Sie gilt als die Jeanne D'Arc der Hamburger Musik, führt den Verein RockCity: Im Abendblatt spricht Rothaug über ihre Musik- und Heimatstadt.
Hamburg. Sie gilt als die Jeanne D'Arc der Hamburger Musik. Andrea Rothaug engagiert sich seit 2002 als Geschäftsführerin des Vereins RockCity für Bands und Künstler aus der Hansestadt, ist Autorin, Coach und Dozentin. Andrea Rothaug wurde 1965 in Hamburg geboren. Sie ist Mitbegründerin der Hanseplatte, dem ersten lokalen Musikladen der Welt, dem Clubkombinat und dem Interessenverband Hamburg hoch 11. Im Interview spricht die 46-Jährige über die Besonderheiten der Musikstadt Hamburg und die eigene Beziehung zu ihrer Heimatstadt.
Frau Rothaug, Sie schreiben über sich selbst: "Mit 13 Jahren entdeckte sie den Punkrock und entschied, die Regierung zu stürzen. Ihre Eltern zogen es daraufhin vor, das Kind aus der Stadt zu entfernen." Was steckt da genau hinter?
Andrea Rothaug: Dahinter steht, dass ich mitten in der Pubertät aufs Land gezogen bin, nach Lütjenburg an der Ostsee, auch bekannt als Schmalensee. Von den dortigen Dorfpunks wurde ich maßgeblich im Andersherumdenken unterrichtet. Und diese Denkweise ist bis heute erhalten geblieben.
Aber Sie wollen nicht mehr die Regierung stürzen, oder?
Rothaug: Wollen wir das nicht alle irgendwie? Letztlich bleibt es für mich wichtig, Prozesse kritisch und von mehreren Seiten zu beleuchten, scheinbar Selbstverständliches nicht einfach hinzunehmen.
Und woher stammt die Bezeichnung "Jeanne D'Arc der Musik"?
Rothaug: Von Kollegen. Manchmal fällt auch der Begriff "Iron Maiden". Wenn man wie wir bei RockCity-Sachen anders denkt und nicht so gerne alles abnickt, dann begegnet man manchmal auch Widerständen. Dies als Frau mit zweitausend Musikern im Rücken zu tun, da brauchst du ganz schön Muckis.
Warum ist Hamburg ein guter Ort für Musiker?
Rothaug: Die Qualität der Textdichter und Songwriter im Bereich deutschsprachiger Gitarren-Pop mit klugen Texten ist sehr hoch. Viele Musiker arbeiten seit Jahren kontinuierlich zusammen, andere eher projektbezogen. Die geografische Nähe macht’s, man kennt sich. Vieles zentriert sich um Hamburg-Mitte, um den Kiez, um St. Pauli, die Schanze. Auch die hohe Club-Dichte ist ein Pfund mit dem Hamburg wuchern kann. Es wird fleißig und gut miteinander gearbeitet. Hamburg hat zudem ein internationales Flair. Und dann ist da noch die sogenannte "Hamburger Schule", "deutschsprachiger HipHop" und der ganze experimentelle Kram.
Welche Rolle spielt Ihr Verein RockCity für die Musikszene in Hamburg?
Rothaug: Je stärker sich der Musikmarkt von der Kunst und ihren Erfindern zurückzieht, desto kräftiger wird unsere Funktion. Der Zulauf ist groß, die Beratungsfrequenzen ebenfalls, denn wir arbeiten eng mit den verschiedenen Szenen, Institutionen und Musikschaffenden zusammen. Wir haben eine hohe Glaubwürdigkeit. Daran liegt es wohl, dass wir so aktiv wahrgenommen werden.
Was passiert genau, wenn eine Band zu Ihnen kommt?
Rothaug: Meist geht es um Wissenstransfer in verschiedenen Bereichen wie zum Beispiel Existenzgründung, Performance oder Recht, klassische Nachwuchsförderung eben. Jeder Musiker bekommt das, was er gerade braucht, egal, ob er schon länger dabei ist oder ein absoluter Beginner im semiprofessionellen Bereich.
