Hamburg. Airbus-Rivale kämpft mit zig Baustellen: schlechte Qualität, Verspätungen der 777-X, streikende Mitarbeiter, Jobabbau – und Geld fehlt auch.
Alles rund läuft bei Airbus sicherlich nicht. Im Sommer musste das Jahresziel für den operativen Gewinn um ein bis eineinhalb Milliarden Euro gekappt werden. Verantwortlich dafür waren auch massive Abschreibungen in der Verteidigungs- und Luftfahrtsparte, in der man nun 2500 Jobs streichen will. Das Auslieferungsziel wurde wegen Schwierigkeiten in der Lieferkette von etwa 800 auf rund 770 Verkehrsflugzeuge reduziert. Die Aktie ist von ihren Höchstkursen ein Stück weit entfernt.
Doch im Vergleich mit dem Erzrivalen steht der DAX-Konzern gut da. Bei Boeing stapeln sich die Probleme – und sie sind viel gravierender als bei dem europäischen Konzern. Es geht um deutlichen Stellenabbau, seit Wochen andauernde Streiks von Mitarbeitern, erneute massive Verspätungen beim als A380-Nachfolger eingeplanten Langstreckenjet 777-X, eklatante Qualitätsprobleme – und nun ist das US-Unternehmen auch noch auf der Suche nach Geld in Milliardenhöhe.
Jobabbau, A380-Nachfolger und Co. – die großen Probleme bei Airbus-Rivale Boeing
Die Krise schwelt bei Boeing seit Langem. Seit dem Absturz von zwei Mittelstreckenjets vom Typ 737 Max ist das Image ramponiert. Im Oktober 2018 ging eine Maschine der indonesischen Fluggesellschaft Lion Air im Meer unter, im März 2019 zerschellte eine von Ethiopian Airlines auf einem Feld. 346 Menschen starben bei diesen beiden Katastrophen.
Für die 737 Max wurde damals ein weltweites Startverbot ausgesprochen, in Europa dauerte es bis zum Jahresanfang 2021. Als Ursache gilt ein Fehler im Steuerungssystem MCAS, das durch ein Update letztlich behoben wurde.
Boeings „Fenstersturz“ macht Qualitätsmängel Anfang 2024 offensichtlich
Doch mit der Corona-Pandemie stürzte die gesamte Branche wegen des wegbrechenden Flugverkehrs in die Krise. Wie Konkurrent Airbus baute Boeing Personal ab. Als sich die Luftfahrt schneller erholte als gedacht, fehlte qualifiziertes Personal zum Wiederhochfahren der Produktion. Und immer wieder traten Qualitätsmängel auf. Der Höhepunkt der Fehlentwicklung spielte sich zu Jahresbeginn 2024 ab. Der US-Flugzeugbauer erlebte seinen „Fenstersturz“.
Im Steigflug einer 737 Max von Alaska Airlines wird ein Rumpfteil mit dem Fenster aus der Verankerung gerissen. Glücklicherweise ist der Platz direkt daneben leer. Der Passagier am Mittelgang kommt mit viel Schrecken und verhältnismäßig leichten Verletzungen davon. Die US-Unfallermittlungsbehörde NTSB ermittelte, dass das Fensterteil zuvor im Boeing-Werk für Nacharbeiten herausgenommen wurde. Beim Wiedereinbau wurden dann vier Befestigungsbolzen an dem Rumpfteil „vergessen“.
Boeing baute das Fensterteil zuvor aus, konnte aber keine Dokumente vorlegen – ein Fiasko
Dabei legt die Branche generell sehr viel Wert auf hohe Sicherheitsstandards. Jeder Arbeitsschritt unterliegt mindestens dem Vier-Augen-Prinzip und muss dokumentiert werden – doch Boeing konnte keine Unterlagen zu dem Ausbau finden und den Ermittlern zur Verfügung stellen. Ein Fiasko. Zumal bei Untersuchungen auch bei anderen Fliegern fehlende Schrauben auffielen.
