Der Chefdesigner des Modelabels “Herr von Eden“, Bent Angelo Jensen, über Erfolg, Selbstzweifel und Spaziergänge durchs nächtliche Hamburg.

Hamburg. Wer bei ihm punkten möchte, lässt Gummilatschen und Multifunktionsjacken lieber im Schrank. Bent-Angelo Jensen, Chefdesigner des Modelabels "Herr von Eden“ spricht über Erfolge, Selbstzweifel und nächtliche Spaziergänge. Im Interview erklärt der überzeugte Wahlhamburger warum Berlin und Paris nicht das Maß aller Dinge sind und wann ein Designer im Idealfall auch mal gar nichts tragen sollte.

Bent, du bist ja ab und zu im Hamburger Nachtleben anzutreffen. Was trägt ein Modedesigner wie Du, nach einer durchzechten Nacht am Frühstückstisch?

Bent Angelo Jensen: Im Idealfall, gar nichts (lacht). Ich habe schöne lange Hausmäntel gemacht, die von innen mit Samt gefüttert sind. Das Obermaterial variiert von Modell zu Modell. Wenn man am nächsten Tag kein Programm hat, kann man sich darin wunderbar einkuscheln. Ansonsten mag ich auch gerne diese indischen Hosen, die ich entdeckt und mitgebracht habe. In denen schlafe ich auch, weil das ein sehr leichtes Baumwollmaterial ist. Meine neueste Errungenschaft ist ein ganz langes T-Shirt von Rick Owens. Das hat mir ein Freund geschenkt, es ist wie ein Kleid geschnitten. Da brauchst Du auch nichts anderes anzuhaben. Außerdem sind mir Hausschuhe sehr wichtig. Ich besitze ein paar Filzpantoffeln, die mich jetzt schon seit fünf oder sechs Jahren begleiten. Das ist im Grunde das erste, was ich morgens anziehe.

Wie viel Zeit brauchst Du morgens, um das passende Outfit für Deinen Tag auszuwählen?

Jensen: Also in normalen Fällen dauert das gar nicht lange. Teilweise liege ich morgens im Bett und überlege, welches das richtige Outfit für den heutigen Tag ist. Ich schaue dann aus dem Fenster, wie das Wetter ist und entscheide dann rein gefühlstechnisch. Ich habe ein Ankleidezimmer auf drei Ebenen. Irgendein Kleidungsstück sticht mir immer ins Auge, wie ein besonderes Hemd oder eine besondere Hose. Darauf baut sich dann der Rest des Outfits auf.

Hast Du ein bestimmtes Lieblingsoutfit?

Jensen: Darüber könnte man ganze Essays oder Bücher schreiben. Mir persönlich ist ein weißes Hemd am wichtigsten. Das ist die Grundausstattung und lässt den Träger zu jeder Gelegenheit gut aussehen. Dann folgt die Farbe schwarz. Schwarz ist die Ursprungsfarbe von allem. Sie ist klassisch und zeitlos. Natürlich wird das saisonal auch mal abgelöst. Im Sommer trägt man weniger schwarz, sondern eher hellere Farben oder Blautöne. Aber wenn ich mich auf eine Kombination reduzieren muss, ist es ein weißes Hemd und ein schwarzer Anzug.

Gibt es einen "Look", der für Dich gar nicht geht?

Jensen: Mit Partnerlooks tue ich mich tatsächlich schwer. Wenn ein Pärchen zum Beispiel die gleiche North Face Jacke trägt, zieht es sich bei mir zusammen. Außerdem finde ich diese komischen Schlachter- oder Gummilatschen, diese "Crocs", furchtbar. Natürlich ist auch dieser Billigwahnsinn ziemlich fragwürdig. Nur weil eine Jeans bei "Weekday" 10 Euro kostet, sollte man sich nicht jeden Tag eine neue Jeans kaufen. Ich habe hinter die Kulissen geschaut und wenn ich an die Produktionsbedingungen zum Beispiel in Bangladesh denke, klingeln bei mir die Alarmglocken. Das kann einfach nicht gut sein.

Also hat sich Dein Anspruch an Kleidung mit den Jahren verändert?

