Hamburg. Eine aktuelle Studie sieht 160.000 Haushalte unter „Handlungsdruck“. Es mangelt an großen Wohnungen für Familien und kleinen für Senioren.

Wie angespannt der Hamburger Wohnungsmarkt ist und wie schwer es ist, hier eine passende Bleibe zu finden, ist Gegenstand vieler Analysen. Die groß angelegte „Studie zur Entwicklung des Wohnverhaltens in Hamburg“, die der Senat an diesem Dienstag verabschiedet hat, geht jedoch weit darüber hinaus. Bundesweit zum ersten Mal sei damit nicht nur die Wohnsituation der Menschen erfasst worden, sondern auch ihre Wohnwünsche. Und dabei zeigt sich eine erhebliche Diskrepanz: Es mangelt massiv an großen Wohnungen für Familien und kleinen für Senioren.

Zwar ließe sich das 400-Seiten-Werk, das das ALP Institut für Wohnen und Stadtentwicklung und die HafenCity Universität Hamburg im Auftrag der Stadtentwicklungsbehörde erstellt haben und das dem Abendblatt exklusiv vorliegt, mit einem Satz zusammenfassen: 85 Prozent der Hamburger sind mit ihrer Wohnsituation zufrieden. Dennoch wird sehr klar herausgearbeitet, warum das kein Grund zum Ausruhen ist.

Immobilien Hamburg: Homeoffice-Trend verschärft die Wohnungsnot

Denn erstens ist diese Zufriedenheit sehr unterschiedlich ausgeprägt. Vergleichsweise unzufrieden seien etwa Familien mit Kleinkindern und hier insbesondere die Gruppe der Haushalte mit geringem Einkommen: „Rund ein Drittel dieser Gruppe ist mit der Wohnsituation eher unzufrieden oder sehr unzufrieden“, heißt es. Hauptgrund sei, dass es diesen Familien nicht gelinge, „die Wohnsituation an die durch die Geburt eines Kindes veränderte Bedarfslage anzupassen“. Anders ausgedrückt: Die Familie wächst, die Wohnung wird zu klein, aber man findet keine (bezahlbare) größere.

Solche Haushalte haben also einen gewissen „Handlungsdruck“, und damit sind sie keineswegs allein, im Gegenteil: „Hochgerechnet wollen rund 160.000 oder 16 Prozent der insgesamt rund eine Million Hamburger Haushalte aufgrund eines akuten oder absehbaren Handlungsdrucks umziehen“, so die Studienautoren. Zu dieser Gruppe zählten sowohl Menschen mit eher niedrigen Einkommen (etwa 88.000 Haushalte) als auch solche mit eher höheren Einkommen (etwa 72.000).

Homeoffice: „Konkurrenz um die Wohnfläche hat sich verschärft“

Hinzu kommen rund 181.000 „Optimierer“, das sind Haushalte, bei denen es zwar keinen Handlungsdruck gibt, aber den Wunsch nach einer anderen Wohnung – und das bedeutet in der Regel: einer größeren Wohnung. Die Autoren erklären das unter anderem mit einem aktuellen Trend: „Dies ist auch eine Konsequenz der Corona-Pandemie bzw. der Ausweitung der Homeoffice-Tätigkeit. So fragen Haushalte, die im Homeoffice arbeiten, tendenziell mehr Wohnfläche für die Tätigkeit zu Hause nach.“

Dieser deutliche Trend gehe vor allem auf die Gruppe der gut ausgebildeten, besser verdienenden Beschäftigten zurück, so die Studie, die festhält: „Die Konkurrenz um die bestehende Wohnfläche hat sich mit dieser Entwicklung weiter verschärft.“

391.000 Hamburger Haushalte wollen umziehen – aber es gibt zu wenig Angebot

Zusammen mit den 50.000 Haushalten, die den Hamburger Wohnungsmarkt in absehbarer Zeit verlassen wollen, gibt es in Hamburg insgesamt 391.000 Haushalte, die „entweder bereits auf der Suche nach einer Wohnung sind oder in den nächsten drei bis fünf Jahren ihre Wohnsituation verändern wollen“. Die vielfach lange andauernde Wohnungssuche deute darauf hin, dass dies „nicht allen Haushalten gelingen wird“, unken die Autoren.

Das liegt zum einen daran, dass es angesichts einer Leerstandsquote von unter 0,5 Prozent insgesamt zu wenig Angebot gibt. Und zweitens daran, dass knapp die Hälfte dieser riesigen Gruppe (etwa 194.000 Haushalte) eine größere Wohnung sucht. Nur 104.000 Haushalte (27 Prozent) wollen sich verkleinern, 93.000 oder 24 Prozent suchen eine etwa gleich große Wohnung.

