Hamburg. In einem abgelegenen Hafenareal werden Milliarden investiert. Dort entsteht ein begehbarer Gang unter der Elbe. Was dahintersteckt.

  • Weil das Kohlekraftwerk Wedel abgeschaltet wird, entsteht auf der Dradenau ein neuer „Energiepark Hafen“.
  • 2,8 Milliarden Euro investieren die Hamburger Energiewerke in die „ökologische Transformation“.
  • Hingucker ist die „Thermoskanne“: ein rostiger Turm direkt an der A7 südlich des Elbtunnels.

Wer in Hamburg regelmäßig auf der A7 unterwegs ist, wird sich möglicherweise schon gewundert haben: Was ist das für ein rostiges Ungetüm, das da südlich des Elbtunnels direkt neben der Autobahn wie von Geisterhand, ohne Kräne oder Gerüst drumherum, emporwächst? Die Antwort ist nicht nur technisch spannend, sondern für Hunderttausende Haushalte auch sehr relevant: Denn hier auf der Dradenau entsteht der „Energiepark Hafen“, der schon in weniger als zwei Jahren das alte Kohlekraftwerk Wedel ablösen und die Hamburger vor allem mit Fernwärme versorgen soll.

Was künftig ein Hightech-Standort zur Energieerzeugung sein wird, ist nach den vielen Regenfällen der vergangenen Wochen vor allem eine Matschwüste, die an diesem Tag von Radladern, Kranwagen, Tiefladern und anderen Baufahrzeugen weiter kräftig umgepflügt wird. Dabei ist Wasser von oben hier noch das kleinere Problem. Um gegen die Flut der nahen Elbe geschützt zu sein, habe man die wichtigsten Bereiche des Energieparks erst mal von 7,0 auf 8,0 Meter über Normalnull erhöht, erzählt Olaf Schümann, Projektleiter der Hamburger Energiewerke (HEnW), der derzeit mehr als 500 Arbeiter auf der Baustelle koordiniert.

Ein neuer Elbtunnel soll Hamburgs Wärmeversorgung sichern

Damit nicht genug: „Wir haben allein 2000 Betonpfähle setzen müssen“, erklärt der Maschinenbauingenieur, während er in dicken Sicherheitsschuhen vorangeht. Auf dieser massiven Gründung entstehen derzeit mehrere Gebäude: Ein fast 100 Meter langer, mehrgeschossiger Riegel ist im Rohbau fertig – von hier wird der Energiepark einmal gesteuert und verwaltet.

Dahinter wächst der 110 mal 70 Meter große „Power-Block“, wie Schümann sagt. In diesem Gebäude läuft künftig alles zusammen: Abwärme, die mithilfe von Abwasserwärmepumpen im nahe gelegenen Klärwerk gewonnen wird, soll hier ebenso ankommen wie aus der direkt benachbarten Müllverbrennungsanlage und aus den großen Industriebetrieben der Umgebung. Welche das genau sein werden, wurde noch nicht kommuniziert. „Wir sind mit Unternehmern der Grundstoffindustrie wie beispielsweise Arcelor Mittal in Verhandlungen“, sagt eine HEnW-Sprecherin.

Kern des Energieparks Hafen ist ein Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk

Das Herzstück des Blocks ist eine Gas- und Dampfturbinen-Anlage (GuD): Die Turbine ist bereits montiert, thront inmitten des noch offenen Rohbaus in rund 15 Meter Höhe auf sechs Pfosten und erinnert dabei an die auf staksigen Beinen laufenden AT-AT-Kampfmaschinen aus „Star Wars“. Dieses „GuD-Kraftwerk“, wie es häufig genannt wird, kann die klimaneutral zugelieferte Wärme bei Bedarf weiter erhitzen – ebenso wie eine kleinere Power-to-Heat-Anlage, die ebenfalls auf dem Areal entsteht und Windstrom in Wärme verwandeln kann. „Das ermöglicht zu jeder Jahreszeit ein Maximum an Flexibilität und dient der Versorgungssicherheit“, werben die HEnW für ihr Projekt.

Die Dampfturbine des GuD-Kraftwerks (r.) steht bereits auf Stelzen an ihrem endgültigen Platz.
Die Dampfturbine des GuD-Kraftwerks (r.) steht bereits auf Stelzen an ihrem endgültigen Platz. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Man gehe aber davon aus, dass man mehr als 50 Prozent der benötigten Heizenergie über die von Dritten zugelieferte Abwärme erzeugen könne, erkärt Schümann. Lediglich in den kalten Wintermonaten, wenn der Wärmebedarf am höchsten ist, müsse das Gas-Kraftwerk also zugeschaltet werden – wobei es dann dank Kraft-Wärme-Kopplung auch Strom erzeugt. Perspektivisch soll das GuD mit Wasserstoff anstelle von Gas betrieben werden.

