Hamburg. Konzern kämpft mit Lieferkettenproblemen, das dicke Auftragsbuch wird zur „Bürde“, und die Chinesen sind ein „ernst zu nehmender Konkurrent“.
André Walter befindet sich offenbar in einem Zwiespalt: „Wir können auf ein ganz gutes Jahr zurückschauen. Die Luftfahrtindustrie hat sich weiter erholt“, sagt der Chef der zivilen Flugzeugproduktion von Airbus in Deutschland am Montagabend im Gespräch mit Journalisten. Mehr als 730 Bestellungen für neue Jets gingen 2024 bisher ein. Das Hamburger Werk ist sehr gut ausgelastet. Klingt gut, wäre da nicht der Dauerbrenner: die Lieferkette.
Grundsätzlich habe sich die Lage zwar ein Stück stabilisiert. Aber: „Es sind noch einige wenige Zulieferer, die uns Probleme und Kopfschmerzen bereiten. Die uns hier und da – wir kennen das aus unserem täglichen Geschäft – auch mal lahmlegen können“, sagt Walter. Einfach ausgewechselt können diese Betriebe aber nicht werden, weil sie in der auf Sicherheit bedachten Branche zertifiziert sein müssen.
Airbus: Was der Hamburger Flugzeugbauer-Spitze „Kopfschmerzen“ bereitet
Daher führte man viele Maßnahmen zur Stabilisierung ein, kümmere sich auch um kleine, vorgelagerte Zulieferer. „Wir haben mittlerweile Hunderte von Mitarbeitern bei Lieferanten“, ergänzt Sebastian Peters, der seit vergangenem April die weltweiten Endmontagelinien für den Verkaufsschlager A320 leitet. Man wolle damit helfen, nicht kontrollieren.
Der geplante Hochlauf der Produktion gehe nur zusammen mit den rund 3000 Lieferanten. Das sei eine der gelernten Lektionen der vergangenen Jahre. „Wir sind mittlerweile gut darin zu antizipieren, wo es hakt“, sagt Peters. Daher blicke man nicht entspannt auf 2025, aber: „Es gibt definitiv Zeichen, dass unsere heutige Planung robust aussieht, die Rate 75 in 2027 hinzubekommen.“
Drei Millionen Teile pro Flugzeug – so abhängig ist Airbus von Lieferanten
Der Flugzeugbauer wollte einst schon im kommenden Jahr die Rate 75 erreichen. Es sollten also 75 Flugzeuge der A320-Familie pro Monat gefertigt werden. Dann wurde die Marke auf 2026 verschoben, vor einigen Monaten auf 2027. Immer wieder gab es die Hinweise auf die Probleme in den Lieferketten.
Der Flieger bestehe aus drei Millionen Teilen. „Wenn ein paar Lieferanten und ein paar Teile fehlen, dann können wir das Flugzeug leider nicht zusammenbauen“, sagt Peters. Lange Zeit gab es Probleme im Kabinenbereich, das habe sich nun ein wenig gebessert.
Airbus: Jahrelanges Warten auf neue Jets könnte Fluglinien verärgern
Das große Sorgenkind bleiben die Antriebe für die neuen neo-Flugzeuge. Die Triebwerkshersteller CFM und Pratt & Whitney – die mit ihren modernen Motoren den maßgeblichen Beitrag zur Treibstoffersparnis von 20 bis 25 Prozent im Vergleich zu früheren Generationen leisten – kämpfen ebenfalls mit Schwierigkeiten. Pratt & Whitney arbeitet derzeit den Rückruf von 3000 Aggregaten ab, bei denen ein möglicherweise schadhaftes Pulvermetall zur Fertigung von Hochdruckturbinenscheiben verwendet wurde.
Dabei ist das Airbus-Auftragsbuch pickepackevoll. Mehr als 7200 Maschinen der A320-Familie soll das Unternehmen abliefern. Wer jetzt bestellt, muss bis Anfang der 2030er-Jahre auf seinen Flieger warten. Das kann zu Verdruss bei Fluglinien und Leasinggesellschaften führen, die ebenfalls wichtige Auftraggeber sind.
Airbus: Warum das dicke Auftragsbuch zu einer Bürde wird
Das Orderbuch sei schon „eine gewisse Bürde, denn am Ende steckt ein Kunde dahinter. Es gibt nichts Wichtigeres, als den Kunden rechtzeitig und in einer vernünftigen Durchlauf- und Bestellzeit die Flieger anzubieten“, sagt Peters. „Deshalb brauchen wir dringlich die Rate 75.“
In diesem Jahr will der DAX-Konzern etwa 770 Flugzeuge ausliefern. Bis Ende Oktober waren es 559 Stück. Statt bisher im Schnitt 55,9 Maschinen pro Monat müssen im November und Dezember also jeweils mehr als 100 Maschinen in den Besitz der Airlines übergehen. Das Management gibt sich optimistisch, dieses Ziel zu erreichen.