Mitarbeiter der US-Luftaufsichtsbehörde FAA führten daraufhin Tests in der Produktion durch. 33 von 89 Prüfungen sollen als gescheitert bewertet worden sein. Eigentlich sollte die Produktionsrate in diesem Jahr 38 Maschinen der 737-Max-Familie pro Monat erreichen. Aufgrund der Qualitätsmängel und Auflagen der FAA war dies monatelang nicht möglich. Denn Boeing nahm umfangreiche Nachschulungen seines Personals vor, das kostete Zeit.
A380-Nachfolgejet 777-X kommt für Boeing Jahre später als geplant
Dabei ist das Auftragsbuch pickepackevoll. Mehr als 4000 Maschinen des Verkaufshits sollen noch gebaut werden. Die Produktionsmängel erstrecken sich aber nicht nur auf das A320-Pendant. Auch beim Langstreckenflieger 787 Dreamliner tauchten Probleme auf. Und Mitte August kam mit dem Hoffnungsträger 777-X die nächste Baustelle hinzu.
Das größte zweistrahlige Verkehrsflugzeug der Welt hinkt seinem Zeitplan ohnehin hinterher. Eigentlich sollte der Langstreckenjet im Jahr 2020 erstmals ausgeliefert werden. Auf eine Verspätung folgten weitere. Zuletzt hieß es, im Jahre 2025 solle Lufthansa als Erstkunde den Flieger erhalten. Doch am 11. Oktober wurde auch dieses Datum gekippt. Nun solle es erst 2026 so weit sein, informierte der neue Boeing-Chef Kelly Ortberg in einem Schreiben an die Mitarbeiter.
Boeing tauscht zum wiederholten Male den Konzernchef aus
Apropos: Der 64-Jährige ist schon der dritte Vorstandsvorsitzende, der den US-Hersteller aus der Krise führen soll. Nach den 737-Max-Abstürzen musste der damalige CEO Dennis Muilenburg Ende 2019 gehen. Und nach dem Feststellen der Qualitätsprobleme traf es seinen Nachfolger David Calhoun – seit dem 8. August führt nun Ortberg den Konzern.
Nur rund eine Woche nach seinem Amtsantritt erlebte Ortberg die nächste Hiobsbotschaft. Die 777-X ist zwar noch nicht ausgeliefert, allerdings absolvierten vier Maschinen Testflüge. Nach einem Start auf Hawaii wurde an einem Jet der Ausfall eines wichtigen Strukturteils zwischen Motor und Flügel festgestellt. Die anderen Testflieger wurden genau inspiziert, und man fand auch dort Risse an diesem Bauteil. Der Testflugbetrieb ist seitdem ausgesetzt.
A380-Hauptkunde Emirates grollt ob der 777-X-Verspätung
Auch Emirates hat den Jet als einen der Nachfolger für den Airbus A380 eingekauft. Die arabische Airline rechnete – wie die Lufthansa – damit, den Flieger 2025 einzuflotten. Nachdem die Verzögerung bekannt wurde, grollte Airline-Chef Tim Clark. „Ich sehe nicht, wie Boeing aussagekräftige Prognosen zu Lieferterminen machen kann“, sagte er angesichts der massiven Probleme des US-Flugzeugbauers der Wirtschaftsagentur Bloomberg und kündigte „ernste Gespräche“ mit den Boeing-Verantwortlichen an.
Als Gründe für die weitere Verspätung bei der Erstauslieferung der 777-X nannte Ortberg in einem Schreiben an die Mitarbeiter Herausforderungen bei der Entwicklung des Fliegers, das Aussetzen des Testflugbetriebs sowie den andauernden Stopp des Produktionsbetriebs.
