Hamburg. Betrug und Unhöflichkeit: Zahl der Beschwerden gestiegen. Prüfung der Verkehrsbehörde soll helfen. Und die Branche reagiert ebenfalls.

  • Die Liste der Qualitätsprobleme im Taxigewerbe ist lang.
  • FreeNow bietet in Hamburg inzwischen eine „Premium“-Flotte mit topbewerteten Fahrern an.
  • Zwischen Taxi-Unternehmen und -Fahrern werden die Sitten rauer.

Nach einer langen Flugreise sollte es die letzte Etappe bis nach Hause in Lokstedt sein. Doch als Sandra Schulze sich am Flughafen Fuhlsbüttel ins erste Taxi in der langen Schlange setzte, erlebte sie eine böse Überraschung: „Der Fahrer weigerte sich, mich zu fahren. Er habe schon zwei Stunden gewartet, da lohne sich eine Fahrt für unter 20 Euro für ihn einfach nicht“, schildert die 37 Jahre alte Hamburgerin, die ihren richtigen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, die Situation.

Noch zwei weitere Fahrer im vorderen Bereich der Taxi-Schlange hätten die Beförderung verweigert. „Einer sagte: Versuchen Sie es weiter hinten, dort warten die Kollegen noch nicht so lange. Ich musste ein ganzes Stück laufen, bis ich in einen Wagen fand.“ Solche ärgerlichen Erlebnisse von Taxikunden in Hamburg häufen sich in der jüngeren Vergangenheit.

Viele Beschwerden – Hamburgs Taxifahrer müssen bald eine Prüfung ablegen

„Es gibt eine hohe Beschwerdelage in unserer Taxistelle, die Zahl der Beschwerden ist erkennbar gewachsen“, heißt es in der Verkehrsbehörde auf Anfrage des Abendblatts. Nun will Hamburg umsteuern: Schon in naher Zukunft sollen sich neue Taxifahrer in der Hansestadt erst dann hinter das Steuer setzen und Fahrgäste befördern dürfen, wenn sie eine Prüfung bestanden haben.

Dieser Schritt hat eine mehrjährige Vorgeschichte, die mit der Pandemie begann. Als ab Frühjahr 2020 zeitweise kaum noch jemand Taxi fuhr, gaben vor allem viele Kleinunternehmen mit nur einem Wagen auf, größere Firmen entließen angestellte Fahrer. Die aber fehlten, als das Geschäft wieder anzog. Die Folge: Zum 1. August 2021 wurde das bundesweit geltende Personenbeförderungsgesetz geändert.

Am Taxisteuer sitzen jetzt oft „Pizzafahrer“, die früher Essen geliefert haben

„Seitdem muss man nur noch ein polizeiliches Führungszeugnis und ein ärztliches Attest vorlegen, um Taxifahrer zu werden“, sagt Jan Weber, Vorstand der Genossenschaft Hansa-Funktaxi. Die zuvor obligatorische Ortskundeprüfung wurde abgeschafft, weil ohnehin fast alle Wagen mit einem Navi ausgerüstet sind.

Es war eine Entscheidung, die der Branche jetzt auf die Füße fällt, weil sie eine Abwärtsspirale bei der Qualität der vergleichsweise teuren Dienstleistung Taxi auslöste. Mehrere Tausend Fahrer sind allein in Hamburg seit 2021 neu in die Branche eingestiegen. Von den altgedienten Kollegen werden sie despektierlich „Pizzafahrer“ genannt – weil viele der Neuen genau das vorher gemacht haben: Pizza, Lebensmittel, Getränke ausfahren.

Verständigungsprobleme mit Taxifahrern nehmen in Hamburg zu

Dass der Umgang mit Menschen, die im Fond des Wagens sitzen, ein anderer sein sollte als mit Menschen, denen man das Essen an die Tür bringt, ist vielen der Nachwuchskräfte offenbar nicht bewusst. Das ist in der Branche und ihrem Umfeld immer wieder zu hören.

„Ein Hamburger Taxifahrer steigt aus, wenn er einen Fahrgast begrüßt“, sagt Jan Weber. Von diesem einst ehernen Grundsatz aber wüssten viele der neuen Fahrer nicht, weil es ihnen niemand beigebracht habe. Und auch bei der Verständigung gebe es zunehmend Defizite. „Die Sprachkenntnisse sind im freien Fall.“

Mehr Beschwerden, dass Taxifahrer teuren Umweg nehmen

Die Liste der Qualitätsprobleme im Gewerbe ist lang und reicht von nachlässiger Kleidung über unhöfliches Verhalten und Verstößen gegen die Beförderungspflicht wie bei Sandra Schulze bis zu Straftaten wie Betrug. „Es gibt Beschwerden, dass Fahrer Umwege nehmen und zum Beispiel behaupten, zum Flughafen müsse man über die Autobahn fahren. Betroffen sind offenbar insbesondere Fahrgäste mit ausländisch klingendem Namen“, sagt Andreas Maier, der Deutschlandchef der Taxivermittlungs-App FreeNow.

