Hamburg. Fernwärme gilt allgemein als sauber, steckt aber noch voller Kohle und Gas. Wie sich das ändern soll und was das dann für die Preise bedeutet.

Die Freude beim Umweltsenator war riesig: „Es ist ein großartiges Signal, dass zwei für Hamburg so wichtige, große Industrieunternehmen auf eine möglichst klimaneutrale Wärmeversorgung setzen“, sagte Jens Kerstan (Grüne), als er vor Kurzem gemeinsam mit dem Flughafen Hamburg und Lufthansa Technik bekannt gab, dass beide Unternehmen, die jedes für sich den Heizbedarf von Kleinstädten haben, künftig an das städtische Fernwärmenetz angeschlossen werden. So werde Hamburg seine „ambitionierten Klimaziele umso schneller erreichen“.

Ähnliche Äußerungen hört man derzeit regelmäßig: Fernwärme gilt als klimafreundliche Heizenergie der Zukunft. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat zu ihren Gunsten sogar sein umstrittenes Heizungsgesetz angepasst: Bevor die Verbraucher gezwungen werden, auf Wärmepumpen oder eine andere umweltfreundliche Heizung umzurüsten, sollen nun zunächst alle Kommunen prüfen, welche Regionen noch an ein Fernwärmenetz angeschlossen werden können.

Fernwärme in Hamburg kommt zu 80 Prozent aus Kohle und Gas

Großstädte wie Hamburg müssen diese „Wärmeplanung“ bis Mitte 2026 abliefern. Eine erste „Wärmenetzeignungskarte“ hat die Behörde für Umwelt und Energie (Bukea) bereits vorgelegt. Demnach gibt es zwar noch Potenziale in dicht besiedelten Quartieren und Gewerbegebieten wie dem am Flughafen. Doch umgekehrt wurde auch klar, dass weite Teile der vergleichsweise dünn besiedelten Hansestadt sich keine Hoffnungen zu machen brauchen.

Ohnehin ist das Versprechen von der klimaneutralen Fernwärme eines, das erst in vielen Jahren Schritt für Schritt eingelöst werden kann. Denn noch ist diese Heizenenergie eine ziemlich schmutzige Angelegenheit. Für das Jahr 2023 galt: „Der Großteil der Wärme (65 Prozent) wurde durch die Verbrennung von Kohle erzeugt“, teilten die Hamburger Energiewerke (HEnW) auf Abendblatt-Anfrage mit. 14 Prozent seien mit Erdgas und ein Prozent mit Öl erzeugt worden.

Hamburger Energiewerke wollen Fernwärme ausbauen

Klimaneutral war lediglich ein Fünftel der Fernwärme, wobei 19 Prozent mithilfe industrieller Abwärme und ein Prozent mit Biomethan erzeugt worden seien, räumte Hamburgs größter Wärmeversorger ein. Rund 250.000 Haushalte plus Tausende Gewerbebetriebe versorgt das städtische Unternehmen. Umgerechnet auf den Heizbedarf einer 70-Quadratmeter-Wohnung entspricht das rund 525.000 „Wohneinheiten“.

Hamburgs Umwelt- und Energiesenator Jens Kerstan (Grüne, 2.v.l.) vor dem Heizkraftwerk Tiefstack mit der Geschäftsleitung der Hamburger Energiewerke (v.l.): Christian Heine, Kirsten Fust und Michael Prinz. 
Hamburgs Umwelt- und Energiesenator Jens Kerstan (Grüne, 2.v.l.) vor dem Heizkraftwerk Tiefstack mit der Geschäftsleitung der Hamburger Energiewerke (v.l.): Christian Heine, Kirsten Fust und Michael Prinz.  © Hamburger Energiewerke | Hamburger Energiewerke

Die Energiewerke sehen das Potenzial, weitere 200.000 Wohneinheiten mit Fernwärme zu versorgen und wollen ihr derzeit rund 850 Kilometer langes Netz bis 2045 so ausbauen, dass die Leistung von 1657 auf 2300 Megawatt steigt, ein Zuwachs um knapp 40 Prozent.

Fernwärme wird in Hamburg erst ab 2045 klimaneutral sein

Der Umwelt nützt das aber nur etwas, wenn diese Wärme künftig klimaneutral erzeugt wird. Dafür haben die Versorger laut Bundesgesetz bis 2045 Zeit, und so lange wird es wohl auch in Hamburg noch dauern. Die HEnW wollen dabei in zwei Schritten vorgehen. Schritt eins: „Bis spätestens 2030 wollen wir den Kohleausstieg umsetzen“, so eine Sprecherin. Schritt zwei: Bis 2045 solle die Fernwärme komplett klimaneutral erzeugt werden.

„Kohleausstieg“ bedeutet, dass die Heizkraftwerke Wedel und Tiefstack abgeschaltet und durch „modulare Erzeugerparks“ ersetzt werden sollen. Das ist zum einen der Energiepark Hafen auf der Dradenau direkt an der A7. In ihm sollen verschiedene Wärmequellen zusammengeführt werden, unter anderem Abwärme aus den Industriebetrieben südlich des Elbtunnels, aus der Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm und aus dem Abwasser des Klärwerks Dradenau.

Kohlekraftwerk Wedel läuft noch bis 2026 weiter

Ergänzt wird dieser Mix um eine Gas- und Dampfturbinenanlage (GuD), die bei Bedarf zusätzliche Wärme und mittels Kraft-Wärme-Kopplung auch Strom erzeugen kann. Zusätzlicher Clou: Überschüssige Wärme kann in einem 50 Meter hohen Tank, der aktuell noch wie eine riesige rostige Thermoskanne aussieht, in Form von bis zu 98 Grad heißem Wasser gespeichert werden.

