Hamburg. Oskar Lehmann hat Hamburgs Wahrzeichen entworfen. Seine Frau kämpft für den Erhalt. Auch andere machen sich für das Bauwerk stark.
Maria Lehmann sucht nicht die Öffentlichkeit. Die 88 Jahre alte Frau genießt den Ruhestand in einem schönen Haus im Hamburger Osten. Aber nachdem bekannt geworden ist, dass der Hamburger Senat die Köhlbrandbrücke durch einen Tunnel ersetzen will, will sie sich jetzt zu Wort melden.
„Ich war entsetzt, als ich von den Plänen zum Abriss der Brücke erfuhr“, sagt sie dem Abendblatt. „Was sind wir für eine Wegwerfgesellschaft geworden? Die Golden-Gate-Brücke steht seit 1937, und keiner würde auf den Gedanken kommen, sie abzureißen. Aber Hamburg erklärt die Köhlbrandbrücke für baufällig, und deshalb muss sie weg.“
Leise spricht sie, aber klar und bestimmt, so wie eine langjährige ehemalige Schulrektorin eben klingt. Die Brücke sei ein Wahrzeichen für Hamburg geworden und nicht nur für Hamburg. „Auch viele Touristen kommen gerne in die Stadt, um sich diese Brücke anzuschauen und sie einmal zu befahren.“
Köhlbrandbrücke: Architektenwitwe entsetzt über Abrisspläne für Hamburger Wahrzeichen
Seit Wochen wird über die Zukunft der Köhlbrandquerung gestritten. Die Kosten für einen Tunnelbau steigen immer weiter. Die politische Opposition in der Bürgerschaft wirft den Behörden Planungsversagen vor, und unter den Hamburgern wächst der Widerstand gegen den Abriss der alten Köhlbrandbrücke.
Lehmann ist nicht die lauteste Fürsprecherin für deren Erhalt, aber eine gewichtige. Schließlich geht es um das Vermächtnis ihres Mannes. Oskar Lehmann hatte Ende der 1960er-Jahre als freier Mitarbeiter des Architektenbüros Egon Jux einen Entwurf für die zu bauende Köhlbrandbrücke erstellt. Das Architekturbüro gewann mit diesem Entwurf den Wettbewerb. Und der 36-jährige Lehmann wurde über Nacht bekannt.
Köhlbrandbrücke halte nur noch bis 2030, sagt Hamburgs Hafenbehörde
Er machte sich selbstständig, gründete sein eigenes Architekturbüro, und obgleich er eigentlich Häuser bauen wollte, wurde er Spezialist für Brücken. Weit mehr als 100 wurden nach seinen Entwürfen realisiert, darunter etliche Überbauwerke an der Autobahn 20. Bekannt ist auch das „blaue Wunder von Wolgast“ jene Klappbrücke über die Peene, die Usedom mit dem Festland verbindet, oder die Seehafenbrücke in Harburg.
Sein Herzstück blieb aber die Köhlbrandbrücke. Und die soll jetzt weg. 1974 gebaut, ächzt und stöhnt sie unter dem täglichen Schwerlastverkehr. Risse und Löcher fressen sich durchs Betonwerk.
Spätestens Anfang der 2030er-Jahre sei die Brücke so abgängig, dass ihr Erhalt nur noch mit größtem Sanierungsaufwand und unter Einschränkungen für den Verkehr möglich sei, sagt die zuständige Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA). Ein Ersatzbau sei notwendig.
Köhlbrandbrücke: Laut Wirtschaftssenatorin ist ein Neubau erforderlich
Zunächst einigte sich die Politik auf einen Tunnel. Doch seitdem bekannt geworden ist, dass dieser 5,4 Milliarden Euro verschlingen könnte, lässt Hamburgs Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) alle Planungen neu prüfen. Nur an einem lässt sie keinen Zweifel: Die alte Köhlbrandbrücke muss weg.
