wie aus zwei “widersprüchlichen Wahrnehmungen“ eine gemeinsame Erklärung wurde. Ein Übersetzungsversuch.

Hamburg. Schuld ist jetzt das Telefon. Die beiden bislang unversöhnlich scheinenden Positionen der Kultursenatorin Karin von Welck und des Schauspielhaus-Intendanten Friedrich Schirmer im Streit um das Theaterstück "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?" sind nach einem Krisengipfel zum Missverständnis erklärt worden. Zuvor hatte Schirmer der Senatorin versuchte Einflussnahme auf die Inszenierung und damit praktisch eine Zensur-Absicht vorgeworfen. Sie habe ihn in einem Telefonat am Premierentag "umstandslos" zur Streichung des Epilogs der umstrittenen Inszenierung aufgefordert. Von Welck hatte dies bestritten.

Das diesmal persönliche, eine Stunde dauernde Krisengespräch der beiden in der Kulturbehörde gestern Mittag hat nun eine gemeinsame Sprachregelung ergeben: Das "gute Verhältnis" sei "nicht belastet". Die "unterschiedlichen Auffassungen" habe man stattdessen "vollständig klären" können. Wie genau diese vollständige Klärung zweier immerhin diametral entgegengesetzter Standpunkte ausgesehen hat, kommentierte Schirmer im Abendblatt-Gespräch mit den Worten: "Tja, Telefon-Kommunikation. Jeder nimmt so ein Gespräch unterschiedlich wahr."

Man werde, so heißt es in der aus nur vier Sätzen bestehenden Erklärung weiter, "auch in Zukunft ganz selbstverständlich so vertrauensvoll zusammenarbeiten wie bisher". Übersetzt bedeutet das: Niemand möchte zurücktreten - nicht einmal von der ursprünglich behaupteten Position im "Marat"-Streit, wie der Folgesatz zeigt: "Unbenommen des Dissenses in der Bewertung der Inszenierung von Volker Lösch, haben wir uns unserer gegenseitigen Wertschätzung versichert." Heißt übersetzt: Wir haben uns erzählt, dass wir uns mögen (was nicht wahr sein muss, aber wenigstens füreinander und für die Öffentlichkeit behauptet wird) und bleiben trotzdem bei unseren bisher getätigten Aussagen. "Das stimmt nicht", hatte die Senatorin zum Vorwurf der versuchten Einflussnahme behauptet. "Das stimmt doch", der Intendant. Tja, Telefon-Kommunikation. Logisch bleibt trotzdem: Nur einer kann recht haben. Damit man darüber aber nicht zu lange nachdenkt, folgt auch schon das Finale der gemeinsamen Erklärung: "Damit betrachten wir die Angelegenheit als für uns erledigt." Dieser letzte Satz drückt nicht nur die Hoffnung aus, in Zukunft vor lästigen Nachfragen verschont zu bleiben. Er erinnert auch stark an Loriot.

Die bei Schirmers Vertragsverlängerung von der Senatorin angekündigte Etat-Erhöhung für das Junge Schauspielhaus von, wie Schirmer gestern dem Abendblatt bestätigte, "mehr als 250 000 Euro" scheint von der "Marat"-Affäre übrigens nicht berührt - obwohl dafür erst noch Sponsorengelder eingeworben werden müssen. Falls die nicht ausreichen, springt die Kulturbehörde ein. Deren Sprecherin Susanne Frischling jedenfalls bestätigte, dass die Senatorin - vorbehaltlich der Zustimmung der Bürgerschaft - in diesem Punkt zu dem stehe, was sie gesagt habe. Das Schauspielhaus hat es sich vorsichtshalber schriftlich geben lassen.