„Große Thermoskanne“: Der Wärmespeicher fasst 50 Millionen Liter Wasser

Der Blickfang des Energieparks steht aber ein paar Meter weiter – der Wärmespeicher. „Das ist eigentlich nur eine große Themoskanne“, sagt Schümann über den mit rund 40 Meter Höhe weithin sichtbaren rostigen Turm an der Autobahn. Um zehn Meter soll er noch anwachsen und dann einmal mehr als 50 Millionen Liter Wasser fassen können.

Das Prinzip ist denkbar einfach: Wird mehr Abwärme angeliefert als zur Wärmeerzeugung benötigt wird, wird mit dieser überschüssigen Energie Wasser auf bis zu 98 Grad erhitzt und in den Speicher geleitet – um es bei Bedarf wieder zum Heizen zu verwenden. Rein rechnerisch könne der Speicher einen kalten Tag lang 33.000 Hamburger Haushalte mit Wärme versorgen, rechnen die HEnW vor. Insgesamt versorgt das städtische Unternehmen rund 250.000 Haushalte mit Fernwärme.

Der rostige Turm bekommt noch eine Verkleidung und wird begrünt

Die rostige Haut des Turms wird übrigens bald nicht mehr sichtbar sein: Der Speicher bekommt noch eine Verkleidung und wird zudem bis zur halben Höhe begrünt. Fast schon schade: Dann sieht niemand mehr Pluto, Micky Maus und andere lustige, große Comicfiguren, die Scherzkekse mit Kreide aufgemalt haben.

„Große Thermoskanne“: Projektleiter Olaf Schümann von den Hamburger Energiewerken vor dem im Bau befindlichen Wärmespeicher, den man von der A7 gut erkennen kann.
„Große Thermoskanne“: Projektleiter Olaf Schümann von den Hamburger Energiewerken vor dem im Bau befindlichen Wärmespeicher, den man von der A7 gut erkennen kann. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Eine Besonderheit ist das Spiralmontageverfahren, mit dem der Turm errichtet wird: Statt die Einzelteile wie üblich aufeinanderzusetzen, werden sie von unten mit hohem Druck nachgeschoben, sodass der Turm sich wie eine Spirale jedes mal ein Stück dreht und in die Höhe wächst. „Dadurch brauchen wir kein Gerüst“, erklärt Schümann, während das vorgebogene Wandstück mit der Nummer 137 gerade, am Haken eines mächtigen Volvo-Radladers hängend, angeliefert wird.

Der Wärmespeicher wird zum Symbol der Energiewende in Hamburg

Ganz oben am Turm sind bereits die Halterungen zu erkennen, an denen bald das Logo der Hamburger Energiewerke hängen wird. Damit wird das Bauwerk auch zu einem Symbol für eine gewaltige Transformation: weg von der Kohle, hin zu erneuerbaren Energien. Denn der Energiepark Hafen hat keine geringere Aufgabe als das marode Kohlekraftwerk Wedel zu ersetzen, das bis Ende 2025 abgeschaltet werden soll. Ein zweiter „Energiepark Tiefstack“ wird auf dem Gelände des gleichnamigen Kraftwerks errichtet und dort 2030 das Ende des Kohlezeitalters in Hamburg besiegeln. Dort setzen die HEnW dann auf Flusswasserwärmepumpen, Biomasse sowie Abwärme aus Industrie und Müllverbrennung.

Kunst am Bau: Scherzkekse haben Comicfiguren wie Pluto und Micky Maus auf die rostige Speicherwand gezeichnet.
Kunst am Bau: Scherzkekse haben Comicfiguren wie Pluto und Micky Maus auf die rostige Speicherwand gezeichnet. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Insgesamt gut 2,8 Milliarden Euro investiert das Unternehmen in diese „ökologische Transformation“, den Großteil davon in den Energiepark Hafen samt Abwasser-Wärmepumpe am Klärwerk sowie kilometerlange Leitungen zum Transport der Wärme. Als größter CO₂-Emittent der Stadt wollen die Energiewerke mit diesem Kraftakt ihre Emissionen von einer Million im Jahr auf 200.000 Tonnen reduzieren – das sei „der größte Einzelbeitrag zur Erreichung der Hamburger Klimaziele“, betont man stolz.

2,8 Milliarden Euro investierten die Hamburger Energiewerke in den Kohleausstieg

Allein rund 280 Millionen Euro fließen in die 7,6 Kilometer lange „Südleitung“, mit der die Wärme von der Dradenau auf die andere Seite der Elbe transportiert werden soll. Vom Energiepark Hafen lässt sich der Verlauf gut nachvollziehen: Über mehr als drei Kilometer zieht sich eine Baustelle durch das Hafengebiet Richtung Nordwesten, wo die Fernwärmeleitungen unter den Straßen verlegt wurden.