Jensen: Natürlich entwickelt sich mein Anspruch weiter, vor allem was Materialien und Passformen betrifft. Das ist wie bei jeder Passion oder jedem Hobby. Wenn Du Dich über eine lange Zeit mit Dingen beschäftigst und Deine Sinne wach hältst, entwickeln sich auch deine Grundkenntnisse weiter. Insofern habe ich mich langsam vorgetastet und Tag für Tag mehr Wissen erobert. Dieses Wissen ist nun das Fundament oder der Spielraum, auf dem ich mich bewegen kann.

Inspiriert Dich Hamburg ausreichend für Deine Entwürfe oder musst Du ab und zu doch nach New York oder Tokio reisen?

Jensen: Inspiriert werde ich in jedem Augenblick, ortsunabhängig. Das meiste spielt sich einfach im Kopf ab und ist ja oft auch eine Reflektion auf Dinge, die man gesehen hat. Du kannst mich in irgendein Zelt in irgendeiner Einöde legen und plötzlich poppen dann Bilder auf, die verarbeitet werden. Das ist im Grunde die Inspiration für mich. Eine direkte Inspiration lehne ich ab. In fernen Ländern und Städten bist Du vielleicht achtsamer, es fallen Dinge auf, die es auch hier in Hamburg oder Deutschland gibt. Es kann sein, dass ich in Berlin durch eine Straße gehe und ein tolles Teil an einem Menschen sehe und denke, "Wahnsinn", obwohl es das gleiche Teil vielleicht auch in Hamburg gibt und ich es einfach nur nicht gesehen habe.

Also muss man sich als Designer nicht dem Trend anpassen nach Berlin zu ziehen, weil alle anderen das tun?

Jensen: Um Gottes Willen, auf gar keinen Fall. Wer diesen Gedanken hat, sollte eher in sich gehen und überlegen warum er ihn hat. Du kannst von Hamburg aus genauso Deinen Erfolg erreichen, wie von Berlin aus. Vielleicht teilweise sogar noch einfacher, weil einen die Konkurrenz in Berlin in gewissem Maße erschlägt. Es gibt dort so viele Galerien, und kleine Boutiquen, und unzählige Designer. Es ist gar nicht schlecht, wenn man in Hamburg ein reduzierteres Umfeld vorfindet.

Hast Du die Erfolgsentwicklung des Labels "Herr von Eden" in dem Maße geplant, wie es bisher gewachsen ist?

Jensen: Überhaupt nicht. Alles begann mit der Suche nach dem perfekten Anzug in der Altkleidersammlung. Ich habe unzählige Sortierbetriebe in Deutschland, in Holland und in England gesucht und teilweise aus den U.S.A. Container importiert. Ich wollte den einen perfekten Anzug, der meine Bedürfnisse stillen sollte. Den habe ich aber, aus verschiedenen Gründen, nicht gefunden. Dann kam mir die Idee, selbst einen Anzug zu entwerfen. Ich habe meine ältere Schwester kontaktiert, die als gelernte Schneiderin und studierte Modedesignerin schon unterrichtete. Mit ihr habe ich dann den ersten "Herr von Eden" Anzug entwickelt und das war in meinen Augen auf den Punkt gebracht, ein Modell, wie ich es als den perfekten Anzug empfinden würde. Von da an ging es schrittweise weiter. Weil ich Erfolg hatte, fühlte ich mich motiviert. Ich bin auch ein Typ der auf Erfolg steht, sowohl was das Finanzielle als auch die kreative Entwicklung betrifft. Das war kein Plan, wie meine Schuhkollektion oder das Parfum. Das kam immer aus dem eigenen Impuls heraus, und dann habe ich mich dahinter geklemmt. Das Schuhthema ist auch ein leidiges Thema. Da weiß ich heute immer noch nicht, wo ich meine Kunden hinschicken kann. Das ist wirklich nicht einfach. So kam eins zum anderen. Aber man kann sagen, ich bin einfach nur drauflos gelaufen.

Wie ist Deine Meinung: Gibt es einen eigenen „Hamburger Stil“ oder passt sich die Stadt nur den Trends an, die in anderen Metropolen geprägt werden?

