Seit den 90ern erheitern sie die Gemüter: Mit dem Abendblatt sprechen Deichkind über ihre Fanbase, Heimat und wo sie ihren Alltag verbringen.
Hamburg. Die in Hip-Hop-Kreisen und der Hamburger Partyszene bestens bekannte Bandformation Deichkind erheitert seit den 90ern die Gemüter. Alte Hasen wippen mit dem Beat zu "Bon Voyage", Partygänger der jüngeren Generation schreien Yippie Yeah zu "Remmidemmi". Und obwohl die drei Rampensäue inzwischen Deutschlandweit bekannt sind, haben die Hamburger Jungs in der Hansestadt ihre größte Fanbase und sind ihrer Heimatstadt im Herzen immer treu geblieben – auch wenn nicht mehr alle ihren Alltag hier verbringen.
Wie sehr liegt euch Hamburg eigentlich am Herzen?
Ferris MC (aka. Ferris Hilton aka. Sascha Reimann, MC): Hamburg ist einfach die geilste Stadt und hat die beste Luft.
Porky Codex (aka. Sebastian Dürre, Bassist): Es ist ne Hansestadt, die eigenständig ist, durch den Hafen eben. Hamburg po-larisiert auch. Es gibt immer was neues, Drogen werden eingeschifft. Hier gibt es immer gu-tes Hasch.
Ferris: Hamburg ist einzigartig und muss den anderen Städten nicht mal was voraushaben. Hamburg ist einfach geil. Ich hasse Berlin.
Verbindet ihr etwas Bestimmtes mit Hamburg?
Alle: Wenn man hier rum läuft, dann ist das wie bei jedem anderen auch.
Keine heimatlichen Gefühle?
Alle: Doooch!
Philipp (Grütering, MC/Sänger): Wenn ich mal zu meinen Eltern fahre schon.
Ferris: Es klingt zwar klischeemäßig, aber wenn ich mal woanders war und ich komme wieder nach Hamburg, bin ich immer froh. Immer wenn ich in Berlin bin, fahre ich am gleichen Tag noch nach Hause, weil ich es dort nicht aushalte. Da treibt mich nur das Musik machen hin. Und ein paar Burgerläden die ganz geil sind und die hier fehlen. Ich finde Berlin sieht einfach fast überall gleich aus, ist durchgerottet und kaputt und jeder Assi der billig wohnen will, wohnt da.
Wenn sowas typisch Berlin ist, was würdest du sagen ist typisch Hamburg?
Porky: Blonde Segler-Mietzen mir riesen ... (lacht)
Ferris: Für mich ist das eine reine Gefühlsgeschichte, denn ich fühle mich hier einfach wohl. Und ich bin sogar nur Wahl-Hamburger. Ich freue mich, wenn ich nach Hause kommen kann, denn ich reise häufig rum, war schon in jeder beschissenen Stadt und es ist einfach nicht vergleichbar. Ich bin einfach nur hier heimisch.
Ihr erinnert euch alle sicher noch an das gute, alte Bergedorf?
Alle: Ja!
Philipp: Ferris, du bist doch sicher in der Lola, also im Jugendzentrum Lola, entdeckt worden!
Ferris: Ne, bin ich nicht!
Porky: Der Bergedorfer Bahnhof ist jetzt weggerissen worden. Aber ich hab noch ein Foto vom alten Bergedorfer Bahnhof, von 1996. Das ist auch schon wieder fast 20 Jahre her.
Was gefällt Euch an Hamburg denn nicht?
Philipp: Hamburg ist eine sehr stolze Stadt. Eigentlich bin ich jemand, der trotzdem immer in Hamburg bleiben wollte, aber es hat mich dann doch nach Berlin getrieben.
Ferris: Er hat sich in Berlin verliebt! Wegen seiner Frau ist er nach Berlin gezogen.
Philipp: Genau, ich wollte erst gar nicht nach Berlin ziehen. Aber wenn ich jetzt mal nach Hamburg komme, denke ich immer "krass“. Barbour-Jacken und HSV-Baseballmützen sind nicht so mein Ding.
Ferris: Hab ich HSV-Sachen an?! Ich bin doch gar nicht fußballaffin.
Hamburg hat die unterschiedlichsten Stadtviertel. Wo in Hamburg trifft man das ursprünglichste Publikum?
Porky: In Barmbek!
Ferris: Da ist sein Hasch-Dealer, sonst nichts. Aber über solche Sachen machen wir uns gar keine Gedanken. Das Denken in Vierteln ist irgendwie ganz weit von uns entfernt und auch eine Altersgeschichte.
Philipp: Wir sind keine Lokalpatrioten.
Dieses lokalpatriotische ist ja doch eigentlich typisch Hamburg, oder?
