Hamburg. Arcelor Mittal wird an den Energiepark Hafen angeschlossen, der Hamburg mit Fernwärme versorgen soll. Folgen weitere Industriebetriebe?
Hamburg bezeichnet sich gern als „größtes zusammenhängendes Industriegebiet in Deutschland“. Das bringt Herausforderungen mit sich – etwa Lärm, Gestank und den enormen Energiebedarf der Unternehmen. Aber neben Steuereinnahmen und Arbeitsplätzen bringt es auch Chancen mit sich: Viele Betriebe produzieren Unmengen an Abwärme, die bislang überwiegend nutzlos verpufft. Künftig soll sie genutzt werden, um die Hamburger mit Fernwärme zu versorgen – einen ersten Vertrag darüber haben jetzt das Stahlwerk ArcelorMittal und die Hamburger Energiewerke abgeschlossen.
Demnach soll der Stahlhersteller von 2027 an seine ohnehin abfallende Abwärme, die damit als klimaneutral gilt, zum Energiepark Hafen liefern, der derzeit auf der Dradenau südlich des Elbtunnels direkt an der A7 entsteht. Dieser soll Ende 2025 in Betrieb gehen und im Jahr darauf das alte Kohlekraftwerk Wedel ablösen. Während der Heizperiode soll ArcelorMittal jährlich mindestens 56 Gigawattstunden Wärme liefern. Diese Menge, die später noch deutlich erhöht werden könne, reiche aus, um rund 7000 Haushalte zu versorgen, so die Hamburger Energiewerke (HEnW). Die CO2-Emissionen würden dadurch um mehr als 15.000 Tonnen pro Jahr reduziert.
Energiewende: Hamburg heizt bald mit Wärme aus dem Stahlwerk
Die Abwärme stammt aus der Reduktionsanlage, in der dem Eisenerz Sauerstoff entzogen wird, und dem Wiedererwärmungsofen im Walzwerk von ArcelorMittal – beides für sich riesige Industrieanlagen. Um die Wärme nutzen zu können, sind umfangreiche Bauarbeiten erforderlich: Neben beiden Anlagen müssen Wärmetauscher gebaut werden, in denen mithilfe der Abwärme Wasser erhitzt und dann zu einer Übertragungsstation an der Grundstücksgrenze geleitet wird.
Wie viel der Stahlkonzern in diese Baumaßnahmen investiert, verriet Monika Boh, Vorstandschefin von ArcelorMittal Hamburg, nicht. Die Ausgaben dürften aber in die Millionen gehen und werden vom Bundeswirtschaftsministerium co-finanziert. Von der Grundstücksgrenze bauen dann die Energiewerke eine 900 Meter lange Leitung, um das warme Wasser zu ihrem Energiepark Hafen zu leiten. Die Kosten für die Bauarbeiten, die im Frühjahr 2025 beginnen sollen, lägen im zweistelligen Millionenbereich, sagte HEnW-Geschäftsführer Michael Prinz.
Umweltsenator Kerstan: Abwärme wird ein Geschäftsmodell
„Die Energiewende kommt voran“, freute sich Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne), der der Vertragsunterzeichnung beiwohnte. „Sie gelingt nur, wenn kommunale Unternehmen und die Industrie zusammenarbeiten.“ Der Umweltsenator sprach von einer „Win-win-Situation“ für beide Seiten: „Statt Abwärme in die Luft zu pusten, wird jetzt sogar ein Geschäftsmodell daraus.“ Und die Hamburger Energiewerke könnten den Anteil klimaneutraler Wärme im Fernwärmenetz erhöhen.
Inwiefern die Investitionen ein gutes Geschäft sind, dazu hielten sich die Partner etwas bedeckt. Klar ist, dass die Energiewerke für die Wärme aus dem Stahlwerk bezahlen müssen, aber diese Einnahmen dürften in erster Linie dazu dienen, die Investitionskosten von ArcelorMittal zu decken. „Es ist nicht so, dass wir damit ein Vermögen verdienen“, sagte Monika Boh.