Pressefoto FreeNow Taxi der Hamburger Flotte
Der Taxivermittler FreeNow bietet in Hamburg inzwischen eine „Premium“-Flotte mit topbewerteten Fahrern an – auch eine Reaktion auf die vielen Beschwerden. © FREENOW | FreeNow

Was ebenfalls vorkommt: Wenn ein vorbestelltes Taxi am Airport auf einer anderen Ebene als der Fahrgast steht, verlangt der Fahrer, der Passagier solle zum Wagen kommen, statt den Fahrgast dort einzusammeln, wo er wartet. Bei der Beschwerdestelle der Verkehrsbehörde gehen auch Meldungen über Taxifahrer ein, die es in Wochenendnächten auf dem Kiez ablehnen, nach Tarif zu fahren, sondern zum Beispiel für eine Tour nach Eimsbüttel 40 Euro pauschal verlangen. Auch das ein eindeutiger Rechtsverstoß.

Viele Buchungen bei neuem Service mit Premiumautos und -fahrern

FreeNow hat vor wenigen Wochen einen Premium-Service eingeführt. Das wichtigste Versprechen ist, dass der Fahrgast in einem neueren Auto von Premiumherstellern wie Mercedes, BMW oder Audi chauffiert wird. Hintergrund: In der 3000 Wagen umfassenden Hamburger Taxiflotte wird gerade der ID.4 von VW zum vorherrschenden Modell.

Doch auch für den Fahrzeuglenker gibt es beim Premium-Service ein Qualitätsversprechen. Nur Fahrer mit hoher persönlicher Bewertung werden eingesetzt. Zielgruppe sind Geschäftsreisende, und die Buchungslage ist gut. „Der Anteil der Premium-Fahrten beträgt bereits fünf Prozent“, sagt Maier. FreeNow wolle die Qualitätskriterien nun noch erhöhen – auch in der Hoffnung, eines Tages mehr Geld für den Premium-Service verlangen zu dürfen.

Große Konkurrenz – auch innerhalb der Branche werden die Sitten rauer

Die Branche reagiert bereits darauf, dass sie durch schwarze Schafe in Verruf gerät: So habe FreeNow in den vergangenen Monaten etwa fünf Prozent der registrierten Fahrer wegen nachhaltiger Qualitätsverstöße aussortiert, sagt Deutschlandchef Maier. Ihnen werden keine Fahrten mehr vermittelt. Und Hansa-Taxi erwartet von den Mitgliedsfirmen der Genossenschaft, dass sie ihre Fahrer kontinuierlich auch in Sachen Kundenservice schulen.

Doch auch zwischen Taxi-Unternehmen und -Fahrern werden die Sitten rauer, weil die Konkurrenz gewachsen ist. In der Stadt sind zwar wieder ebenso viele Wagen unterwegs wie vor Corona, doch die Buchungen liegen weiter deutlich unter Vor-Pandemie-Niveau. Insbesondere rund um den Hauptbahnhof und auf dem Kiez komme es häufig zu Konflikten und Verstößen gegen die guten Sitten und die Vorschriften, heißt es in der Branche und in ihrem Umfeld.

Mehr Beschwerden – Hamburgs Verkehrsbehörde will eingreifen

Dirk Ritter, der Leiter des Referats Verkehrsgewerbeaufsicht in der Behörde, betont aber: „Es gibt ein Problem in der Spitze, nicht in der Breite.“ Doch wenn einzelne Unternehmen und Fahrer mit Verstößen gegen die für alle geltenden Regeln durchkommen, könnten Nachahmer folgen.

Nun soll und wird die Verkehrsbehörde eingreifen. Wer in Hamburg die Lizenz als Taxifahrer haben möchte, wird wieder eine Prüfung ablegen müssen, die sogenannte Fachkundeprüfung. Ihre bundesweite Einführung ist schon seit 2021 geplant, doch das schleppt sich dahin. Inzwischen liegt immerhin der Katalog von Fragen vor, auf die künftige Taxifahrer die richtigen Antworten kennen müssen.

Taxifahrer in Hamburg sollen 200 Fragen beantworten können

Es sind 200 Fragen, 35 davon haben im weitesten Sinne mit Service und Umgang mit Kunden zu tun. In Hamburg sollen auch alle Fahrer, die seit August 2021 ihre Lizenz bekommen haben, binnen eines Jahres nachträglich geprüft werden. Es könnten bis zu 6000 Personen sein.

Verkehr in Hamburg – mehr zum Thema

Doch weil die Abstimmung zwischen dem Bundesverkehrsministerium und den 16 Länderministerien langwierig ist, macht Hamburg jetzt Druck. Vor einigen Wochen hat die Bürgerschaft auf Antrag von SPD- und Grünen-Abgeordneten einen entsprechenden Beschluss gefasst. Darin wird der Senat ersucht, „die Einführung einer bundeseinheitlichen Regelung voranzutreiben oder, falls dies nicht rechtzeitig gelingt, eine eigene Prüfung zum ,Nachweis der Fachkunde‘ umzusetzen“. Es ist eine nett formulierte Drohung, Hamburg werde vorpreschen und die Fachkundeprüfung im Alleingang einführen, wenn die anderen Beteiligten nicht endlich zu Potte kommen.

Hamburg führt Prüfung für Taxifahrer wohl zum 1. Januar ein

Einen festen Termin nennt die Behörde nicht, aber die Branche stellt sich auf den 1. Januar 2025 ein. Das Ausbildungszentrum der Genossenschaft Hansa-Funktaxi bereitet schon Schulungskurse für die Fachkundeprüfung vor. Sie sollen noch in diesem Jahr starten. Und FreeNow will den Fragenkatalog in den nächsten Wochen in seine Fahrer-App stellen. Damit die Taxilenker schon mal lernen können – zum Beispiel, wenn sie am Flughafen stundenlang auf Fahrgäste warten.