In einem 25 Meter tiefen Schacht beginnt der Fernwärmetunnel, den „Hermine“ 1,2 Kilometer unter der Elbe hindurchbohrt.
In einem 25 Meter tiefen Schacht beginnt der Fernwärmetunnel, den „Hermine“ 1,2 Kilometer unter der Elbe hindurchbohrt. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Zwischen Köhlfleet und Petroleumhafen werden die Leitungen in einen großen Schacht mit 22 Meter Durchmesser münden: Von hier aus geht es unterirdisch weiter, in einem neuen Elbtunnel. 133 der 1200 Meter langen Röhre hat der auf den Namen „Hermine“ getaufte Bohrer (steht für „Hamburger Energiewerke Mit Neuer Energie“) bereits geschafft.

Der Elbtunnel-Bohrer „Hermine“ wächst auf bis zu 280 Meter Länge

„Moin“, sagt Projektleiter Dirk Lassen-Petersen zur Begrüßung. Zusammen mit Camille Kuegnong, Schichtleiter der Baufirma Implenia, bittet er in einen Zahnrad-Baufahrstuhl, der an der Innenwand des Schachtes 25 Meter ruckelnd in die Tiefe fährt. Der Boden der Grube ist komplett mit Maschinen, Rohren, Schläuchen und Technik vollgestopft, was vor allem daran liegt, dass Hermine gerade umgebaut wird. Kam bislang ein Bohrspülverfahren („Slurry“) zum Einsatz, wird die Erde künftig über eine Schnecke und ein Förderband abtransportiert.

Da dieses Band sowie die Versorgungsleitungen immer länger werden müssen, je weiter der Bohrer unter der Elbe vordringt, wird auch die Tunnelbohrmaschine schrittweise um sogenannte „Nachläufer“ verlängert. Am Ende wird Hermine rund 280 Meter lang sein. Wunderwerke der Technik sind solche Maschinen ohnehin: Denn sie bohren nicht nur den Tunnel, sondern bauen ihn auch, indem sie die Tübbinge setzen: Je sechs solcher Betonsegmente bilden einen Ring, und aus Hunderten Ringen entsteht die Außenschale des Tunnels.

Fernwärme-Tunnel wird genauso gebaut wie die vierte Elbtunnel-Röhre

„Das ist ist die gleiche Bauart wie bei der vierten Elbtunnelröhre“, erklärt Dirk Lassen-Petersen. „Hermine ist im Prinzip die kleine Schwester von Trude.“ Das stand für „Tief Runter Unter Die Elbe“ und war der Name des Bohrers, der beim Ausbau der A7 zum Einsatz kam. Seitdem steht er im Museum der Arbeit.

Blick in den neuen Fernwärmetunnel, der unter der Elbe hindurch Wärme ins Hamburger Stadtgebiet liefern soll. Rund 130 Meter lang ist die Röhre bereits.
Blick in den neuen Fernwärmetunnel, der unter der Elbe hindurch Wärme ins Hamburger Stadtgebiet liefern soll. Rund 130 Meter lang ist die Röhre bereits. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Wobei „klein“ relativ ist: Denn der Fernwärmetunnel hat immerhin einen Durchmesser von 4,5 Metern (außen) und rund 3,5 Metern innen. In ihm werden übereinander zwei 800-Millimeter-Rohre verlaufen, eines für das warme Wasser, eines für das zurücklaufende abgekühlte Wasser. Daneben entsteht ein begehbarer Gang für Wartung und Reparaturen – so enthält Hamburg also nebenbei eine weitere Elbquerung, wenn auch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich.

Neuer Elbtunnel versorgt Hamburg in knapp zwei Jahren mit Fernwärme

Bislang sei Hermine bis zu 4,5 Meter am Tag vorangekommen, nach dem Umbau sollen es acht Meter werden, erklärt Lassen-Petersen. „Vielleicht werden es auch mal zwölf Meter.“ Man wisse ja nie, was im Untergrund so wartet. Jedenfalls wolle man bis Ende des Jahres den Durchbruch schaffen und in einem Schacht nördlich der Elbe im Hindenburgpark ankommen. Von dort verläuft die Leitung über Othmarschen und Groß Flottbek bis in die Notkestraße, wo sie auf den „Weststrang“ des Hamburger Fernwärmenetzes stößt.

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Und in knapp zwei Jahren sollen Hunderttausende Hamburger über diese Leitung mit Wärme versorgt werden. Wenn sie dann auf der A7 an der Abfahrt Waltershof vorbeikommen, werden sie dort keinen rostigen Turm mehr sehen – sondern einen, der für den gewaltigen Umbau der Energieversorgung steht.