Fernwärme
Olaf Schümann, Projektmanager bei den Hamburger Energiewerken, vor dem im Bau befindlichen Wärmespeicher im Energiepark Hafen auf der Dradenau. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Da es zu leichten Verzögerungen beim Bau kam, wird der Energiepark Hafen das Kohlekraftwerk Wedel aber nicht schon Ende 2025, sondern erst nach der Heizperiode 2025/2026 ablösen können. Immerhin: Dann sollen nach HEnW-Angaben 55 Prozent der Fernwärme aus klimaneutralen Quellen kommen.

Im Kraftwerk Tiefstack soll 2030 Schluss mit Kohle sein

Im nächsten Schritt soll bis 2030 das Kohlekraftwerk Tiefstack durch einen Energiepark an gleicher Stelle abgelöst werden. Industrielle Abwärme von Aurubis und aus der benachbarten Müllverwertungsanlage Borsigstraße kommen dort ebenso zum Einsatz wie zwei neue Flusswasser-Großwärmepumpen und eine Wind-zu-Wärme-Anlage. Ein ergänzendes GuD-Kraftwerk gibt es in Tiefstack bereits, und die bestehende Kohle-Feuerungstechnik wird auf Gas und Biomasse umgerüstet.

Wenn beide Energieparks laufen, sollen die CO2-Emissionen bei der Fernwärmeerzeugung gegenüber 2020 bereits um 70 bis 80 Prozent sinken, so die HEnW, die stolz betonen: „Mit der Ablösung der beiden Kohlekraftwerke liefern die Hamburger Energiewerke den größten Einzelbeitrag zu Hamburgs Klimazielen.“ Insgesamt investiere man zwischen 2022 und 2028 rund 2,85 Milliarden Euro in die Energiewende.

Milliarden-Investitionen werden auch auf Kunden umgelegt

Die weiteren Schritte bis zur gesetzlich geforderten Klimaneutralität 2045 stehen noch nicht im Detail fest und werden wohl ebenfalls mehrere Maßnahmen umfassen. Eine ist dabei fest eingeplant: Die Gas-Kraftwerke für die Spitzenlasten können auch mit Wasserstoff betrieben werden. Ist dieser „grün“, also zum Beispiel mit Wind- oder Solarstrom erzeugt, woran auf dem Gelände des früheren Kohlekraftwerks Moorburg gearbeitet wird, wäre dieser Teil der Fernwärme also auch klimaneutral.

Drei knifflige Punkte bleiben dennoch: Da die Milliarden-Investitionen irgendwie refinanziert werden müssen und die Wärmeerzeugung in Zukunft wohl nicht günstiger wird, dürften die Preise für Fernwärme künftig eher steigen. Man wolle die neuen Anlagen aber „über lange Zeiträume abschreiben“ und so die Investitionen „abgefedert an die Kundinnen und Kunden weitergeben“, sagte eine HEnW-Sprecherin und betonte, dass man als städtisches Unternehmen den Anspruch habe, „auch in Zukunft sozialverträgliche Preise“ anzubieten.

Fernwärme: In Hamburg mehr als 90 Netze und zehn Betreiber

Zweitens sind die Hamburger Energiewerke zwar der größte, aber bei Weitem nicht der einzige Fernwärmeversorger in Hamburg. Mehr als 90 Netze von zehn verschiedenen Betreibern seien ihr bekannt, teilte die Umweltbehörde auf Abendblatt-Anfrage mit. Darunter sind bekannte Unternehmen wie Vattenfall und Hansewerk Natur. Sie alle sind gesetzlich verpflichtet, ihre Wärmenetze zu dekarbonisieren, doch nicht bei allen verläuft das so unter den Blicken der Öffentlichkeit wie den städtischen Energiewerken.

Habeck in Moorburg
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (M.) übergab im August auf dem Areal des ehemaligen Kohlekraftwerks Moorburg eine Millionen-Förderung für die Herstellung von grünem Wasserstoff. Dieser kann auch zur Erzeugung von Fernwärme genutzt werden. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Dabei gilt für alle Betreiber, dass ihre Netze nach dem Hamburgischen Klimaschutzgesetz bis 2030 einen Anteil von 50 Prozent Wärme aus erneuerbaren Energien oder „unvermeidbarer Abwärme“ (etwa aus der Müllverbrennung) aufweisen müssen, so die Bukea. Danach greift das bundesweite Wärmeplanungsgesetz, wonach bis 2040 dieser Anteil auf 80 Prozent und bis 2045 auf 100 Prozent steigen muss. Neue Fernwärmenetze müssen bereits ab März 2025 zu 65 Prozent klimaneutral betrieben werden.

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Drittens werden durch den Bau der zwei Energieparks, zig Kilometer Leitung sowie eines neuen Elbtunnels, der die Wärme von der Dradenau nach Altona transportiert, enorme Mengen CO2 freigesetzt. Auf Nachfrage, inwiefern das in der Klimabilanz berücksichtigt werde, hieß es aus der Umweltbehörde, die Hamburger Energiewerke würden sich um die Weiternutzung bestehender Kraftwerkskomponenten bemühen. „In der Gesamtbetrachtung“ seien die Emissionen während der Bauphase aber in Anbetracht der zu erwartenden CO2-Einsparungen im Betrieb „nicht entscheidungsrelevant“.