Hamburg. Schweinskopf vor der Tür, Sabotage in der Zentrale und die skurrile Geschichte der Telefonnummer 211 211: Ein Veteran erzählt, wie alles anfing.
Wenn jemand versucht, ihnen die Butter vom Brot zu nehmen, neigen Hamburgs Taxifahrer zu heftigem Protest: Als vor ein paar Jahren ein Start-up einen Online-Mitfahrservice in der Hansestadt auf die Beine stellte und so zum gefährlichen Konkurrenten der Branche wurde, organisierte die eine Taxidemo. Stundenlang umkurvten elfenbeinfarbene Autos hupend den Firmensitz in der HafenCity. Wenig später untersagte die Wirtschaftsbehörde den neuen Service. Er verstieß gegen geltendes Recht.
Vor 50 Jahren waren die Sitten noch rauer, wurden Auseinandersetzungen noch erheblich handfester ausgetragen. „Einmal lag ein Schweinskopf vor der Tür. Und einmal haben sie uns die einzige Telefonleitung unserer Zentrale mit einem Beil durchgeschlagen“, erinnert sich Günter „Charly“ Jeschke. Der heute 84-Jährige ist einer der letzten lebenden Gründerväter der Genossenschaft Hansa-Funktaxi eG. Die wurde 1974 aus der Taufe gehoben, bezeichnet sich heute als Marktführer in der Region. Alles begann, als ein Teil der Hamburger Taxifahrer den Aufstand gegen die damals führende Taxivermittlung in der Stadt probte.
50 Jahre Hansa-Taxi: Als Hamburgs Taxifahrer den Aufstand probten
Dieser Autoruf Hamburg war ein privates Unternehmen, es saß bei der Funkvermittlung gegenüber den Fahrern und Kleinunternehmern am längeren Hebel und auf einem hohen Ross. Jeschke war mit seinem Mercedes damals meist nachts unterwegs, wartete bevorzugt auf dem Kiez auf Fahrgäste. „Oft standen wir stundenlang rum, bekamen keine Aufträge vom Autoruf“ erinnert er sich. Die Zentrale erhielt zwar pauschal mehrere Hundert Mark im Monat pro Wagen, doch tat sie wenig dafür. „Die Kneipenbesitzer auf St. Pauli waren auch genervt, weil kein Taxi kam, wenn sie eines bestellten“, sagt Jeschke.
80 bis 90 Mark Umsatz machte ein Fahrer damals pro Schicht. Zu wenig, um eine Familie zu ernähren. Dass sie mehr einnehmen könnten, wenn der Autoruf sich nicht auf seinen sicheren Beiträgen ausruhen würde, schürte Unmut bei den Taxilenkern. Sie beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und eine eigene Taxi-Zentrale aufzubauen. Die Gründungsversammlung fand im Februar 1974 statt. Aus dem Verein wurde Jahre später eine Genossenschaft. Charly Jeschke hat bis heute die Mitgliedsnummer 26.
Doch der Taxiruf mobilisierte seine treuen Fahrer gegen die junge Konkurrenz. Wer auch immer die Telefonleitung mit dem Beil durchtrennte und die Hansa-Taxi-Zentrale stundenlang lahmlegte – er dürfte aus den Autorufreihen gekommen sein. Ein anderer beliebter Sabotage-Trick: ein Anruf aus einer öffentlichen Telefonzelle (für Leser unter 25: Die gab es früher, dann kam das Handy), ohne aufzulegen. Auch dann war die Hansa-Nummer blockiert. „Dann gab es einen Funkrundruf, und wir alle haben erst mal Ausschau gehalten, in welcher Telefonzelle der Hörer an der Strippe baumelte.“
Die 211 211 ist eine von mehreren Telefonnummern von Hansa-Taxi, genutzt wird sie seit 1983. Und diese Zahlenfolge hat ebenfalls sehr viel mit nächtlichem Kneipenleben zu tun. „Damals stand in den meisten Kneipen noch ein Wählscheibentelefon in Reichweite der Gäste“, sagt Jan Weber. Der aktuelle Vorstand der Genossenschaft weiß das aus den Erzählungen der Veteranen. Damit die Gäste kein Schindluder trieben, war der Fernsprecher aber gesichert. „Im Loch über der Ziffer 3 war ein Rundschloss befestigt“, sagt Jeschke.
211 211 – die Telefonnummer hat eine skurrile Vorgeschichte
Der Vorteil: Die Nummer der Feuerwehr (112) ließ sich trotzdem wählen. Die der Polizei zwar nicht. Aber das war wohl insbesondere in Absturz-Etablissements auf St. Pauli durchaus im Sinne der Kneipiers. Die geradezu geniale Idee der Genossenschaftler: Auch die 211 211 lässt sich wählen, ohne dass die Tresenkraft erst das Telefonschloss lösen muss.