Klingt nach dem perfekten Weg in die Musikbranche …
Rothaug: Den perfekten Weg gibt es leider nicht. Aber wenn ein Musiker es geschafft hat, zu uns zu kommen, dann finden wir einen Weg in die Branche – wenn es ihn für die Person oder Band denn gibt. Hier lernen und erfahren die jungen Künstler erst mal, was es gibt, was man braucht und was man nicht braucht. Von da aus kann man Schwerpunkte bilden und überhaupt mal die Strukturen kennenlernen. Aber natürlich gibt es auch andere Wege. Etwa ein- bis zweimal im Jahr kommt es vor, dass ich hier sitze und sage: "Das ist super heiß. Das muss sofort irgendjemand hören." Dann bemühen wir das dicke Netzwerk.
Was haben Sie als gebürtige Hamburgerin während der Zeit auf dem Land am Stadtleben vermisst?
Rothaug: Etwas, das bis heute so geblieben ist: Wenn ich auf dem Land bin, vermisse ich am meisten den Geruch, wenn es in der Großstadt regnet. Der Geruch nach Staub, dem Müll, der Hundescheiße und allem, was dazu gehört, also dieses "Fertige". Was ich auch vermisst habe, war die kulturelle Infrastruktur. Plattenläden, Kino, Clubs – aber Plattenläden gibt es ja heute auch in der Großstadt kaum noch.
Warum haben Sie sich bei Ihrer Rückkehr ins Urbane für Hamburg entschieden?
Rothaug: Meine Freunde waren hier. Außerdem spielte hier die Musik und es war schön provinziell, keine wirkliche Großstadt wie Berlin, New York oder London.
Was gefällt Ihnen denn nicht an Hamburg?
Rothaug: An Hamburg fehlt mir der "schräge Ton". Das Schiefe einfach mal zulassen und es nicht misstrauisch beäugen. Mehr Berlin-Style. Die Hamburger könnten auch etwas frecher sein, weniger regelverliebt. Und vor allem ihre Künstler mehr lieben und pflegen.
Was ist in Berlin genau anders?
Rothaug: Dort sind die Lebenshaltungskosten geringer. Man kann später beginnen, an Geld zu denken. Außerdem hängt in Berlin die Struktur weniger stark geographisch zusammen als in Hamburg. Und durch die Öffnung Berlins entstehen Experimentierflächen, auf denen man mit wenig Geld Sachen ausprobieren kann. In Hamburg brauchen wir immer ein gewisses Portemonnaie, bis wir überhaupt anfangen können.
Welcher ist Ihr Lieblingsort in Hamburg, privat und musikalisch?
Rothaug: Mein Lieblingsort privat ist der Wohlerspark direkt vor meiner Haustür. Ich halte mich da unheimlich gerne auf, weil es sehr friedlich und grün ist. Musikalisch ist das unterschiedlich. Aber insgesamt würde ich sagen irgendwo zwischen Muschel in Planten un Blomen und Paternoster am Grindel.
Zum Abschluss: Was sind Sie noch nie gefragt worden, was Sie aber immer schon mal loswerden wollten?
Rothaug: Mich fragt nie jemand, welche Musik ich höre, oder was mein Lieblingsgenre ist. Theater, Musik oder Literatur. Ich wäre auch gerne gefragt worden: Wenn Sie auf eine einsame Insel gehen, Wort oder Ton?
Und: Wort oder Ton?
Rothaug: Wort.
Das Interview führte Alexander Mohr
Vorherige Gesprächspartner der Interview-Reihe
Barbarez: "Hamburg war meine erste Liebe"
Schnell: "In Hamburg ist alles ein wenig entschleunigter"
Deichkind: "Hamburg ist eine sehr stolze Stadt"