Hamburg. Persönliche Empfehlungen im Onlineshop oder Steuerung von Warenströmen. Moderne Technik ist am KI-Standort Hamburg kaum noch wegzudenken.
20 Grad, Sonnenschein – bis vor wenigen Wochen herrschte sommerliches Wetter in Hamburg. Doch in vielen Geschäften hing bereits die Mode für die kalte Jahreszeit. Der Grund: Die Kollektionen werden anhand des Kalenders geplant, oftmals auf Grundlage vergangener Jahre. Die Folge: Kunden bekommen im Handel nicht das, was sie brauchen.
Ein Problem, mit dem auch der Hamburger Outdoor-Spezialist Globetrotter zu kämpfen hatte. Der Einzelhandel, vor allem in der Bekleidungsbranche, habe lange in alten Strukturen festgesteckt, die es nun aufzubrechen gelte, sagt Globetrotter-Geschäftsführer Andreas Bartmann. „Wir planen anhand von Kalenderdaten. Aber was, wenn das Wetter nicht zu den Produkten passt? Wer kauft bei 20 Grad eine Winterjacke?“, fragt Bartmann. Die Lösung: künstliche Intelligenz.
Otto, Globetrotter & Co. – Wie Hamburger Firmen KI nutzen
Man habe erkannt, welche Vorteile die Nutzung von KI bieten könne, sagt Bartmann. Insbesondere bei Planungsaufgaben habe man mithilfe von KI große Erfolge erzielen können. Zunächst sei es für das Unternehmen darum gegangen, zu verstehen, wie KI überhaupt sinnvoll genutzt werden könne. Die Steuerung von Warenströmen sei einer der identifizieren Anwendungsfälle.
In welchen Bereichen der Wirtschaft eine Nutzung von KI möglich ist, gelte es aktuell herauszufinden, sagte Alois Krtil, Leiter des Artificial Intelligence Center Hamburg (Aric) kürzlich in der Handelskammer. „Wir müssen vom Experimentieren ins Tun kommen. Es geht jetzt um die Industrietauglichkeit von KI“, so Krtil.
KI kann bei Verfügbarkeit von Waren und Sortimentssteuerung helfen
Künstliche Intelligenz begegnet vielen von uns immer häufiger im Alltag – zum Beispiel, wenn immer genau die Produkte im Geschäft vorhanden sind, die wir uns wünschen. Zu viel ungefragte Produkte sorgten für Abschreibungen, zu wenige nachgefragte Produkte für „Lost Business“ und unzufriedene Kunden, sagt Globetrotter-Chef Bartmann. Hier gebe es durch KI großes Optimierungspotenzial. Von „Lost Business“ ist dann die Rede, wenn Kunden im Geschäft nicht die gewünschte Ware bekommen.
„Künstliche Intelligenz ermöglicht uns eine bessere Planung und Steuerung unseres Sortiments und hilft auch bei der Personalplanung“, sagt Bartmann. So könnten Überbestände und Abschreibungen verhindert werden, der Erlös steige. Globetrotter habe Millionen eigener Datensätze aus den vergangenen zehn Jahren mit externen Daten zu Wetter und Klima angereichert. „So wollen wir lernen, wie sich die Abverkäufe durch die Wetterlage verändern, welchen Einfluss das auf die Zahl der Kunden und die Umsätze hat.“
Hamburger Unternehmen: KI im Handel als Faktor für attraktive Arbeitgeber
Das sei nicht nur für das Unternehmen von Vorteil, so Bartmann. „Es ist für die Kunden und für uns ärgerlich, wenn wir ein Produkt nicht in der richtigen Größe oder Farbe vorrätig haben. Durch KI-Anwendungen können wir das optimieren, können besser erkennen, wann wo welche Produkte gebraucht werden und auch wann und wo nicht“, sagt Bartmann.
Doch nicht nur für Lager, Onlineshop und Personalplanung sei KI-Nutzung wichtig. „Es geht auch um die Attraktivität für die Beschäftigten, um die Frage, ob ihr Arbeitgeber zukunftsfähig ist“, sagt der Globetrotter-Chef. Gutes Personal sei unabdingbar. „Für eine richtige Nutzung von KI brauchen wir auch kluge Anwender.“
Hamburger Versandriese Otto: „Ohne KI würde es Otto so heute nicht mehr geben.“
Wie die Nutzung von KI vor allem im Onlinehandel funktionieren kann, das zeigt der Versandriese Otto. Das Unternehmen feierte in diesem Jahr 75-jähriges Bestehen und ist – zumindest in Hamburg – vorne mit dabei, was die Verwendung von KI-Anwendungen angeht. Timo Christophersen hat bei Otto die Position des Chief AI Officers inne, ist zuständig für Data-Science. Er findet klare Worte: „Ohne KI würde es Otto so heute nicht mehr geben.“
Der Onlineshop biete viel Potenzial für die Nutzung von KI, so Christophersen kürzlich in der Handelskammer. „Das fängt bei den personalisierten Produktempfehlungen an, das ist aber nur ein Teil. Auch Schreibfehler in der Suche werden durch KI korrigiert, die Gewichtung der Suchergebnisse erfolgt durch künstliche Intelligenz.“ Außerdem gibt es im Onlineshop einen Chatbot, der Kunden bei Problemen helfen soll. KI biete große Wertschöpfungspotenziale für Unternehmen, sagt Christophersen. Wichtig sei aber: „KI soll nur als Unterstützung, nicht als Ersatz für Menschen fungieren.“
Studie zeigt: KI dürfte mehr Jobs schaffen als sie vernichtet
Ein wichtiger Punkt, denn die Sorge, dass künstliche Intelligenz zu Jobabbau führen könnte, wird immer wieder vorgebracht. Allerdings legte eine Studie der Internationalen Arbeitsorganisation nahe, dass genau das Gegenteil der Fall sein könnte. „Die Angst vor KI bei den Beschäftigten abzubauen ist wichtig, nur dann kann es eine Akzeptanz für diese Anwendungen geben“, sagt Globetrotter-Chef Bartmann.
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Der KI-Standort Hamburg habe im wirtschaftlichen Bereich in den vergangenen Jahren eine „unfassbare Aufholjagd“ hingelegt, sagt Alois Krtil von Aric. „Was KI angeht, sind wir mittlerweile deutschlandweit in den Top 3.“ Die Stadt sei mit ihrer Komplexität aus Hafen, Flughafen, intermodalem Verkehr und der Vielzahl an Unternehmen ein ideales Testfeld. „Es gibt hier viele Impulsgeber für die Entwicklung von KI, und die Innovationspolitik geht in die richtige Richtung.“
Hamburg als KI-Standort: „Deutschlandweit in den Top 3“
Bis KI in allen kleinen und mittleren Unternehmen angekommen sei, werde es aber noch dauern, so der KI-Experte. „Davon sind wir weit entfernt. Aber wir sehen, dass der produktive Einsatz im Arbeitsalltag, die ernsthafte Nutzung von KI-Anwendungen zunimmt. Und je mehr Anwendungsfälle es in Unternehmen gibt, desto besser lässt sich beurteilen, was es bringt“, so Krtil.
Gerade im Handel sei das Potenzial für KI gewaltig. „Die Kommunikation mit den Kunden, aber auch zwischen den Händlern kann durch generative KI extrem erleichtert werden“, so der Experte. Die Decodierung der Sprache ermögliche jetzt schon, dass Programme in der Lage seien, E-Mails zu verstehen und zu priorisieren. „Außerdem können Unternehmen durch KI rund um die Uhr erreichbar sein. Geschäftszeiten sind Geschichte.“