Intendant bestätigt die versuchte Einflussnahme: “Die Senatorin hat mich aufgefordert, den Epilog zu streichen.“ Heute findet ein Krisengipfel zwischen Senatorin von Welck und Intendant Schirmer statt.

Hamburg. Die Aufregung um die Theaterinszenierung "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?" weitet sich endgültig zur politischen Affäre um die Kultursenatorin aus.

Schauspielhaus-Intendant Friedrich Schirmer bestätigt den im Abendblatt erhobenen Vorwurf, dass Kultursenatorin Karin von Welck auf die Inszenierung Einfluss nehmen wollte: "Sie hat mich aufgefordert, den Epilog zu streichen." Von Welck habe ihn am vergangenen Freitag, dem Tag der Premiere, um einen Rückruf gebeten. Anders als die Senatorin gegenüber dem Abendblatt behauptet hatte, habe sie sich in diesem Telefonat jedoch keineswegs über das Stück informiert: "Sie war bereits informiert", erklärt Schirmer. "Sie war freundlich im Ton, aber umstandslos. Sie beharrte darauf, dass ich der Kultur schade, wenn ich den Epilog nicht streiche."

In dem umstrittenen Schlussteil der Inszenierung werden die Namen der reichsten Hamburger samt Vermögensangaben auf der Bühne laut verlesen. Die Liste der Milliardäre und Millionäre ist einem aktuellen "Manager Magazin Special" entnommen, war also bereits vor der Vorstellung veröffentlicht und wird in Volker Löschs Inszenierung von einem "Armen-Chor" aus tatsächlichen Hartz-IV-Empfängern vorgelesen. Nachdem bereits vier der 28 Genannten einstweilige Verfügungen angedroht hatten, bat inzwischen auch der Hamburger Mäzen und Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma das Theater, seinen Namen aus dem Epilog zu entfernen.

Kultursenatorin Karin von Welck hatte, wie berichtet, in einem von der Pressestelle der Kulturbehörde am Dienstagabend verbreiteten Schreiben heftige öffentliche Kritik an der Inszenierung geäußert, gegenüber dem Abendblatt jedoch jeglichen Versuch einer Einflussnahme bestritten: "Das stimmt nicht." Gestern bekräftigte sie diese Position auf Nachfrage und kündigte ein Gespräch mit dem Intendanten für den heutigen Donnerstag an. In ihrer Stellungnahme hatte von Welck erklärt, "als Bürgerin" sei ihr "die Art und Weise, wie in dieser Inszenierung einzelne Menschen in Misskredit gebracht werden, zuwider". Weiterhin verwies sie auf die "sehr großzügigen Spenden" sowie die Steuern der genannten Millionäre.

Friedrich Schirmer erklärte "äußerste Verblüffung" über die Stellungnahme der Kultursenatorin. "Dass die Senatorin sich bemüht, das Wohlwollen potenter Sponsoren für ihre politische Arbeit nicht zu gefährden, die sie offensichtlich durch den Theatervorgang gefährdet sieht, indem sie auf das wohltätige Tun dieser Menschen verweist, ist nachvollziehbar", entgegnet der Intendant, betont jedoch gleichzeitig: "Dies steht aber während des ganzen Abends nicht infrage und nicht zur Diskussion." Schirmer, dessen Vertrag erst kürzlich von der Senatorin verlängert worden war, wirft Karin von Welck daher nicht nur die Verquickung von Amt und Bürgerstatus vor, sondern ebenso "falsche Schlüsse bei der Betrachtung der Bühnenvorgänge": Das gesellschaftliche Verhalten der aufgelisteten Personen werde weder genannt noch bewertet, ungeachtet der von ihnen erwiesenen Wohltaten. "In diesem Zusammenhang spielt das Zahlen ihrer Steuern als staatsbürgerliche Selbstverständlichkeit keinerlei Rolle", findet Schirmer und fügt leicht süffisant an: "Es sei denn, man wolle sie angesichts der in jüngster Zeit veröffentlichten Fälle von Steuerhinterziehung, die eine ganze Klasse in Verruf gebracht haben, als Wohltaten bewerten." Währenddessen sorgt die Aufführung über Kulturkreise hinaus für reichlich Gesprächsstoff in der Stadt. Auch Ver.di-Landeschef Wolfgang Rose meldete sich zu Wort: "Hamburg ist nicht das Pfeffersackhausen der Kultur. Wenn sich eine Senatorin vor der Uraufführung in die Inszenierung eines Stückes einschaltet und so mit der Autorität ihres Amtes Künstler und Intendanten unter Druck setzt, ist das ein Skandal." Regisseur Volker Lösch, der nicht zuletzt nach einer umstrittenen "Weber"-Inszenierung in Dresden bereits Erfahrung mit Theaterskandalen hat, stellt die Frage: "Leben wir nur in einer scheinbaren Demokratie, in der wohlhabende Cliquen so viel Einfluss auf die Senatorin haben?"

Auf der Theaterwebsite wird unterdessen in großen Lettern ein ganz eigener Lösungsvorschlag unterbreitet: "Das ganze Geld abschaffen!"


"Marat" läuft wieder am 3.11. um 20 Uhr.