Boeing-Beschäftigte in Seattle streiken seit Mitte September
Seit dem 13. September streiken Zehntausende Beschäftigte des Flugzeugbauers im Großraum Seattle und legen die Produktion der 777-X und der 737 Max lahm. Nach mehreren Nullrunden in den vergangenen Jahren wollen sie mehr Geld. Langsam schien Bewegung in den Tarifstreit zu kommen. Boeing bot zunächst eine Einkommenserhöhung von 25 Prozent an, nach Vermittlung der US-Arbeitsministerin Julie Su sogar 35 Prozent mehr bei einer Laufzeit von vier Jahren. Zudem sollten 7000 Dollar als Einmalzahlung erfolgen und Bonusregelungen beibehalten werden, die eigentlich abgeschafft werden sollten.
Doch bei einer Abstimmung am vergangenen Mittwoch wurde auch die verbesserte Offerte abgelehnt. 64 Prozent stimmten dagegen, so die Gewerkschaft IAM. „Nachdem wir zehn Jahre lang Opfer erbracht haben, gibt es noch eine Menge Boden wiedergutzumachen“, so die IAM-Führung.
Klar scheint aber schon jetzt, dass das Ergebnis dieses Tarifstreits das Unternehmen viel Geld kosten wird – das der Konzern gar nicht hat. Seit Anfang 2019 sammelten sich bis Ende 2023 Verluste von gut 24 Milliarden Dollar (gut 22 Milliarden Euro) an.
Boeing will sich Milliardensummen durch Anleihen oder Aktienausgabe holen
Zum Vergleich: Airbus wies im ersten Corona-Jahr 2020 zwar auch einen Nettoverlust von 1,1 Milliarden Euro aus. Aber schon im Folgejahr drehten die Europäer trotz der noch akuten Pandemie dies auf einen Konzerngewinn von 4,2 Milliarden Euro, der damit auf Rekordniveau lag. In diesem Jahr gab es zwar im Juni eine Ergebniswarnung, der operative Gewinn soll um eine bis eineinhalb Milliarden niedriger ausfallen – aber immer noch satte etwa 5,5 Milliarden Euro betragen.
Medienberichten zufolge soll Boeing auf der Suche nach Unternehmensteilen sein, die man verkaufen könne. Bei der Börse reichte man in der vergangenen Woche Unterlagen ein, um für bis zu 25 Milliarden Dollar Anleihen oder Aktien auszugeben und somit seine Haushaltslage zu stabilisieren. Zuvor hatte man schon bei verschiedenen Banken zehn Milliarden Dollar aufgenommen.
Boeing will etwa jeden zehnten Arbeitsplatz streichen
Man müsse die Belegschaftsstärke an die finanzielle Realität anpassen, schrieb Ortberg am 11. Oktober an die Mitarbeiter: „In den kommenden Monaten planen wir, die Zahl unserer Belegschaft um etwa zehn Prozent zu reduzieren.“ Betroffen davon seien Führungskräfte, Manager und Mitarbeiter. Es geht um rund 17.000 Jobs. Er wünsche, er könnte diese Einschnitte verhindern, so Ortberg: „Die Lage unseres Unternehmens und unsere zukünftige Erholung erfordern jedoch harte Maßnahmen.“
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Finanziell wies der Flugzeugbauer in dieser Woche für die ersten neun Monate dieses Jahres am Mittwoch erneut ein dickes Minus aus: Fast acht Milliarden Dollar Nettoverlust häuften sich bisher an. Und die im Oktober andauernden Streiks dürften für weitere Milliardenbelastungen sorgen. „Wir sind mit zu vielen Schulden belastet“, sagte Ortberg. Man habe richtige Veränderungen bereits auf den Weg gebracht, aber es stünde noch eine Menge Arbeit an, so der Boeing-Chef: „Dies ist ein großes Schiff, das einige Zeit braucht für die Wende. Aber wenn es wendet, hat es das Potenzial, wieder großartig zu sein.“