Vor allem an familiengerechten Wohnungen mangelt es massiv

Das führt zum Kern des Problems, nämlich „das knappe verfügbare Wohnungsangebot im Segment der familiengerechten Wohnungen/Eigenheimen“ auf der einen und die „hohe, durch die verstärkte Homeoffice-Tätigkeit noch beförderte Nachfrage nach großen Wohnungen“ auf der anderen Seite, so die Studie. Wobei als „groß“ alles mit vier Zimmern und mehr als 80 Quadratmeter Wohnfläche gilt.

Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein.
Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD), hier am Stadtmodell im Foyer ihrer Behörde, will vor allem den Bau kleinerer und größerer Wohnungen forcieren. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Dabei gibt es ausreichend große Wohnungen, nämlich 340.000. Damit ließen sich die 188.000 Familien mit Kindern in Hamburg locker versorgen – theoretisch. Denn in der Realität wird nur knapp ein Drittel der familiengerechten Wohnungen auch von Familien bewohnt. Ein hoher Anteil der Familien lebt dagegen „in beengten Wohnverhältnissen“, so die Studie. In der Gruppe mit geringeren Einkommen trifft das auf 41 Prozent der Paare mit drei und mehr Kindern und auf 26 Prozent der Paare mit Kindern zu.

Miete Hamburg: Familien finden auch für 1500 Euro keine Wohnung

Doch auch Familien mit höheren Einkommen sind von diesem Problem betroffen. Dabei sei Geld „nicht der hemmende Faktor“, heißt es. Diese Gruppe sei durchaus bereit, eine Warmmiete von 14 bis 17 Euro pro Quadratmeter oder bis zu 1500 Euro warm für eine größere Wohnung zu bezahlen – finde aber dennoch kaum etwas.

An dem Punkt wird ein weiteres Problem deutlich: In diesen großen Wohnungen leben oft ältere Menschen, die, nachdem die Kinder ausgezogen sind, nur noch allein oder zu zweit sind. Viele von ihnen können sich durchaus eine Reduzierung der Wohnfläche vorstellen – aber nur unter der Voraussetzung, dass die Mietbelastung dadurch auch sinkt. Doch an bezahlbaren, kleinen Wohnungen fehlt es ebenfalls.

Viele Senioren wollen ihre große Wohnung nicht aufgeben

Das größere Hindernis sei aber, dass viele Ältere ihre gewohnte Umgebung nicht verlassen wollen. Die Autoren haben eine „geringe Umzugsneigung von mittelalten und insbesondere älteren Haushalten“ festgestellt und notieren: „Ein unter Versorgungsgesichtspunkten wünschenswerter Generationenwechsel in den familiengerechten Wohnungen findet meist nicht statt.“ 73.000 Haushalten, die eine familiengerechte Wohnung suchen, stünden nur etwa 29.000 Haushalte gegenüber, die prinzipiell bereit wären, ihre große Wohnung gegen eine kleinere einzutauschen.

Für die Zukunft sei daher „keine Entspannung der Situation am Wohnungsmarkt absehbar“, so die Studie. Die Wohnkostenbelastung werde weiter zunehmen und Umzüge erschwert. Zudem werde die Polarisierung zunehmen: Während beliebte und citynahe Stadtteile tendenziell nur noch für Haushalte mit höheren Einkommen bezahlbar sein werden, würden die Haushalte mit geringen Einkommen sich in den unattraktiveren Lagen ballen.

Stadtentwicklungssenatorin Pein begrüßt hohe Zufriedenheit

Trotz der teilweise ernüchternden Befunde begrüßte Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD), dass es mit der Studie zum ersten Mal überhaupt gelungen sei, die gesamte Wohnbevölkerung der Hansestadt abzubilden und bestimmten Wohnformen zuzuordnen: „Daraus können wir viele Erkenntnisse ableiten“, sagte sie dem Abendblatt.

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Einerseits wertet die Senatorin die hohe Zufriedenheit der Haushalte mit ihrer Wohnsituation als Erfolg der Senatspolitik. Andererseits zeige die Studie, welche Haushaltgruppen „unter enormem Druck stehen“, so Pein. „Hierzu gehören vor allem Singlehaushaushalte für Jung und Alt mit geringem Haushaltseinkommen sowie größere Haushalte in der Familiengründungsphase, für die wir zu wenig Angebot haben.“

Pein sieht Neubau als Schlüssel gegen Wohnungsnot

Sie schloss sich daher dem Fazit der Autoren an: „Wir benötigen verstärkt kleine Wohnungen unter 50 Quadratmetern und große Wohnungen mit mehr als 80 Quadratmetern.“ Auch die Empfehlung, trotz der derzeit widrigen Rahmenbedingungen an dem ambitionierten Ziel von 10.000 neuen Wohnungen pro Jahr festzuhalten, begrüßte die Senatorin: „Neubau ist der Schlüssel, denn er führt nicht nur zur Verbesserung für die Bewohnerinnen und Bewohner der neuen Wohnungen, sondern löst weitere Umzüge aus, wodurch sich die Wohnsituation für mehrere Haushalte gleichzeitig verbessert.“