Pünktlich zum ersten Gängevierteljubiläum sind zwei Bücher zur Zukunft der Stadt erschienen - sie könnten unterschiedlicher kaum sein.
Hamburg. Eigentlich muss man derzeit gar nicht in den Buchladen, um zu erfahren, was das Land so über Hamburg denkt. Man kann auch einfach in die Bahn steigen, denn dort, in der aktuellen Ausgabe des Kundenmagazins "mobil", sagt der Berliner Soziologieprofessor Hartmut Häußermann bemerkenswerte Dinge: "Hamburg geht sehr aggressiv in den Wettbewerb mit anderen Städten. Was mich dabei wundert: dass die Bewohner sich erst so spät gegen den Wandel ihrer Quartiere zur Wehr gesetzt haben. Immerhin ist es den Bürgern gelungen, im Gängeviertel den Verkauf an private Investoren zu stoppen."
Es liegt viel Wahres in diesen Sätzen, und wer sie gelesen hat und neugierig geworden ist, der sollte dann doch noch kurz im Buchladen vorbeischauen - pünktlich zum ersten Gängevierteljubiläum sind zwei Bücher zum Thema erschienen. In beiden geht es den Wandel der Metropolen und die Frage, welche Kraft die Kultur im Kampf um die kreativen Köpfe entfalten kann. Sie sind von zwei Autoren, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten.
Der eine, Richard Florida, ist Amerikaner und Professor an der Universität Toronto. Der andere, Christoph Twickel ist Hamburger Aktivist und Autor. Die Besetzung des Gängeviertels hat er als Journalist begleitet; was man wissen muss, wenn man sich zum Kauf seines neuen Buchs "Gentrifidingsbums oder Eine Stadt für alle" entscheidet.
Richard Florida, auch das sollte man wissen, ist Ökonom. Seitdem er 2002 seine Thesen zum Aufstieg der "Kreativen Klasse" veröffentlichte, gilt er als Visionär unter den Stadtplanern, der Inhalt seines Buchs ist längst Zeitgeist geworden. Als Stadt, schrieb Florida, könne man im internationalen Wettstreit nur mitmischen, wenn man ein Klima schaffe, in dem sich junge Kreative wohl fühlen. Und das sei besonders deshalb wichtig, weil künftig nicht nur Firmen wie Porsche, Siemens und BMW miteinander ringen, sondern auch Städte wie New York, Hamburg, Berlin und Barcelona. Für seine Vorträge stellt Florida inzwischen 35 000 Dollar in Rechnung, ein Report über die Zukunftsfähigkeit der eigenen Stadt kostet den Steuerzahler bis zu 250 000 Dollar.
In seinem neuen Buch "Reset" zeichnet Florida nun das Bild einer Zukunft, in der "wir anders leben, arbeiten und eine neue Ära des Wohlstands begründen werden". So verspricht es zumindest der Untertitel. Das klingt - interessant. Genauso interessant wie die Vorlesung an einer amerikanischen Universität, in der man sich auch immer bestens unterhalten fühlt, allein schon wegen der Slogans. Und wie schon 2002 entwirft Florida ("Ich habe natürlich keine Kristallkugel") Bilder einer Stadt, in der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer durchlässiger werden, weil immer mehr Menschen von zu Hause arbeiten; eine neue Konsumkultur sieht Florida kommen, in der es um höhere Werte geht und nicht mehr darum, ein tolles Haus zu besitzen. Und all das säuselt so dahin wie der Hintergrundjazz in jedem x-beliebigen Starbuckscafé. Es ist die große Schwäche von "Reset", dass der Inhalt allgemein und wenig konkret ist. Floridas Blick ist der eines Globalflaneurs, der selbst nicht mehr arbeiten muss, der nur noch einfliegt, seine Thesen streut und wieder abhebt. Auf Deutschland konkret geht nur das Vorwort ein.
Nein, wer wissen möchte, was in Hamburg tatsächlich passiert, der sollte das Buch von Christoph Twickel lesen. "Gentrifidingsbums oder Eine Stadt für alle", hat er es betitelt und meint natürlich: Gentrifizierung. Bei Twickel kann man die rasanten Veränderungen Hamburgs der vergangenen Jahre noch einmal in Zeitlupe nachlesen. Das Buch umfasst Interviews und historische Rückblicke; manchmal klingen seine Texte so amüsant und leicht wie der Einstieg in eine Kurzgeschichte. Zum Beispiel, wenn er über die Kubanerin Inés schreibt, die drei Monate lang versucht, in Hamburg das (finanzielle) Glück zu finden. Das Kapitel über die Besetzung des Gängeviertels ist packend, hintergründig, minutiös. Das Akademische, Nebulöse fehlt dem Buch völlig, was gewollt ist. "Ein Vorteil der folgenden Ausführungen liegt vielleicht darin, dass sie aus einer und für eine Grassroots-Perspektive geschrieben sind, für Leute, die sich in eine Polemik über den Wandel ihrer Stadt einmischen möchten. Weniger für Stadtplaner und Urbanismusforscher", schreibt Twickel in seinem Vorwort.
Menschen also wie Florida. Und das ist der ganz große Unterschied zwischen den beiden Autoren: Während Florida schließt, dass in der Ökonomisierung alles Kreativen der Schlüssel der Zukunft steckt, fordert Twickel Nischen für all jene, die sich diesem Prozess entziehen (wollen). "Yuppisierung, Schickimickisierung, Lattemacchiatisierung. Wie auch immer man das Dingsbums nennen mag: Es ist eine Maschinerie, die die Teilhabe an der Stadt über Geld und Herkunft regelt", schreibt Twickel. Aber über das Dingsbums ist ja seit Florida so viel geschrieben worden, dass man mittlerweile selbst in der Bahn über sie liest.