Jensen: Heutzutage gibt es natürlich vor allem internationale Trends, die durch globale Ketten wie "H&M“ "ZARA“ und "COS“ über Grenzen hinaus etabliert werden. Aber es gibt, genauso wie den Berliner Stil, einen typisch-hanseatischen Stil. Das fängt mit einem doppelreihigen Blazer mit Goldknöpfen an und zieht sich mit diesem anglophilen Stil der Tweed-Mode oder der Barbour-Jacken bis zur Cordhose durch. Es ist ein gewisser Popperchic, der vielleicht noch bis in die 80er Jahre zurückreicht. Für mich ist der Hamburger Stil nicht wichtig, aber auch nicht von Nachteil. Wir haben auch viele englische Elemente in unseren Kollektionen, wie diese Tweed-Sakkos. Die kommen hier gut an, aber die kommen in Berlin genauso gut an.

Also gibt es jetzt nichts, abgesehen vom Blazer und der Tweed-Mode, dass jetzt nur für Hamburg steht?

Jensen: Also das einfach nur auf die Mode herunter zu brechen, ist ein bisschen zu engsichtig. Natürlich gibt es eine gewisse Attitüde und einen Hamburger-Chic, aber da gehört viel mehr dazu als nur ein Kleidungsstück. Das gleiche gibt es in Berlin auch. In meinem Umfeld haben wir uns natürlich alle mit dem Thema Berlin auseinander gesetzt und da gibt es auch den nicht gerade löblichen running gag: "Oh, it’s so Berlin." Also man weiß, was der Berliner Style ist, aber ich finde es engstirnig zu glauben, dass alles in Berlin so ist. Das gleiche gilt auch für andere Städte wie München oder Köln. Ich finde es faszinierend, wenn Städte einen gewissen Stil oder Lifestyle einfach verankern, den man nicht nur hört und spürt, sondern den man erlebt. Daran kommt man nicht vorbei, aber man darf sich davon auch nicht ablenken oder dominieren lassen. Man spielt im Grunde genommen mit den verschiedenen Styles.

Also bekommt man als Designer mit den Jahren ein sichereres Gespür für Mode?

Jensen: Natürlich. Ich bin jetzt nicht der Typ, der ein Abo von diversen Mode-Fachzeitschriften hat. Hin und wieder kaufe ich mir ein Magazin, aber das bleibt dann meist relativ ungelesen. Das ist vielleicht nicht unbedingt löblich, aber Mode ist ein Thema mit dem ich mich tagtäglich beschäftige. Ich kann relativ schnell einstufen, was mich an einem Outfit anspricht und was ich eher unvorteilhaft finde. Ich habe ein Gespür für die Dinge, die ich sehe. Da ich jetzt schon ein Unternehmen mit 30 Mitarbeitern leite, habe ich auch eine gewisse Verantwortung und da müssen die nächsten Schritte wohl überlegt sein. Ich beschäftige mich mit Dingen, wie sich gewisse Schnitte verhalten und inwiefern sie für meine Kunden von Vorteil sind. Dadurch schult sich das Auge natürlich.

Berätst Du Kunden auch noch persönlich?

Jensen: Ja gerne, wenn sich das ergibt. Natürlich lässt es die Zeit nicht mehr so zu. Aber durch die Nähe zum Atelier und zum Büro kommt es wieder häufiger vor. Immer wenn ich in einer Filiale zu Besuch bin, müsstest Du mir schon ein großes Pflaster auf den Mund kleben. Da kommentiere ich im Grunde jede Situation und stehe den Kunden gerne mit meinem Rat zur Seite. Das ist ja auch eine Liebe, die mich zu dem gebracht hat was ich heute tue. Ich habe kein Problem mit Nähe zu fremden Menschen. Beim Anziehen und ausziehen bist Du ja relativ nah mit Kunden in Kontakt. Ich mache das eigentlich sehr gerne.

Freizeit ist natürlich auch ein wichtiger Aspekt. Wie sieht denn Deine persönliche Kulturszene in Hamburg aus?

Jensen: Ich bin ein Musikliebhaber und interessiere mich allgemein für Bildende Kunst. Mir sind vor allem Ausstellungen und das Musik- und Nachtleben wichtig. In Hamburg gibt es ja diverse Anlaufpunkte wie Galerien, Spielstädten oder Bars. Das ist meine persönliche Kulturszene.

Hast Du ausreichend Möglichkeit das Angebot zu nutzen oder bist Du ein Workaholic?

