Vor neun Tagen wurde der bekannte Künstler Ai Weiwei in Peking verhaftet. Dass sagen Hamburger Kulturschaffende zu seiner Verhaftung.
Seit dem 3. April ist einer der bekanntesten Künstler der Welt von der Bildfläche verschwunden. Für Ai Weiwei ist genau der Fall eingetreten, vor dem er sich in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" vor zwei Wochen noch gefürchtet hatte. Er hatte Angst, dass er mit seinen kritischen Äußerungen zu Chinas Politik und dem Umgang mit Menschenrechten selbst immer stärker in den Fokus der Behörden rücken würde. "Die Mächtigen wollen verhindern, dass kritische Stimmen gehört werden. Sie wollen sie vernichten", sagte Ai Weiwei. Kurz darauf wurde er festgenommen.
Wo sich Ai Weiwei derzeit befindet, ist nicht bekannt. Von offizieller Seite heißt es lediglich, ihm würden "wirtschaftliche Delikte" vorgeworfen. Dafür werden die Stimmen aus dem Ausland immer lauter. Nachdem bereits Kulturstaatssenator Bernd Neumann, Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und der ehemalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender die Freiheit Weiweis gefordert hatten, fordert auch die Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, Monika Grütters, die sofortige Freilassung des Künstlers.
Aber Ai Weiwei ist nur einer von vielen Künstlern, die wegen kritischer Äußerungen verhaftet wurden. Für Dirk Pleiter, China-Experte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, gilt jedoch: "Seine Verhaftung macht klar: Die chinesischen Behörden dulden keine kritischen Kommentare zur politischen Situation mehr und auch ein weithin bekannter Künstler entgeht dieser Verfolgung nicht. Sie zeigt ferner, dass das chinesische Recht trotz der viel gelobten Reformen in solchen Fällen keinen Schutz bietet. Deswegen muss hier auch an die anderen erinnert werden: Wenn sogar jemand wie Ai Weiwei am helllichten Tag einfach verschwindet, was bedeutet dies erst für die weniger Bekannten oder Namenlosen, die in das Visier der Behörden geraten?" Wie viele Künstler sich derzeit weltweit in politischer Gefangenschaft befinden, sei unmöglich abzuschätzen. "Eine konkrete Zahl von Künstlern in Gefangenschaft zu nennen wäre reine Spekulation. Alles, was sich außerhalb der Großstädte abspielt, kommt mit großer Wahrscheinlichkeit nie an die Öffentlichkeit", so Pleiter.
Das Abendblatt stellt einige verfolgte Künstler vor:
Liu Xiaobo, 55, in Peking verhaftet im Dezember 2008. Urteil: elf Jahre Haft
2010 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. Sein Stuhl blieb aber leer bei der Preisverleihung in Oslo. Der Vorwurf: "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" wegen seiner regimekritischen Artikel.
Zarganar, 50, Burma, festgenommen Oktober 2007. Sein Urteil: 35 Jahre Haft
Der Komödiant, Film- und Fernsehschauspieler Zarganar aus Burma kritisiert seit mehr als 20 Jahren das Regime. Dafür bekam er zwei Gefängnisstrafen zu insgesamt 59 Jahren, die 2009 auf 35 Jahre reduziert wurden.
Wu Yuren, 39, Peking, verhaftet im Mai 2010. Im April 2011 vor Urteilsverkündung freigelassen
Personifizierte Behördenwillkür: Nach fast einem Jahr im Gefängnis wurde der Künstler Wu Yuren am 7. April freigelassen, ohne dass es ein Urteil gegeben hatte. Der Vorwurf: "Widerstand gegen die Staatsgewalt".
Umida Akhmedova, 55, Taschkent, festgenommen im Dezember 2010. Das Urteil steht noch aus
Der usbekischen Dokumentarfilmerin und Fotografin wird Volksbeleidigung vorgeworfen. In ihren Werken stellte sie die Armut in den ländlichen Gegenden des Landes dar. Ihr drohen bis zu drei Jahre Haft.
