In Bosnien wäre Sergej Barbarez in den Krieg geraten, in Hamburg wurde er zur Fußball-Legende. Mit dem Abendblatt sprach er über sein Leben.

Hamburg. In Bosnien wäre er mitten in den Krieg geraten, in Hamburg hat er es zur Fußball-Legende gebracht. Eine Entwicklung, mit der Sergej Barbarez nicht gerechnet hatte, als er 1992 seine Verwandtschaft in Deutschland besuchte. Dankbarkeit und Liebe verbindet den ehemaligen HSV-Stürmer mit seiner Wahlheimat Hamburg. Mit dem Hamburger Abendblatt sprach er über Staus vor dem Elbtunnel, das Leben zwischen Einbauschränken in Nienstedten und lila Cordhosen im Volkspark.

+++ Hamburger Persönlichkeiten im Interview

Sind Sie ein richtiger Hamburger, Herr Barbarez?

Sergej Barbarez: Wenn ich das sagen kann bzw. darf, bezeichne ich mich gerne als Hamburger. Ich liebe die Stadt, mir fallen nur Komplimente ein. Wahrscheinlich sehe ich alles durch eine rosa-rote Brille. Was für einen Achtzehnjährigen die erste Liebe ist, ist für mich Hamburg. Ich fühle mich hier sehr wohl. Aber ich lebe erst seit 12 Jahren hier. Ich weiß nicht, ob das dafür reicht.

Was macht Ihrer Meinung nach den typischen Hamburger aus?

Barbarez: Bei dem merkst du gleich, dass er seine Stadt liebt. Er weiß nur Positives über seine Stadt und seine Augen fangen an zu strahlen, wenn er über sie spricht. Allerdings habe ich auch in ganz Deutschland noch keinen Menschen getroffen, der negativ über diese geniale Stadt gesprochen hat. Hamburger sind lebensfroh. Und sobald der erste Sonnenstrahl zu sehen ist, sind alle sofort draußen. Egal, wie kalt es ist.

Sie bezeichnen Hamburg als genial. Woran machen Sie das fest?

Barbarez: Hamburg bietet sensationell viele Freiheiten und Lebensqualität. Außerdem gibt es hier viel Wasser, das ich so sehr mag. Das liegt daran, dass ich in Bosnien nur 40 km vom Meer entfernt in Mostar geboren bin. Die Elbe und den Hafen mag ich noch lieber als die Alster. Dort gibt es mehr zu sehen - vor allem nachts. Die ganzen Lichter und Kräne sind beeindruckend. Wenn ich abends von der Autobahn komme und vor dem Elbtunnel im Stau stehe, gucke ich nach links und denke nur: "Was für eine Wahnsinnsstadt."

Wo leben Sie in Hamburg?

Barbarez: In Nienstedten. Diese Gegend hat auch seinen Reiz: viel Natur und vor allem viel Ruhe. Hamburg ist eine Stadt der Gegensätze. Das macht sie so lebenswert. Außerdem ist sie eine Stadt für Weltenbummler wie ich es bin: international und multikulturell.

Wie sind Sie als Weltenbummler nach Hamburg gekommen?

Barbarez: Ich hatte einen sehr guten Draht zu Frank Pagelsdorf, der schon bei verschiedenen Vereinen mein Trainer war. Ich konnte immer bei ihm anrufen und sagen: "Trainer, was ist los – passt das jetzt?" Frank war dann HSV-Trainer, er mochte mich als Typ und wie ich gespielt habe. Ich kam mit 29 nach Hamburg und wir mussten mit der Familie über unsere Basis nachdenken – nach Bosnien zurück wollten wir nicht, unsere Jungs sind in Deutschland zur Welt gekommen und zumindest den beiden musste man eine Perspektive bieten. In Hamburg sahen wir diese Perspektive: Es gab das neue Stadion, der Verein war ein Jahr vorher Dritter geworden, ich hatte die Aussicht auf die Champions League. Ich hab mich für den HSV entschieden, obwohl ich auch ein Angebot von den Bayern hatte.

Nicht nur den Bayern haben Sie eine Absage erteilt. Haben Sie es bereut, nie zu einem Topclub ins Ausland gewechselt zu haben?

Barbarez: Auf keinen Fall. Ich hab immer gesagt, ich bin schon im Ausland – warum soll ich denn noch woanders hin. Hätte ich das zu 100 Prozent gewollt, hätte ich das auch durchgesetzt. Ich hab mich hier in Deutschland und vor allem in Hamburg sehr wohl gefühlt. Es wäre schlecht, wenn ich im Nachhinein irgendetwas an meiner Karriere bereuen würde. Ich weiß, wie ich angefangen habe: mit einem Probetraining in der vierten Liga in Hannover und irgendwann bist du dann Torschützenkönig und Nationalspieler und Kapitän der Nationalmannschaft.