Jensen: Du musst versuchen die Balance zu halten und brauchst natürlich auch einen Ausgleich. Ich mache zum Beispiel auch Sport. Was bisher in den letzten 15 Jahren nicht richtig funktioniert hat, ist eine Beziehung. Das habe ich bisher noch nicht eingepflegt bekommen, aber ansonsten ist neben der Arbeit auf jeden Fall Platz für einen kulturellen Ausgleich.

Vom Lumpenhändler zum Designer. Das hast Du selbst einmal in einem Interview gesagt. Mit Deinem Erfolg haben sich auch die Preise, und Dein Kunden-Klientel geändert. Wie stehst Du dazu?

Jensen: Ich habe nicht den Eindruck, dass wir das alte Klientel auf dem Weg zurückgelassen haben. Im Grunde wachsen wir mit den Kunden und die Kunden wachsen mit uns. Als ich mit dem ersten Secondhand-Laden angefangen habe, war ich 18 Jahre alt. Inzwischen bin ich 34. Natürlich haben sich in den Jahren, neben meinen eigenen Fertigkeiten, auch meine Branchenkenntnisse und damit meine Ansprüche bezüglich Qualität und Stoffe weiterentwickelt. Ja, die Anzüge liegen inzwischen schon bei 700 oder 800 Euro, aber das liegt ganz einfach auch daran, dass die Qualität gesteigert wurde, gerade was das Material und die Verarbeitung betrifft. Außerdem sind auch die Stoffe im Preis gestiegen und dann kam der Euro-Wechsel. Das haben wir natürlich alle zu spüren bekommen und da kann ich nicht als einziger wie "Don Quijote" gegen die Windmühlen ankämpfen. Aber ich denke, dass wir das Preisniveau noch relativ moderat gehalten haben.

Wenn ich aber einen Anzug, wie wir ihn produzieren, mit in die Innenstadt nehme und mich umschaue, dann finde ich diese Qualität nicht bei "COS“ oder Boss, sondern eher bei "Zegna". Und wenn ich mir dann die Preise anschaue, steht da überall noch eine eins davor. Insofern denke ich nicht, dass wir uns einem totalen Sell-out hingegeben haben sowie andere Firmen das oft erlebt haben. Bisher ist es ja noch immer "Firma Eigen", ohne fremde Investoren. Natürlich stehe ich bei der einen oder anderen Bank in der Kreide, aber das ist alles überschaubar und ich brauche im Grunde auf niemanden zu hören als auf mein schlechtes Gewissen oder meine Mitarbeiter. Natürlich partizipiere ich auch von den Erfah-rungen aus den letzten Jahren.

Letztendlich hast Du es ja vom Secondhandshop bis zum Chefdesigner des eigenen Labels geschafft, ganz ohne Studium. Hattest Du besonders viel Glück oder warst Du besonders ehrgeizig?

Jensen: Ich war definitiv sehr ehrgeizig, habe aber auf dem ganzen Weg auch jede Menge Glück gehabt. Ich bin meiner Passion jeden Tag gefolgt und habe mich dadurch zum Autodidakten weiterentwickelt. Mein gesamtes Hab und Gut habe ich immer ins Unternehmen gesteckt, wodurch ich immer zu Höchstleistungen angetrieben wurde. Die Passion, das Kalkül, die Emotionalität und die Rationalität haben mich dabei motiviert. Natürlich willst Du Dich auch gegenüber der Familie, den Freunden, der Gesellschaft und auch der Branche beweisen. Um Deinen Standpunkt klarzumachen, darf das dann nicht schief gehen.

Hattest Du manchmal Zweifel, Dich mit dem Beruf des Modedesigners zu identifizieren?

Jensen: Ich bin nicht abgehoben und denke, dass ich alles mit links schaffe. Zweifel habe ich natürlich immer wieder mal. Ich habe auch schon mal eine Kontopfändung erlebt. Manchmal gibt es auch Probleme mit Angestellten. Die Mitarbeiterführung habe ich natürlich auch nicht gelernt und der Erfolg ist ja nicht nur mir allein zuzuschreiben. Dank meiner Mitarbeiter sind wir bestens aufgestellt. Es sind eher äußere Bedingungen die einen behindern, wie Budgetengpässe. Deshalb können wir beispielsweise noch nicht an den Schauen in Paris teilnehmen. Im Grunde ist alles auf den Erfahrungen und Visionen aufgebaut, die ich habe. Ich habe mir erst vor vier Jahren eingestanden, dass ich was Stil betrifft, wirklich etwas drauf habe. Dazu kommen meine Überzeugungen, die Reflektion, das bisschen Intellekt und meine Kreativität. Ich weiß, wie groß die Herausforderung ist. Trotzdem habe ich die Überzeugung nie verloren und immer gewusst, dass das Zeug dazu da ist.

