Die Spannung steigt: Am 25. Juli beginnen die Bayreuther Festspiele mit einer Neu-Inszenierung vom „Fliegenden Holländer“.

Hamburg. In wenigen Tagen ist es wieder soweit: Die Bayreuther Wagner-Festspiele beginnen, das traditionsreichste, größenwahnsinnigste und faszinierende Festival, das die Welt der klassischen Musik dem Rest der Welt zu bieten hat. Nachdem im letzten Sommer die Premiere vom „Tannhäuser“ , den der Bayreuth-Regiedebütant Sebastian Baumgarten in einer Biogas-Anlage spielen ließ, von der Kritik unisono verrissen wurde, fragt sich nun die Wagner-Gemeinde, ob und wie die Neuinszenierung des „Fliegenden Holländer“ gelingen wird.

+++ Dirigent Thielemann: Großer Respekt vor Bayreuther Festspielhaus ++ +

Die Regie der romantischen Geschichte eines ruhelosen Seemans entwarf ein weiterer Neuling auf dem Grünen Hügel: Jan Philipp Gloger war unter anderem Assistent der Gruppe „Rimini Protokoll“ am Hamburger Schauspielhaus, seit 2011 ist er Leitender Regisseur am Schauspiel Mainz. Ein Jahr zuvor inszenierte er mit Mozarts „Figaro“ in Augsburg seine erste Oper. Im unsichtbaren Orchestergraben hat ChristianThielemann die musikalische Leitung, der ungekrönte Kronprinz der nach wie vor umstrittenen Festspielchefinnen (und Halbschwestern) Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier.

Thielemann wird nicht nur diese Produktion dirigieren, er übernimmt auch den 2011er-„Tannhäuser“ von Thomas Hengelbrock . Dem Hamburger NDR-Chefdirigenten hat im letzten Jahr ein faszinierend anderes, schlankeres, historisch informierteres Klangbild-Verständnis walten lassen – ein krasser Gegensatz zu Thielemanns Wagner-Perspektive, die eher üppiger, klassischer und breitwandiger daherkommt. Schon im Vorfeld des „Tannhäuser“ hatte es Krach zwischen Hengelbrock und den Wagners gegeben, Grund waren unter anderem zu knappe Probezeiten und wechselnde Besetzungen im Orchester. Hengelbrock erfüllte seine Aufgabe, danach verabschiedete er sich - auf leider unabsehbare - Zeit von dieser Prestige-Adresse.

Die Titelpartie im „Holländer“ singt der Russe Evgeny Nikitin . Bis vor zwei Jahren war Nikitin nebenbei Schlagzeuger in einer Black-Metal-Band, doch auch seine Opern-Karriere liest sich beeindruckend. Der Bass-Bariton aus der Kaderschmiede von Valery Gergiev hat 2002 an der New Yorker Met debütiert und war seitdem viel und gut unterwegs in der Opern-Welt.

Wieder im Bayreuther „Lohengrin“ dabei, den Hans Neuenfels 2010 so beeindruckend in Szene setzte, ist der Heldentenor Klaus Florian Vogt. Aus dem ehemaligen Hornisten des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg ist in international begehrter Wagner-Sänger geworden. Auch in diesem Sommer steht er als Schwanenritter auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses. Heinrich der Vogler wird von Wilhelm Schwinghammer gesungen, den das Hamburger Staatsopern-Publikum seit einigenJahren kennt und schätzt. Annette Dasch kehrt als Elsa nach Bayreuth zurück, die musikalische Leitung hat das Temperamentsbündel Andris Nelsons.

Unmittelbar nach den Bayreuther beginnen die Salzburger Festspiele. Aus Hamburger Sicht ist dort zunächst Richard Strauss’ „Ariadne auf Naxos“ interessant, hat doch Generalmusikdirektorin Simone Young mit dem Strauss-Spätwerk einige Pluspunkte in der vergangenenSaison machen können. Der Salzburger Besetzung allerdings kann die Hamburger Version nicht das Wasser reichen: An der Dammtorstraße sang Youngs Lieblings-Tenor Johan Botha den Bacchus, im „Haus für Mozart“ wird Publikumsliebling Jonas Kaufmann diese Partie übernehmen. Es dirigiert Daniel Harding.

In Bayreuth sind die Wagners nach wie vor am Ruder, in Salzburg beginnt eine in diesem Sommer nach der Zeit mit Ex-Thalia-Intendant Jürgen Flimm und Interims-Chef Markus Hinterhäuser eine neue Ära – die von Alexander Pereira, der zuvor die Oper in Zürich leitete und als Leiter des Wiener Konzerthauses der Chef von Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter war. Die Klassik-Welt ist klein auf diesem Niveau, man kennt sich.