Ein Probetraining in Hannover– wie kam es dazu?

Barbarez: 1991 habe ich in Mostar als einziger Jugendspieler einen Profivertrag bekommen. In der Winterpause wollte ich für zwei Wochen meine Verwandten in Hannover besuchen, die ich vier Jahre lang nicht gesehen hatte. Zu dem Zeitpunkt wusste ich allerdings nicht, dass mein Vater schon mit denen abgesprochen hatte, dass ich in Deutschland bleiben soll. Ich erinnere mich noch ganz genau. Ich war im Trainingsanzug und mein Onkel meinte zu mir: "Komm, wir gehen bisschen spazieren – am Stadion, wo Hannover 96 trainiert."

Wie ging es dann weiter?

Barbarez: Ich habe beim Training mitgemacht. Ich kam als Jugendspieler mit Profivertrag von Velez Mostar – einem Verein, der in Jugoslawien sehr bekannt für seine super Jugendarbeit war. Und man sah auch sofort den Unterschied: Ich hatte die ganze Jugendschule durchlaufen, die ganzen technischen Sachen: Innenseite, Brust- und Kopfball. Die anderen waren Amateure von 96, die tagsüber noch ganz normal arbeiteten mussten. In dieser Situation war ich was Besonderes für den Trainer. Der hat sofort zu meinem Onkel gesagt, wenn er bleiben will, soll er bleiben – und das schon nach dem ersten Training.

Und wollten Sie bleiben?

Barbarez: Ich meinte nur zu meinem Onkel: "Bist du verrückt? Spätestens in zwei Tagen fahre ich zurück nach Hause." Er hat sich aber auf keine Diskussion eingelassen und hat nur gesagt, dass ich hier bleiben müsse. Das sei mit meinem Vater abgesprochen, um mich vor dem Krieg zu schützen. In Kroatien war schon Krieg, in Slowenien auch und Bosnien war kurz davor. Aus diesen paar Monaten sind jetzt über 20 Jahre geworden, 12 schöne Jahre davon in Hamburg.

Hat Ihre Familie den Krieg gut überstanden?

Barbarez: Meiner Familie ist zum Glück nichts passiert. Meine Mutter ist in Bosnien geblieben. Mein Vater, meine Schwester und meine jetzige Frau sind zu mir nach Deutschland gekommen. Trotzdem war das eine schlimme Zeit. Ich war 20 Jahre und musste in Deutschland für das nackte Überleben kämpfen. Eine richtige Jugend hatte ich nicht. Die vermisse ich noch heute. Wir hatten 1500 DM brutto und unsere Wohnung, die 1300 DM netto gekostet hat. Wir mussten uns zwei Jahre lang ziemlich durchschlagen. Aber ich kann sagen: Mir hat der Krieg die Chance gegeben, etwas aus meinem Leben zu machen. Und Hamburg hat einen großen Anteil daran. Dafür bin ich der Stadt sehr dankbar.

Hamburg hat Ihnen vieles ermöglicht, das Ihnen Bosnien verbaut hätte. Wann sind Sie dennoch das erste Mal zurück in Ihre Heimat gegangen?

Barbarez: Nach sieben Jahren in Deutschland. Eigentlich wollte ich nie wieder zurück. Ich war so von dem grausamen Krieg enttäuscht. Meine Mutter war über meine Entscheidung sehr traurig. Sie meinte, ich müsste mindestens ein einziges Mal zurück kommen, um zu sehen, wo ich geboren bin. Den Wunsch wollte ich ihr erfüllen und als sich 98 der bosnische Verband bei mir meldete, bin ich für die Nationalmannschaft in meine Heimat gefahren. Ich habe gemerkt, dass ich sie trotzdem mochte. So, wie sie ist. Sie ist leider nicht gut, sehr korrupt und junge Leute haben keine Perspektive und keine Arbeit – aber trotzdem ist es meine Heimat.

Sie wollten Ihrer Mutter diesen innigen Wunsch erfüllen. Wie würden Sie das Verhältnis zu Ihren Eltern beschreiben?

Barbarez: Sehr eng. Mein Vater ist leider vor zehn Jahren gestorben. Ich habe ihm danach alle meine Tore gewidmet. Er war mein Mentor, hat sechs Jahre in Deutschland gelebt und war fast immer dabei. Danach hat meine Mutter diese Rolle übernommen. Aber sie war vor dem Fernseher immer so aufgeregt– und musste deshalb immer einen Schnaps zur Beruhigung trinken.

Aufregend waren auch die Stadtderbys, die Sie teilweise auf dem Rasen miterleben durften. Wie stehen Sie zu der großen Rivalität zwischen den Fanszenen der beiden Hamburger Vereine?