Jafar Panahi, 50, Teheran, festgenommen im März 2010. Urteil: sechs Jahre Haft
2009 unterstützte Regisseur Jafar Panahi während der Präsidentschaftswahlen die Grüne Revolution in der Hoffnung auf einen politischen Neuanfang. Neben der Haftstrafe wurde er zu 20 Jahren Berufsverbot verurteilt.
Lapiro de Mbanga,53, Yaoundé, festgenommen im Februar 2008. Das Urteil: drei Jahre Haft
Dem Musiker aus Kamerun wird vorgeworfen, an gewaltsamen Protesten gegen die Regierung beteiligt gewesen zu sein. Inoffiziell wird vermutet, ein Spottlied auf Präsident Paul Biya sei der wahre Haftgrund.
Mohammad Rasoulof, 37, Teheran, festgenommen im März 2010. Urteil: sechs Jahre Haft
Die Regisseur-Kollegen Rasoulof und Panahi arbeiteten an einem Dokumentarfilm über einen jungen Demonstranten der Grünen Revolution, als sie während der Dreharbeiten in Teheran verhaftet wurden.
Mustapha Abdul Dayem, Agadir, verhaftet im Oktober 2008. Das Urteil: drei Jahre Haft
Der Schriftsteller stammt aus Westsahara, einer von Marokko annektierten und vom Bürgerkrieg zerrütteten Region. In seinen Texten fordert er die Selbstbestimmung seiner Heimat - auch aus dem Gefängnis.
Reaktionen der Hamburger Kulturwelt auf Weiweis Verhaftung
Die Verhaftung Ai Weiweis führt auch in der deutschen Kulturwelt zu Empörung. Der Deutsche Kulturrat fordert von China die sofortige und bedingungslose Freilassung Ai Weiweis und ein Ende der Einschüchterung und der Verhaftung von politisch aktiven Bürgern in China.
Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats: "Repressive Regime fürchten fast nichts mehr als Künstler, das haben wir in der jüngeren deutschen Geschichte erlebt und das zeigt uns gerade auch wieder China mit der Verhaftung von Ai Weiwei."
Auch Hamburger Künstler und Kulturschaffende zeigen sich bestürzt:
Sabine Schulze, Direktorin des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe: "Die Vorfälle in China machen klar, wie wichtig es ist, dass die Kunst bei uns frei ist. Ich wünsche mir für Künstler wie Ai Weiwei, dass sie nicht nur in der Kunstszene des Westens rumgereicht werden, sondern dass sie auch in ihrem Land frei arbeiten und die Leute erreichen können."
Meinhard von Gerkan, Architekt des renovierten chinesischen Nationalmuseums: "Die Festnahme ist für alle, die an eine schrittweise Öffnung des Landes durch eine Ausstellung wie ,Die Kunst der Aufklärung' (derzeit im chin. Nationalmuseum, Anm. d. Red.) glauben, ein herber Rückschlag. Es gibt zwar unbestritten noch viele beklagenswerte Ereignisse, aber man muss eines festhalten: Noch nie hat es in der Geschichte Chinas so viel Freiheit für das Individuum gegeben."
Rudi Kargus, Maler: "Ein Regime, gleich welcher Couleur, das keine Meinungsfreiheit zulässt, das unbequeme Menschen (nicht nur Künstler) verfolgt oder wegsperrt, diskreditiert sich. Es gilt, dies immer offen auszusprechen und anzuprangern."
Tina Uebel, Schriftstellerin aus St. Pauli: "Ich bin Schriftstellerin und freie Journalistin, als solche geht mir naturgemäß jedes Schicksal eines verfolgten, verhafteten, zensierten, schikanierten Künstlers, Schriftstellers, Journalisten, von dem wir erfahren, sehr nah. Mir ist bewusst, dass wir von vielen derartigen Schicksalen weltweit gar nicht zu hören kriegen. Nicht von ungefähr bin ich Mitglied bei Amnesty International und Human Rights Watch. Im vergangenen Jahr war ich in China. Der lernwillige Reisende sollte meines Erachtens grundsätzlich den Mund eher halten und dafür Augen und Ohren umso weiter aufsperren. Mein Weltbild wird mit jeder Reise komplexer, füllt sich mit Grauschattierung anstelle von Schwarz-Weifl und sich widersprechenden 'Wahrheiten'."
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