Pereira wird gern mit kulinarischer Programmatik in Verbindung gebracht, doch damit dieses Etikett nicht allzu hartnäckig an ihm klebt, hat er ein ästhetisches Kontrastmittel dazu im Salzburger Opern-Programm: Ingo Metzmacher. In vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von Thielemann, übernimmt der ehemalige Hamburger Generalmusikdirektor, seiner Linie treu bleibend, ein monumentales Meisterwerk des 20. Jahrhundert: Bernd Alois Zimmermanns’ „Die Soldaten“. Und zur Freude der Salzburger Höchstpreis-Kartenkäufer kehrt everybody’s darling Anna Netrebko an die Salzach zurück: für eine Neuinszenierung von „La Bohème“, während ihr früherer Rodolfo, der Tenor-Wonnepropppen Rolando Villazòn, lieber bei einer konzertanten Version von Mozarts „Il re pastore“ im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Vieles, aber nicht alles neu also bei den Salzburger Festspielen, die – wie sollte es in Mozarts Geburtsstadt anders sein – mit einer seiner Opern eröffnet werden, der „Zauberflöte“ in der Regie von Jens-Daniel Herzog und dirigiert von Altmeister Nikolaus Harnoncourt mit dem Concentus Musicus. Es wird das erste Mal sein, dass in Salzburg eine Mozart-Oper auf Originalinstrumenten zu hören ist.

Dass Pereira vor einigen Wochen noch mit Rücktritt drohte, bevor er überhaupt offiziell begonnen hatte, ist mittlerweile schon Festspiel-Geschichtchen. Bei seinem Wutausbruch über die Frage, wie viel Geld ihm für was zukünftig zur Verfügung steht, seien wohl die Pferde mit ihm durchgegangen, ruderte Pereira jetzt zurück. Theaterdonner, wie ihn die Salzburger Kundschaft liebt.

Zur liebgewordenen Bayreuth-Tradition gehören nicht nur der Run auf die günstigen, aber berüchtigt knappen Karten, sondern auch die Interviews mit Mitgliedern der Führungsebene, kurz bevor der Festspiel-Zauber beginnt. In diesem Sommer übernahm Katharina Wagner diese Aufgabe, mit eigenwilligen Äußerungen werbewirksam für Aufmerksamkeit zu sorgen. Sie beklagte im „Spiegel“ unter anderem, dass Bayreuth so abgelegen sei – was dort mit Stirnrunzeln aufgenommen wurde. Hengelbrocks Weggang kommentierte sie mit: Wenn man unbedingt etwas finden will, das man schlechtreden kann, findet man das auch.“ Auch auf die Begrüßung der Gäste vor dem Festspielhaus könnte sie offenbar gern verzichten: „Diese Situation mag ich überhaupt nicht. Das Repräsentieren liegt mir nicht.“ Dafür bekräftigte sie ihre Absicht, gemeinsam mit ihrer Halbschwester ihren bis 2015 laufenden Vertrag verlängern zu wollen.

Unterdessen widersprach Christian Thielemann im „Tagesspiegel“ der Idee, die Dresdner Staatskapelle, deren Leitung er im Herbst übernimmt, zum Festspielorchester zu ernennen, das bislang aus Musikern vieler Spitzenorchester gebildet wird. Thielemanns Kommentar zu Hengelbrock: „Ich sage immer: Das Festspielhauslebt. Das Festspielhaus will liebgehabt werden. Wenn Sie ihm nicht den Hof machen, so wie einer Operndiva, dann wehrt sich das Haus. Wer zu viel verändern will, gerade aus ideologischen Gründen, ist hier falsch. Man kann viel anders machen, aber immer im gesteckten Rahmen.“ Zu seinem „Holländer“-Regisseur Gloger, den er selbst ausgewählt habe, sagte Thielemann: „Der Mann ist ein großes Talent, von dem werden wir noch hören!“ Seine Bayreuth-Begeisterung brachte er auf den Punkt: „Wir befinden uns in einer liebreizenden Region, das Essen istgehaltvoll, es gibt tollen Wein, tolles Bier – und dann knallt da eine „Götterdämmerung“ dazwischen oder ein „Tristan“ bringt einen in Rage. Einmalig! Bayreuth ist eben das bedeutendste Theater der Welt.“

Wie bedeutend es ist, lässt sich Anfang August für den Rest der Welt zumindest erahnen, denn Stefan Herheims „Parsifal“-Inszenierung, dirigiert von Philippe Jordan, wird live in viele Kinos übertragen. In Hamburg werden dann drei UCI-Kinos (Othmarschen Park, Mundsburg, Smart City: Termine hier ) für einige Stunden zur HD-Filiale des Grünen Hügels.