ArcelorMittal ist führend bei CO2-reduzierter Stahlproduktion
Sie betonte stattdessen, dass man „sehr, sehr stolz“ auf dieses Projekt sei, mit dem man die Energie- und Wärmewende der Stadt unterstütze. Denn dieser Schritt füge sich in die Strategie des Werks ein: „ArcelorMittal Hamburg ist bereits heute europaweit führend in der CO₂-reduzierten Stahlherstellung, und wir arbeiten weiter an der Dekarbonisierung unserer Produktion.“ Vor seiner Wahl zum Bundeskanzler 2021 hatte daher auch Olaf Scholz dem Werk einen Besuch abgestattet.
Auch Michael Prinz betonte: „Der Vertrag mit ArcelorMittal ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir lokale Abwärme zur Dekarbonisierung unseres Fernwärmesystems nutzen.“ Die HEnW betreiben eines der größten Fernwärmenetze Deutschlands und versorgen darüber rechnerisch gut 525.000 Wohneinheiten. Bislang stammt die Wärme überwiegend aus den Kohlekraftwerken Wedel und Tiefstack, doch damit soll spätestens 2030 Schluss sein.
Energiepark Hafen soll das alte Kohlekraftwerk Wedel ablösen
Schon 2026 soll der Energiepark Hafen zusammen dem Zentrum für Ressourcen und Energie (ZRE) in Stellingen das marode Kraftwerk Wedel ablösen. Ein Großteil der Abwärme stammt aus der Müllverbrennungsanlage der Stadtreinigung am Rugenberger Damm und aus dem Klärwerk Dradenau – beides in Sichtweite zum Energiepark, ebenso wie das Stahlwerk. Aus diesem Grund habe man sich für diesen Standort entschieden, sagte Prinz. Nachteil ist, dass extra ein neuer Elbtunnel gebohrt werden musste, um die Wärme auf die andere Seite des Flusses transportieren zu können.
Geplant ist, weitere Industriebetriebe an den Energiepark anzuschließen. Welche das sein könnten, möchten die HEnW zwar noch nicht verraten, es genügt aber ein Blick auf die Karte, um die Fantasie schweifen zu lassen: So liegt die Aluminiumhütte von Trimet gleich um die Ecke, und auch zum Airbus-Werk auf Finkenwerder ist es nicht allzu weit.
Weitere Industriebetriebe sollen Wärme zum Energiepark liefern
Es ständen einige Unternehmen „vor der Tür“, sagte Prinz, betonte aber gleichzeitig die Komplexität solcher Vereinbarungen. Erst müsse untersucht werden, wo und wie die Wärme nutzbar gemacht werden kann, welche Bauten und Leitungen dafür nötig sind, was das alles koste und wer dabei welchen Anteil übernehme. Allein der Vertrag mit ArcelorMittal habe Jahre Vorlauf benötigt.
Umweltsenator Kerstan ergänzte, dass sogar eine Bundesratsinitiative Hamburgs nötig war, damit der Bund die Nutzung von Industrieabwärme als förderfähig eingestuft habe. „Das zeigt die Rolle Hamburgs in der Industriepolitik“, sagte er stolz: „Wir sind die Praktiker, die zeigen, was geht.“
Wie Hamburg bald mit Wärme aus dem Stahlwerk beheizt wird
Der Energiepark Hafen wird allerdings nicht ausschließlich mit Industrieabwärme betrieben. Bei Bedarf kann eine Gas- und Dampfturbinenanlage (GuD) zusätzliche Wärme und mittels Kraft-Wärme-Kopplung auch Strom erzeugen. Überschüssige Wärme kann in einem 50 Meter hohen Tank in Form von bis zu 98 Grad heißem Wasser gespeichert und dort wieder abgerufen werden.
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Im nächsten Schritt soll das Kohlekraftwerk Tiefstack in einen Energiepark umgebaut werden. Dort sollen unter anderem zwei neue Flusswasser-Großwärmepumpen und eine Wind-zu-Wärme-Anlage zum Einsatz kommen. Auch industrielle Abwärme wird in Tiefstack bereits genutzt: Der Kupferhersteller Aurubis und die benachbarte Müllverwertungsanlage Borsigstraße liefern diese zu.