Barbarez: Beide Fanlager sind faszinierend – vom HSV und vom FC St. Pauli. Die sind brutal treu. Das findet man nur ganz selten. In Hamburg sogar zweimal in einer Stadt. Rivalität ist schon gut, Konkurrenz belebt den Sport – solange das Ganze nicht in Gewalt ausartet. Ich finde diese Derbys immer wahnsinnig aufregend. Stimmung und Provokation gehören dazu; sich gegenseitig heiß zu machen. Nach dem Abpfiff muss man damit aber auch wieder abschließen. Ich habe viele Freunde, die Pauli-Fans sind und gehe auch häufiger zu den Spielen ans Millerntor.

Sind Sie am Millerntor ein gern gesehener Gast oder auch im Schanzenviertel, das ja eher nicht zum HSV gehört?

Barbarez: Bisher habe ich noch keine negativen Erfahrungen gemacht. Ich kann mich noch gut an eine witzige Geschichte erinnern: Ich hatte mein Auto zur Mittagszeit in der Schanze am Schulterblatt geparkt und als ich wieder kam, war mein Auto voll mit Pauli-Aufklebern. Jeden Mittag habe ich nach dem Training am Schulterblatt gesessen – daher darf ich mich nicht wundern, dass Pauli-Anhänger mein Auto kannten. An dem Mittag saß ich draußen sogar nur drei Meter von meinem Wagen entfernt. Alle anderen Leute um mich herum haben mich dann ausgelacht. Ich habe mitgelacht und die Dinger einfach abgezogen. Was hätte ich auch sonst machen sollen.

In der Schanze haben Sie Ruhe bewahrt. Auf dem Fußballplatz war meist das Gegenteil der Fall. Wie ist das bei den Hamburger Fans angekommen?

Barbarez: Wenn ich auf dem Platz war, habe ich auf meine Art versucht, alles zu geben. Auch wenn das jetzt vielleicht doof klingt: Ich wusste, dass ich als Fußballer vieles hatte, was andere nicht hatten. Ich glaube, die Leute haben gerade an mir geschätzt, dass ich auch mal Emotionen gezeigt habe. Das wurde aber auch weniger, als ich älter wurde. Man lernt aus seinen Fehlern.

Sie sind nicht nur für Ihre Emotionalität, sondern auch für Ihren ausgefallenen Kleidungsstil bekannt. Wer hat im Hause Barbarez den volleren Kleiderschrank. Sie oder Ihre Frau?

Barbarez: Eigentlich muss die Frau den volleren Kleiderschrank haben. Aber bei uns ist das nicht unbedingt der Fall. Ein Mal im Jahr bestelle ich den Tischler zu uns nach Nienstedten und der muss dann jede Ecke zu einem Schrank machen. Wir wohnen also nur zwischen Einbauschränken. Ich mag es, meinen eigenen Stil zu haben. Aber es ist jetzt nicht so, dass ich immer sonderlich viel Geld für Klamotten ausgebe. Wenn ich meine, eine Jacke für 300 Euro ist zu teuer, dann kaufe ich die auch nicht. Ich habe mich da sehr gut im Griff. Ich kann da sehr hamburgisch sein.

Was verstehen Sie unter hamburgisch?

Barbarez: Hamburger sind meistens sehr dezent, konservativ und zurückhaltend. Ich hab mit vielen Leuten gequatscht, die aus der Modebranche sind und die meinten auch, dass Deutschland im Allgemeinen sehr konservativ sei. Sie würden auch gerne andere Klamotten bestellen – aber die Leute kauften das dann nicht. Der Modegeschmack ist auch innerhalb Deutschlands schon sehr unterschiedlich. In Düsseldorf konnte ich sehr gut shoppen. Dort ist das Angebot etwas bunter, ausgeflippter und extravaganter als hier im Norden.

Wie lassen Sie sich modisch inspirieren?

Barbarez: Ich lese gerne Modezeitschriften beim Friseur. Außerdem kaufe ich gerne Klamotten im Ausland. Mir fällt eine geile Geschichte ein: Als ich in Stockholm war, hab ich das erste Mal Jungs mit Röhrenjeans, mit diesen dicken Jacken und nur T-Shirts drunter gesehen. Ich hab das immer gemocht – aber nie in Hamburg jemanden so rumlaufen gesehen. Ich hab mir einen ausgesucht, der gut angezogen war, bin dann in den nächsten Laden rein und hab gesagt: "Liebe Frau, sehen Sie diesen Mann? Alles was er anhat, möchte ich auch haben." Sie hat sich tot gelacht und alles aus den Regalen geholt. Meine erste pinke Cordhose hab ich auch in Schweden gekauft - aber in Hamburg trägt das kein Mann. Hier habe ich mich hosentechnisch nur bis lila vorgetraut – also richtig knalllila – auch beim HSV-Spiel auf der Tribüne. Ich habe schon Mut.

Das Interview führten Philip Dehnbostel und Franziska Ringleben

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