Aber es war eine Entwicklung.

Jensen: Definitiv. Da ich erst vor vier Jahren wirklich realisiert habe, dass ich ein kreativer Typ bin, waren meine Vorstellungen vor acht Jahren noch etwas kindlicher und verträumter. Die Visionen hatte ich aber damals schon. Einige Zeit fühlte ich mich mit "Herr von Eden" auch unterfordert. Als ich mit einem Anzug anfing und ein halbes Jahr später zwei, und später 10 verschiedene Modelle produzieren ließ, hatte ich natürlich nicht das Gefühl in einem Modeunternehmen tätig zu sein, geschweige denn an Kollektionen zu arbeiten. Daraufhin habe ich mich tatsächlich bei "Dior" beworben weil ich dachte, dass ich das parallel zu meinem eigenen Label machen könnte. Die fanden das aber nicht so gut und haben mir eine schöne, höfliche Absage erteilt. Teilweise saß ich Wochen lang da und hatte nichts zu tun.

Was hast Du getan, um diese Zeit zu füllen?

Jensen: Natürlich war ich trotzdem mit dem Aufbau des Unternehmens beschäftigt. Für drei Jahre hatte ich mal einen Laden in Kopenhagen, aber das funktionierte nicht so gut. Dann hieß es erst einmal wieder Rückzug. In dieser Zeit habe ich viele Freunde besucht und bin allgemein viel gereist. Ich war für jeweils einen Monat in Mexico und Tansania. Außerdem war ich auch zwei- drei Mal in Indien. Diese Reisen habe ich von Jahr zu Jahr gemacht und die Zeit damit eigentlich ganz gut genutzt.

Trotzdem ist Hamburg Deine Homebase. Was bedeutet die Hansestadt für Dich persönlich und was schätzt Du an ihr?

Jensen: Ich bin ein bisschen irre, da ich sehr viel zu Fuß gehe. Wenn ich zum Beispiel im Golem am Fischmarkt bin, dann kommt es häufig vor, dass ich zu Fuß nach Hause gehe, obwohl ich in St. Georg wohne. Das sind ungefähr 35 bis 40 Minuten, je nach Promillegehalt. Tatsächlich schätze ich in Hamburg die kurzen Wege. Ich brauche mir keine Gedanken zu machen, wo eine Veranstaltung stattfindet. Mit dem Fahrrad erreicht man alles noch viel schneller. Deshalb habe ich auch schon seit zehn Jahren kein Auto mehr. Außerdem mag ich die verschiedenen Stadtteile, wie St. Pauli, St. Georg und die Innenstadt, so schön klassisch wie sie sind. Natürlich genieße ich auch die Innen- und die Außenalster, die Elbe, den Hafen, also das Tor zur Welt wie man so schön sagt. Im Grunde genommen ist es alles in allem die Lebensqualität, die ich schätze.

Was stört Dich am meisten an der Stadt Hamburg?

Jensen: Die Wohnungsnot und die damit verbundenen hohen Mieten würde ich gerne abschaffen. Wenn ich jetzt an die Bernhard-Nocht-Straße oder überhaupt an St. Pauli denke, ist es natürlich extrem bedauerlich, dass die Mieten ins Absurde steigen. Natürlich trage ich auch zur Gentrifizierung des Karolinenviertels oder des ganzen Schanzenviertels bei und bin da auch nicht sonderlich stolz drauf, aber irgendwo muss ja eine Entwicklung passieren. Ehrlich gesagt finde ich es gut, dass im Karolinenviertel Häuser saniert werden, denn dann steigert sich auch die Lebensqualität für die dortigen Bewohner. Natürlich ist es bedauerlich, wenn sich die Urbewohner das quasi nicht mehr leisten können. Das liegt auch an dem Zuzug der ganzen Studenten, die von zuhause aus finanziell unterstützt werden und bereit sind die wahnwitzigen Mieten dort noch zu zahlen. Andererseits bin ich ja Kaufmann und weiß, dass Angebot und Nachfrage die Mieten bestimmen. Und wenn einfach 10.000 junger Leute für sich entscheiden, unbedingt auf St. Pauli wohnen zu wollen und die Mieten dadurch in die Höhe schnellen, kann man nicht unbedingt sagen, dass dies nur an der Gentrifizierung liegt.

