Das Filmfest Hamburg war erfolgreich und sehenswert. Pfiffe gab es nur für den Kultursenator, Standing Ovations dagegen für die Iran-Dokumentation.
Hamburg. Wäre dieses Filmfest ein Flop gewesen, dann hätte diese Szene alles zusammengefasst: Während zum Abschluss im Cinemaxx die Komödie "Heartbeats lief, riss der Film. Doch die Szene hatte keinen Symbolwert. Ganz im Gegenteil: Filmfestleiter Albert Wiederspiel darf mit der 18. Auflage der seit acht Jahren von ihm geleiteten Kino-Leistungsschau zufrieden sein. Was auch deshalb bemerkenswert ist, weil sich Wiederspiel und sein Team nachhaltig von der Vorstellung verabschiedet hatten, künftige Blockbuster und große Stars nach Hamburg zu locken. Ohnehin ein fast aussichtsloses Unterfangen für ein Festival der B-Kategorie, das in Sachen Etat nie mit den ganz Großen (Cannes, Venedig, Berlin) hat mithalten können.
Und so standen erfreulicherweise die Filme im Mittelpunkt. Produktionen aus 51 Ländern, natürlich von unterschiedlicher Qualität, aber in ihrer Gesamtheit dazu angetan, den Blick zu weiten. Zu unterstreichen, dass Kino mehr sein kann, ja soll, als romantische Hollywood-Komödien mit Drehbüchern aus dem Setzkasten oder sinnfreie Actionreißer mit Explosionen im 30-Sekunden-Takt. Nämlich Auseinandersetzung mit der Lebenswirklichkeit, wie das malaysische Drama "The Tiger Factory" über eine 19-Jährige aus ärmsten Verhältnissen, die zur Leihmutterschaft gezwungen wird. Oder wie das griechische Generationenporträt "45 m²", das von den Schwierigkeiten einer jungen Frau handelt: Trotz Vollzeitjobs kann sie es sich nicht leisten, zu Hause auszuziehen. Was direkter die Verhältnisse im von der Finanzkrise besonders gebeutelten Griechenland beleuchtet, als manch Beitrag der zahlreichen TV-Politmagazine.
Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass Kino ein großes Gemeinschaftserlebnis ist und niemals durch den Gang zur Videothek oder gar einen Download ersetzt werden kann - beim Filmfest gab es ihn. Und das mehr als einmal. Ein Spektakel, als die Rede von Kultursenator Reinhard Stuth bei der Verleihung des Douglas-Sirk-Preises mit Pfiffen und Buhrufen quittiert wurde. Ein Gänsehautmoment, als sich beim Abspann der Iran-Dokumentation "The Green Wave" das Publikum, teilweise mit den Tränen kämpfend, zu Standing Ovations von den Sitzen erhob.
Ein Partyspaß, als der Hamburger Regisseur Henna Peschel unter begeistertem Jubel seine Low-Budget-Loser-Komödie "Pete The Heat" vorstellte. Und später auch noch den mit 10.000 Euro dotierten Montblanc-Drehbuch-Preis entgegennahm. (siehe Kasten). Das wirkt nach. Ebenso wie die größtenteils kluge Programmplanung, die die richtigen Schwerpunkte setzte - vom Beatles-Tag bis zur 24-Stunden-Rolle mit von der Hamburger Filmförderung finanziell unterstützten Filmen. Hark Bohms deutsch-türkische Liebesgeschichte "Yasemin" noch einmal zu sehen, Christoph Schlingensiefs "Terror 2000" oder Tom Tykwers Regiedebüt "Die tödliche Maria" war ein erinnerungsschweres Glanzlicht dieses Filmfests. Bitte mehr davon!
Gewiss, nicht alles gelang. Der pseudo-ambitionierte Gewaltporno "A Serbian Film", mit Spannung erwartet, entpuppte sich als simple Mutprobe für Menschen, die sonst schon jede Blutorgie gesehen haben. Und bei mehr als 30 gezeigten Dokumentationen gab es natürlich auch einige, die die große Leinwand keineswegs brauchen, sondern besser im Nachtprogramm der Öffentlich-Rechtlichen aufgehoben wären. Wenn überhaupt.
Was dem Filmfest darüber hinaus fehlte, war die Möglichkeit zur ausführlichen Nachbetrachtung. Der vor Jahren eingestellte Filmtalk mit Regisseuren, Produzenten und Schauspielern sollte unbedingt wieder aufgenommen werden. Es gibt so viel zu diskutieren, auch nachzufragen, und die Pony Bar direkt neben dem Abaton wäre der ideale Ort dafür. Wie groß das Interesse an Hintergrundgesprächen ist, bewies jedenfalls die Podiumsdiskussion zum Thema Casting in der Zentrale des Thalia-Theaters, die aus allen Nähten platzte. Nachdenken sollten die Verantwortlichen zudem noch einmal über den Douglas-Sirk-Preis. Dass mit Julian Schnabel jemand die Auszeichnung bekam, der gerade mal fünf Filme gedreht hat, ist schon etwas verwunderlich. Aber warum sein knappes Oeuvre dann nicht wenigstens in einer Retrospektive komplett gezeigt wurde? Hier ist noch Luft nach oben. Auch wenn 40.000 Besucher und damit ein Plus von zehn Prozent dazu verlocken könnten, die Hände in den Schoß zu legen.
Sehr vieles war gut, einiges geht besser - im kommenden Jahr vom 29. September bis zum 8. Oktober.