Deutsches Airbus-Management bleibt optimistisch für Auslieferungsziel
„Wir haben die Flugzeuge im Prozess“, sagt Peters. „Es kommt darauf an, in den nächsten Tagen und Wochen das Beste daraus zu machen. Wir sehen eine realistische Chance, dass wir in Richtung 770 Flugzeuge landen werden.“
Um die Produktion hochzufahren, wurde in der Vergangenheit massiv Personal aufgebaut. In den Vorjahren habe man jeweils um die 1000 Leute neu eingestellt, sagt Walter: „Dieses Jahr ist das Jahr der Konsolidierung. Das heißt: Die Leute, die wir eingestellt haben, müssen erst mal etwas lernen, damit sie entsprechend an ihren Arbeitsplätzen arbeiten können.“ Rund 18.000 fest angestellte Beschäftigte zählt der Flugzeugbauer in Hamburg. Auf dem Niveau wird man sich wohl auch 2025 bewegen.
Chinesischer Hersteller Comac ist für Airbus „ernst zu nehmender Konkurrent“
Für die Zukunft blickt der deutsche Airbus-Flugzeugchef gespannt in Richtung Asien. Der chinesische Hersteller Comac will nach kleineren Maschinen, die mit dem A220 und A320 im Wettbewerb stehen, auch Langstreckenflugzeuge bauen. Comac sei ein „ernst zu nehmender Konkurrent, auf jeden Fall“, sagt Walter.
Der europäische Konzern habe aber über Jahrzehnte viel investiert, um die heutigen Flugzeuge mit ihrer Qualität zu bauen sowie die Aerodynamik und Kabine stetig zu verbessern. „Natürlich müssen wir ganz stark daran arbeiten, diesen Vorsprung zu verteidigen und idealerweise auszubauen“, sagt Walter.
Airbus will mit besserer Technologie den Chinesen trotzen
Man wünsche sich immer, im Bereich Technologie die Nase vorn zu haben, um das starke Wachsen der Chinesen in Schach zu halten. „Das muss das Ziel sein. Jammern und Kopf in den Sand stecken hilft nicht. Wir müssen weiterarbeiten, um am Ende des Tages die guten Produkte zu bauen“, so Walter.
Allerdings gehöre mehr dazu, als nur ein neues Flugzeug zu bauen. Die Luftfahrt bestehe immer aus einem Gesamtsystem, in dem zum Beispiel der Betrieb der Flotte, die Pilotenausbildung und der Aufbau des Reparatur- und Ersatzteilgeschäfts wichtige Rollen spielten. In der Beziehung habe man Vorteile, auch wenn die Chinesen sicherlich bemüht sein werden, aufzuholen.
Bisher kommt jeder A320-Flieger aus Hamburg – und künftig?
Airbus selbst wird 2025 in seinem chinesischen Werk in Tianjin die zweite Endmontagelinie für die A320-Familie in Betrieb nehmen. Auch in Mobile (USA) steht dieser Schritt im nächsten Jahr an. Bisher wurde etwa jeder zweite Flieger der Reihe in Hamburg endmontiert. Während das Management vor einem Jahr noch betonte, dass dieser Split so bleiben werde, blieb eine entsprechende Zusage in diesem Jahr auf Nachfrage aus.
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In Toulouse gibt es ebenfalls zwei Endmontagelinien, sodass der Anteil Hamburgs mit seinen vier Linien von der Hälfte auf 40 Prozent sinken wird. Allerdings können die Linien in unterschiedlicher Geschwindigkeit gefahren werden. Der Konzern gibt sich hinsichtlich der Fertigungsraten mittlerweile zugeknöpft. Aktuelle Produktionsraten werden nicht genannt.
Airbus: Was für die beiden deutschen Chefs das „Highlight des Jahres“ war
Ein Alleinstellungsmerkmal hat Finkenwerder mit dem A321XLR, der nur an der Elbe gebaut wird. Dank eines fest eingebauten Tanks im Frachtraum kann das eigentlich für die Kurz- und Mittelstrecke konzipierte Flugzeug auf Langstrecken eingesetzt werden. Von Airlines und Flughäfen wird es als „Gamechanger“ betrachtet. Auf nicht ganz so stark nachgefragte Routen zwischen Städten wie Hamburg und New York könnten sich mit dem Flieger lohnen. Kunden könnten so neue Direktstrecken angeboten werden.
Mehr als 500 Bestellungen liegen für den Jet vor. Er sei „jetzt schon ein kommerzieller Erfolg“, so Peters. Das Hamburger Werk, das als Kabinenkompetenzzentrum im Konzern gilt, könne diese Stärke bei dem XLR voll ausspielen. Denn wer länger fliegt, braucht eine hochwertigere Inneneinrichtung. Ende Oktober wurde der erste A321XLR an den Erstkunden Iberia ausgeliefert. Für die beiden Airbus-Manager Walter und Peters war es unisono das „Highlight des Jahres“.