Ferris: Nein, überhaupt nicht. Ich bin ja nicht mal gebürtiger Hamburger und die anderen beiden wohnen mittlerweile gar nicht mehr in Hamburg. Wie wenig Lokalpatriot kann man also sein?
Ist es schwierig in eurem Beruf Freundschaften zu pflegen, wenn man viel unterwegs ist, um Musik zu machen und auch mal woandershin zieht?
Porky: Es ist eher schwierig Freundschaften zu pflegen, wenn man älter wird. Wenn man jung ist schart man, eine richtige Gang um sich und einen riesigen Freundeskreis und freut sich, was für geile Leute man kennt. Je älter man wird, desto weniger ist das so und man hat drei-vier Vertraute um sich und ansonsten nur viele Bekannte. Früher hatte man einen Clan und mittlerweile bin ich froh, wenn mich keiner anruft und ich meine Ruhe hab.
Philipp: man hat ja auch anders gelebt und hat anders gefühlt, ist selber auf die Piste gegangen und hat alles mitgenommen was geht und der Freundeskreis war genauso drauf. Mittlerweile haben sich die Prioritäten verschoben. Wir haben alle mehr oder weniger Familien am Start und sind einfach ein bisschen ruhiger und gediegener geworden. Die wilde Zeit haben wir bis zum geht-nicht-mehr ausgelebt.
Nun habt ihr euer neues Album "Befehl von ganz unten" herausgebracht. Wie sind die Tracks entstanden? Setzt ihr euch einfach gemeinsam an einen Tisch und schreibt ein Lied?
Philipp: Nur so geht es, weil es sonst bei einer Kneipenidee bleibt und nicht verwirklicht wird. Ideen gibt es ja ganz viele und die zu verwirklichen, da geht es ans Eingemachte. Das unterscheidet uns auch von anderen, die nur in der Kneipe stehen und Witze erzählen.
Ferris: Genau! Das unterscheidet uns auch von Leuten, die immer nur groß darüber reden, was sie vorhaben und im Endeffekt leisten sie nichts. Wir sind am Anfang immer sehr bescheiden, reden nicht viel darüber und machen einfach. Wenn alles fertig ist, dann können wir ja immer noch die Klappe aufreißen. Diesmal haben wir die Songs auch mal am Reißbrett gemacht: Wir haben uns Bücher geholt über "Wie schreibt man Songs", obwohl wir schon alle zig Alben geschrieben haben. Aber man lernt nie aus und das war ein Einfluss, den wir uns einfach gegeben haben. Das fanden wir auch sehr hilfreich und interessant. Und es gab auch viele Ergebnisse durch dieses Verfahren.
Philipp: So entstanden "Illegale Fans", "Rote Kiste", "Herz aus Hack", "Befehl von ganz unten".
Verfolgt ihr mit eurer Musik ein bestimmtes Ziel – außer Geld verdienen? Oder sorgt ihr schlichtweg für Zerstreuung?
Philipp: Eigentlich wollen wir nur Geld verdienen.
Ferris: (lacht) Mir fiel gerade auch keine bessere Antwort ein, ehrlich gesagt.
Philipp: Ferris geht es auch um Ruhm. Mir geht es eher darum, dass man ein Projekt auf die Beine stellt, das funktioniert. Dass man sich was vornimmt und sich Ziele setzt, das alles dann versucht umzusetzen und sich danach darüber Gedanken macht, ob alles geklappt hat. Dass irgendwann Geld fließt ist normal.
Ferris: Wenn man im Arbeitsprozess ist denkt man nicht wirklich an Geld. Auch wenn man live auf der Bühne ist, denkt man nicht an die Ticketverkäufe. Das ist einfach der Lebensinhalt, alles raus zu lassen und zu machen, weil man es schon sein Leben lang macht und daraufhin gearbeitet hat, dass man es machen kann. Und da kommt Geld, wenn man wieder bei klarem Verstand ist und über finanzielle Sachen nachdenkt. Es gibt zwar auch Extrem-Künstler, die sagen: "Hier ist nur der Künstlerische Anspruch wichtig. Ist mir egal ob ich damit Geld verdiene", aber so ticken wir nun auch nicht.
Bald geht ihr wieder auf Tour, warum ist Hamburg ausgerechnet der allerletzte Konzerttermin?
Philipp: Weil wir das immer so hatten.
Ferris: Da ist wieder die Verbindung: Philipp kommt aus Hamburg, Proky auch.
Philipp: Wir haben tatsächlich auch die meisten Fans in Hamburg.
Ferris: Und das, ohne, dass wir Lokalpatriotismus betreiben. Das soll uns mal einer nach machen.
Das Interview führte Sinah Vonderweiden
Vorherige Gesprächspartner der Interview-Reihe
Barbarez: "Hamburg war meine erste Liebe"
Schnell: "In Hamburg ist alles ein wenig entschleunigter"