„Die Anfangsjahre waren hart. Unsere Frauen haben ohne Bezahlung Telefondienst gemacht“, erinnert sich Jeschke. Er selbst hängte an seine Nachtschichten hinter dem Steuer oft noch mehrere Stunden in der Zentrale dran. Die Schlagersängerin Gitte Hænning hat er mal chauffiert. „Von der Disco am Schlump zu ihrer Wohnung im Hamburger Westen.“ Und der frühere Vizekanzler und FDP-Politiker Erich Mende saß bei ihm im Fonds. „Von der Reeperbahn ins Hotel Reichshof.“ Ein Gespräch kam nicht zustande.
Mende sei in Begleitung eines jungen Mannes gewesen, sagt Jeschke. Er selbst war auf den Liberalen damals nicht gut zu sprechen. Denn der FDP-Vorsitzende hatte großen Anteil daran, dass Bundeskanzler Konrad Adenauer 1963 von Ludwig Erhard abgelöst wurde. Charly Jeschke aber war schon in jungen Jahren ein großer Adenauer-Anhänger.
Es waren Zeiten, in denen schmucke Taxifahrer immer mal wieder eindeutige Einladungen alleinreisender weiblicher Fahrgäste bekamen. „Kommst du noch mit?“, lautete die verlockende Frage nach dem Bezahlen vor der Haustür. „Die Sitten waren damals noch etwas lockerer.“ Auch das weiß Jan Weber aus den Erzählungen der Genossenschafts-Veteranen. Heute ist es ein No-Go sowohl für Fahrer wie für Passagierinnen.
Hansa-Taxi: Die größten Konkurrenten sind FreeNow, Uber und Bolt
Den Autoruf hat die Genossenschaft später übernommen, ihre größten und ungleich mächtigeren Konkurrenten sind heute erneut gut finanzierte, private Wirtschaftsunternehmen. Es sind Fahrtenvermittler wie Uber, FreeNow und in Hamburg neuerdings auch Bolt, bei denen Fahrten per App gebucht werden. Die Vermittler bekommen gut zehn Prozent vom Fahrpreis als Provision. Die Hansa-Funktaxi eG hat ihren Mitgliedsfirmen vor Jahren mal verboten, Fahrten von solchen Vermittlern anzunehmen. Erfolglos. FreeNow klagte und bekam Recht.
Ein wichtiger Vorteil dieser international tätigen Firmen gegenüber einem regionalen Unternehmen: „Fahrgäste, die in Hamburg ankommen, buchen oft über deren App, die sie schon auf dem Smartphone haben.“ Eine europaweite App (Taxi.eu) hat Hansa-Taxi zwar auch – aber sie wird nicht von allen Taxizentralen unterstützt. Nun haben sich die führenden regionalen Taxizentralen in Deutschland zusammengetan und planen eine bundesweit in allen Städten und Gemeinden funktionierende App.
Ohnehin sind die Zeiten schwierig für die Branche. Nach Corona sind die Fahrten mit Geschäftsreisenden immer noch weit entfernt vom früheren Level. „Vor der Pandemie hatten wir für Montagfrüh oft 600 Vorbestellungen, heute sind es ein Bruchteil davon“, sagt Weber. Vielen der Kleinunternehmen geht es wirtschaftlich schlecht. Das ist der Grund, warum die Verkehrsbehörde derzeit keine neuen Taxilizenzen vergibt. Die Branche soll sich gesundschrumpfen. Zudem kämpft sie aktuell mit Qualitätsproblemen bei ihrer vergleichsweise teuren Dienstleistung.
Der Verteilungskampf um den kleiner gewordenen Kuchen geht an der Genossenschaft nicht spurlos vorbei. „Der Genossenschaftsgedanke verliert leider an Bedeutung“, sagt Jan Weber. Maximal 400 Unternehmen nimmt die Hansa-Funktaxi eG auf, derzeit sind es 370. Eine Gewinnausschüttung bekommen sie nicht. „Unser Ziel ist eine schwarze Null“, sagt Weber. Für jedes Taxi, dem sie Fahrten vermittelt, erhält die Zentrale pauschal zwischen 500 und 650 Euro pro Monat.
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Charly Jeschke ist bis 1984 gefahren, dann wechselte er in die Genossenschaftszentrale. Bis vor zwei Jahren war er einer der um die 100 Angestellten, zuletzt noch für einen Tag pro Woche. Das Großraumbüro der Telefonvermittlung in der Zentrale am Schiffbeker Berg ist heute allerdings weitgehend verwaist. Auch das eine Folge der Pandemie. „Die meisten machen Homeoffice, manche in Thüringen“, sagt Jan Weber.
50 Jahre Hansa-Taxi: Jubiläumsfeier abgesagt – aus traurigem Grund
Er ist erst seit diesem Jahr Vorstand der Genossenschaft, hat die Aufgabe kurzfristig übernommen und die Taxifahrerei deshalb an den Nagel gehängt. Sein Vorgänger war überraschend verstorben. Deshalb wurde die für den Sommer geplante Jubiläumsfeier kurzfristig abgesagt. Bei den Nachfolgern der Hamburger Taxifahrer, die vor 50 Jahren erfolgreich den Aufstand probten, war niemandem zum Feiern zumute.