So sagt ein Sprecher der Wirtschaftsbehörde: „Die Köhlbrandbrücke gehört für viele Hamburgerinnen und Hamburger fest zum Hafen und prägt zweifelsohne das Hamburger Stadtbild. Als Querung hat sie jedoch in erster Linie eine Funktion: Sie ist als Teil der Haupthafenroute eine wichtige Verkehrsverbindung und muss den Zugang zum Hafen gewährleisten. Sicherheit und Zuverlässigkeit dieser Querung sind hierbei von höchster Bedeutung. Die Köhlbrandbrücke erreicht nunmehr langsam durch Schäden und Verschleiß das Ende ihrer Lebensdauer. Die hohe Verkehrslast insbesondere durch den Lkw-Verkehr auf der Brücke und die Größe der darunter hindurchfahrenden Schiffe machen einen Neubau erforderlich.“
Architektenwitwe: Köhlbrandbrücke wäre zu retten
Als Architekt Lehmann 2018 starb, hatte er den Anfang der Diskussion über die Köhlbrandbrücke noch mitbekommen. „Das hat ihn ins Mark getroffen, dass man sie einfach abreißen will“, erinnert sich seine Witwe heute. Und Maria Lehmann erhebt schwere Vorwürfe gegen die Politik: „Man hat seit Jahren gesehen, dass die Brücke Belastungen ausgesetzt wurde, für die sie nicht gemacht worden war. Hätte man damals rechtzeitig reagiert und die Sanierung begonnen, hätte man viel Geld sparen können.“
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Maria Lehmann steht mit ihrer Kritik nicht allein. Manfred J. Scheffler kennt die Köhlbrandbrücke nur als Nutzer, etwa wenn er von der Innenstadt schnell auf die Autobahn 7 will. Als der Mann aus Henstedt-Ulzburg vom geplanten Abriss der Brücke erfuhr, startete er 2021 eine Online-Petition für deren Erhalt.
Allerdings ohne Erfolg. „Die Petition erreichte nicht das notwendige Quorum, damit sich die Stadt damit befasst“, sagt er. Inzwischen habe sich aber vieles geändert. „Mittlerweile wissen wir, was der Abriss der Brücke und der Tunnel als Ersatz kosten sollen. Das regt viele auf.“ Scheffler glaubt, dass eine Unterschriftenaktion zum Erhalt der Köhlbrandbrücke heute viel mehr Erfolg hätte, und erwägt, erneut eine zu starten. „Ich wäre dazu bereit.“
Köhlbrandbrücke: Architektenwitwe setzt auf Denkmalschutz
Auch der Denkmalverein spricht sich klar für die Brücke aus: Diese präge seit fast 50 Jahren das Hamburger Stadtbild und sei seit ihrem Bau ein Wahrzeichen, heißt es in einer Stellungnahme. „In dieser Bedeutung kann sie durchaus mit den Hauptkirchen auf eine Stufe gestellt werden – aber es käme niemand auf die Idee, den Michel abzureißen.“
Die Brücke sollte erhalten werden, weil sie als wichtiges und einzigartiges Ingenieurbauwerk der 1970er-Jahre mit einer hohen architektonischen Qualität unter Denkmalschutz steht. Laut Denkmalschutzgesetz muss die Stadt vorbildhaft mit ihren eigenen Denkmälern umgehen. Der Grundsatz der „wirtschaftlichen Zumutbarkeit“ gilt nur für private Denkmaleigentümer.
Das Denkmalschutzamt, das beim Abriss der Brücke mitzureden hat, ist noch gar nicht tätig geworden.„Bisher liegt dem Denkmalschutzamt noch keine schriftliche Begründung für den Abbruch der Brücke vor.“ Diese sei aber erforderlich, um abschließend entscheiden zu können, sagt eine Sprecherin. Gibt es also noch Hoffnung für die Köhlbrandbrücke?