Ich wohne in einem Altbau und genieße das. Aber die Gentrifizierung mit all ihren negativen Seiten, spricht mich dann doch irgendwo an. Ich stehe zugegeben auch ein bisschen auf "poshen" Luxus, wie eine Neubauwohnung mit Elbaussicht. Das kann ich mir selbst nicht leisten, aber ich versichere Dir, wenn ich irgendwo in der Hafencity auf einem fetten Balkon auf die Containerterminals gucken könnte, wo 100 Quadratmeter für 10 Euro pro Quadratmeter zu haben sind, würde ich da sofort einziehen.

Wenn Du das Umfeld betrachtest in dem Du Dich bewegst: Wo in Hamburg fühlst Du Dich überhaupt nicht wohl?

Jensen: Altona ist für mich nicht wirklich erschlossen, das heißt aber nicht, dass ich das Viertel nicht mag. Dann der Bereich um Pöseldorf und Harvestehude ist auch etwas komisch. Ich habe den Eindruck, dass da die Schotten wirklich dicht sind. Da wirkt alles sehr verschlossen. Ich fühle mich dort nicht sonderlich gut aufgehoben und ich denke wo Du Dich unwohl fühlst, ist der schlimmste Ort Hamburgs, ganz einfach.

Was ist Dein Lieblingsort in Hamburg?

Jensen: Ich glaube mein Lieblingsort ist das Umfeld in dem ich mich bewege, lebe und arbeite. Sei es das Atelier, das Büro, der Laden in der Marktstraße oder auch meine Wohnung in St. Georg. Ich gehe zum Beispiel zu Fuß durch die Innenstadt hierher, also von St. Georg 10 oder 12 Minuten über den Rathausmarkt, den Jungfernstieg, die Bleichenbrücke und den Axel-Springer-Platz. Ich mag diesen Weg sehr gerne. Außerdem bin ich auch ein Fan von dem Karolinenviertel und St. Pauli. Ein guter Freund von mir ist gerade von Köln nach Hamburg gezogen und wohnt in einer kleinen Bude, mitten auf St. Pauli.

Der Radius Deiner Mode zieht auch immer größere Kreise. Schmeichelt es Dir, wenn Still-konen wie Lady Gaga eine Deiner Sonnenbrillen trägt?

Jensen: Das schmeichelt mir nicht nur. Da freue ich mich wie ein kleines Kind, wenn ich die Fotos in der Presse sehe. Lady Gaga hat 200 Stück zur Auswahl, die ihr alle geschenkt werden und wenn sie sich dann aus Überzeugung für meine entscheidet, gibt mir das auch immer wieder den nötigen Schub und die Kraft dran zu bleiben, auch wenn der Wind manchmal sehr hart von vorne bläst.

Ging das von Eurem Label aus, dass Ihr Lady Gaga die Brille geschenkt habt?

Jensen: Nein. Wir gehen nicht auf die Leute zu. Das lief über eine ihrer Stylistinnen. Die sind in der ganzen Welt unterwegs, haben die Brille in Berlin entdeckt und sie ihr vorgelegt. Wir statten verschiedene Künstler, meistens aus der Musik, aus. Aber niemand bekommt die Produkte einfach geschenkt. Natürlich bin ich auch selber Fan von der einen oder anderen Person und es gibt einige Leute, die ich gerne ausstatten würde, wie David Bowie, Johnny Depp oder Mads Mikkelsen. Der hat übrigens auch schon ein paar Sachen von uns. Wir gehen aber nicht auf die Leute zu, weil wir dazu die Potenz und das Budget noch gar nicht haben. So etwas wächst zusammen, wie bei Gonzales, dem Musiker. Den habe ich vor zehn oder zwölf Jahren in Berlin durch gemeinsame Freunde kennengelernt und daraus entwickelte sich eine Zusammenarbeit, genau so bei Jan Delay. Durch Jan habe ich dann Udo Lindenberg kennengelernt, der mittlerweile auch ein Fan geworden ist und vorgestern hat Thomas Gottschalk angerufen. Im Grunde kann ich behaupten und unterstreichen, dass alle auf uns zugekommen sind.

