In “Der verlorene Vater“ von der Hamburger Regisseurin Hermine Huntgeburth überzeugt Edgar Selge als überfordertes Familienoberhaupt
Der Titel "Der verlorene Vater" von Hermine Huntgeburth ist genau genommen unvollständig. Denn verloren sind hier alle. Mutter, Vater, die beiden Kinder, und die neue Freundin ist vielleicht am schlimmsten dran. Familie - das war einmal. Zurück bleiben wütende, enttäuschte, verletzte Menschen. So weit, so deprimierend.
Und so fernsehspieluntauglich, eigentlich. Denn viel spannender ist es doch, wenn die Vase zerbricht. Und nicht, wenn es ans bloße Scherbenaufsammeln geht. Hermine Huntgeburth und ihr Drehbuchautor Daniel Nocke haben die berühmte verhängnisvolle Affäre einmal unter anderen Vorzeichen erzählt: Da verlässt der Mann seine Frau mal nicht für die Neue, Jüngere, meist Hübschere, sondern für eine, die auf den ersten (und auch zweiten, dritten) Blick nicht sonderlich attraktiv scheint. Eher Typ patente Kindergärtnerin in ihren späten Vierzigern, im Leben ein bisschen zu kurz gekommen.
Elke (Ulrike Krumbiegel) trägt auberginefarbene Jacken und hat ihre Wohnung mit Blümchentapete und bunten Wandschals geschmückt. Als sie zum ersten Mal Bettina (Jeanette Hain) gegenübertritt und die ihre langen, wohlgeformten Beine übereinanderschlägt und sich das blonde Haar aus der Stirn streicht, fühlt sich Elke wie im falschen Film. "Es fühlt sich seltsam an, die Nachfolgerin von so einer Frau zu sein", sagt sie später zu Arndt.
Ach ja, Arndt. Arndt (Edgar Selge) wirkt nun auch nicht gerade wie der feurige Liebhaber, mit dem man mit wehenden Fahnen durchbrennen möchte. Er ist überfordert, neigt zu Wutausbrüchen, bei denen er wie Rumpelstilzchen durch die Wohnung springt, und seinen Job hat er auch verloren.
Gleichzeitig ist er rührend in seinem hilflosen Bemühen zu retten, was längst nicht mehr zu retten ist, nämlich eine Art von Familienidylle. Als Museumsleiter ist Arndt gescheitert, als Familienvater will er sich dafür umso mehr beweisen.
Huntgeburth hat alles darangesetzt, eine Geschichte aus dem Alltag einer unprivilegierten deutschen Mittelstandsfamilie heraus zu erzählen, bei der das Geld knapp ist und man sich den Urlaub teuer verdienen muss. Hier wohnt keiner im Loft, sondern im Reihenhaus. Man trägt eher C&A als Gucci und fährt Volvo-Gebrauchtwagen. Das sieht erst mal alles ein bisschen trist und betont unglamourös aus, ist aber ein erfrischendes Gegenstück zum Soap-Opera-Getue und den Berlin-Mitte-Filmen. Gut, man hätte vielleicht darauf verzichten können, ständig auf Kohlekraftwerke am Straßenrand gegenzuschneiden. Und muss Bettinas (Proll)-Familie wirklich in der hässlichsten Gegend von ganz Köln wohnen? Überhaupt sollten sich Mitarbeiter der Kölner Stadtverwaltung "Der verlorene Vater" ersparen. Selten sah die Stadt schmuddeliger aus, U-Bahn-Schächte und Elektrofachgeschäfte im Nachkriegslook dominieren die jeweiligen Viertel. Kurztrips nach Köln bucht man nach diesem Film eher nicht.
Die in Hamburg lebende Regisseurin Hermine Huntgeburth hat sich in ihren Filmen noch nie für die luftig-leichten Seiten des Lebens interessiert; auch ihre Komödien haben meist einen ernsten Unterton. Fürs Kino drehte sie zuletzt "Effi Briest", das Fernsehen verdankt ihr so wunderbare Produktionen wie - lang her, aber immer noch großartig - die Krimikomödie "Gefährliche Freundin", in der Corinna Harfouch und Katharina Thalbach als mörderisches Duo durch die Kneipen ziehen.
Sehenswert ist ihr neuer Film schon aufgrund der starken Besetzung. Ulrike Krumbiegel verleiht Elke trotz Pottfrisur und Duckmäuschen-Attitüde Charme. Oft möchte man ihr einfach mal die Hand drücken, weil sie schon wieder abgeblitzt ist bei Arndts Kindern mit ihren hilflosen Gesprächsversuchen und unpassenden Mitbringseln. Edgar Selge ist natürlich immer ein Highlight auf dem Bildschirm, das ist hier nicht anders. Wenn er als Arndt reumütig vor der Tür steht, in der einen Hand einen Blumenstrauß, in der anderen die passende Vase, dann ist er eben nicht nur lächerlich. Sondern vor allem ein trauriger Mann, der alles richtig machen will. Und alles falsch macht.
Am Ende des Films, als sich das Schlimmstmögliche doch nicht ereignet hat, sitzt die Familie am Strand und guckt aufs Meer. Eine Szene wie aus einem Gemälde. Aber es ist ein schiefes Bild. Irgendetwas fehlt.
"Der verlorene Vater", Fr, 30.4., Arte, 20.15 Uhr