Jetzt mal abgesehen von Deiner Passion. Gefällt Dir die Modebranche an sich?

Jensen: Wir, als Label "Herr von Eden", halten uns noch relativ stark aus dem ganzen Modezirkus heraus. Wir nehmen an keinen Messen teil, und sehen uns auch nicht in der Pflicht saisonal Zwischenkollektionen liefern zu müssen. Das hat schon ein bisschen etwas von der Maus im Laufrad. Natürlich gibt es einen ganzen Haufen Leute, mit denen ich nichts teile und auch nicht beabsichtige das in Zukunft zu ändern. Auf der anderen Seite gibt es aber auch ganz viele wunderbare Menschen, die sich in der Mode entfalten. Ich freue mich immer wieder, diese Art von Leuten zu treffen. Das ist wie in der Musik. Da gibt es den Kommerz, da gibt es die Maschinerie und da gibt es Talente, genauso wie die Trottel. Ich selbst bin nicht wirklich Teil des Szenarios. Mit den Zielen die ich mir im Laufe der nächsten zehn Jahre abgesteckt habe, werde ich es aber vermutlich werden. Ich denke, dann werde ich einfach stolz sein, dass ich es geschafft habe und freue mich dazuzugehören.

Du hast eben Thomas Gottschalk erwähnt. Wenn ich jetzt an meinen Vater denke: Der ist 64 Jahre alt, ca. 1,73 Meter groß, trägt Halbglatze und ist etwas fülliger. Würde der auch einen Anzug bei Dir finden?

Jensen: Das kommt darauf an, wie viel fülliger er ist. Wir arbeiten inzwischen, das hat auch Jahre gedauert, mit zwei Passformen. Es gibt nicht nur die Slimline für Hungerharken wie uns, sondern auch eine reguläre Passform. Bis zu einem gewissen Maß passen die Anzüge auch fülligeren Menschen. Wir bieten natürlich auch Maßanfertigung an. Also bisher haben wir hier noch jede Figur in einen Anzug verpackt bekommen.

Hast Du einen Traum, wo Du die "Herr von Eden-Mode" gerne noch sehen würdest?

Jensen: In zwei Jahren möchte ich gerne an den Schauen in Paris teilnehmen. Darüber hinaus träume ich von einem eigenen Laden in New York und Tokyo. Das reicht mir. 20 weitere Filialen in Deutschland brauche ich nicht. Ich selbst würde auch gerne einige Zeit im Ausland leben. Nicht nur vier Wochen oder zwei Monate, sondern wirklich den Wohnsitz hier abmelden und woanders anmelden. Das ist so eine Herausforderung, die ich auf jeden Fall gerne noch mal annehmen möchte.

Gibt es denn drei Dinge nennen, die Du in Hamburg vermisst?

Jensen: Verglichen mit anderen Ländern oder Städten, bestimmt das eine oder andere kulinarische Highlight. Das betrifft vor allem die vegetarische Küche, da ich ja schon seit zehn oder zwölf Jahren vegetarisch lebe. Dann doch auch ein gewisser Stil, gerade wenn ich an London, Tokyo oder auch Berlin-Mitte denke. Ob das nun junge Menschen oder ein älteres Publikum betrifft. Ich nenne es mal Stilbewusstsein, das in anderen Städten einfach anders ist.

Was mir sonst noch in Hamburg fehlt, ist die Vermischung der gesellschaftlichen Schichten und der verschiedenen Kreise. Das wäre eigentlich durchaus möglich, weil die Stadt nicht so groß ist und nicht in so viele verschiedene Stadtteile abgegrenzt ist, wie Berlin. Hier in Hamburg ist alles kompakter. Alle in der Oberschicht wissen um das Schanzenviertel und umgekehrt wissen alle um die Elbchaussee. Es wird die Elbphilharmonie gebaut und in St. Pauli sterben dafür ein paar Klubs. Die Balance ist nicht so richtig gegeben. Es mag vielleicht naiv und nichtsagend klingen, aber tatsächlich fehlt mir diese Durchmischung.

Das Interview führte Michael Mennekes

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