Bei der Köhlbrandquerung lässt Wirtschaftssenatorin Leonhard nochmal alle Alternativen prüfen – und setzt dabei auch auf die A26-Ost.
- Hamburgs Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) spricht über das Jahrhundertprojekt Köhlbrandquerung
- Tunnel oder Brücke? „Augen zu und durch – das darf es hier nicht geben.“
- Klare Vorstellungen hat Melanie Leonhard beim Industriestrompreis
Hamburg. Es geht in diesem Gespräch mit Hamburgs neuer Wirtschaftssenatorin vor allem um den Hafen. Denn über ihn wird in Hamburg derzeit heftig und kontrovers diskutiert. Folgt eine neue Brücke oder ein Tunnel auf die alte, baufällige Köhlbrandbrücke? Wer ist schuld an den bisherigen Planungsfehlern? Warum geht der Umschlag zurück? Wieso ist der Hafen so teuer? Melanie Leonhard antwortet immer ruhig und sachlich. Ihr Motto: Lieber ganz genau hinschauen, als einen sehr, sehr teuren Fehler zu begehen – vor allem mit Blick auf den Köhlbrand.
Hamburger Abendblatt: Frau Leonhard, seit gut einem halben Jahr sind Sie nun Hamburger Wirtschaftssenatorin – wie fällt Ihr Zwischenfazit in der neuen Position aus?
Melanie Leonhard: Der neue Aufgabenbereich ist wirklich sehr spannend. Es ist vieles eingetreten, wie ich es erwartet habe. So beeinflusst zum Beispiel aktuell die schwächelnde Konjunktur den Hafen und die Industrie. Es gibt aber auch überraschende Themengebiete, die ich gar nicht so im Blick hatte: wie zum Beispiel spezielle Bereiche der Luftfahrt oder besondere neue Start-ups unter anderem aus der Logistik. Es macht viel Freude.
Es hieß, Sie hätten Ihr früheres Ressort nur ungern verlassen …
… das stimmt, aber man kann ja eine frühere Arbeit ungern verlassen und dann feststellen, dass es in der neuen Funktion gleichwohl spannend ist. (lacht)
Sie waren zuvor Senatorin unter anderem für den Bereich Gesundheit – gerade in der Pandemiezeit ein sicherlich Nerven aufreibender und zeitintensiver Job. Haben Sie nun mehr Freizeit als damals?
Die Zeit während der Pandemie war für mich als Senatorin schon sehr intensiv. Aber das galt ja für alle Menschen. Doch auch in der Hamburger Wirtschaftspolitik gibt es derzeit viele Themen, die keinen Aufschub dulden. Zudem ist in jedem neuen Job das erste halbe Jahr sehr arbeitsintensiv – das gilt auch für mich als Wirtschaftssenatorin. Also ich habe nicht mehr Freizeit.
Hamburgs Wirtschaft hatte Sie mit vielen Vorschusslorbeeren im neuen Amt bedacht. Mittlerweile gibt es schon die erste massive Kritik. Der Industrieverband spricht mit Blick auf den jüngst vorgestellten Hafenentwicklungsplan von einem „lauen Kompromisspapier“ – was antworten Sie Industriepräsident Matthias Boxberger?
Herr Boxberger hat gemeinsam mit uns den Masterplan Industrie unterzeichnet und weiß aus unserer gemeinsamen Erfahrung, dass man in einem Stadtstaat immer Kompromisse machen muss. Unterschiedliche Akteure haben naturgemäß zum Teil sehr gegenläufige Interessen, wenn es beispielsweise um Flächennutzung geht. Aber man muss auch sehen: Wir haben im Hafenentwicklungsplan 7200 Hektar Hafen – und damit Industriefläche gesichert – das ist beispiellos in Deutschland. Sie finden bundesweit keine Gebietskörperschaft vergleichbar mit Hamburg, die ein ähnliches Bekenntnis zu Industrieflächen abgibt wie wir. Aus meiner Sicht kann man deshalb aus Industriesicht durchaus von mehr als einem Kompromiss sprechen.
Unter anderem wird von der Wirtschaft bemängelt, dass es im Hafenentwicklungsplan keine quantitativen Zielvorgaben mehr für den Umschlag gibt. Haben Sie den Wettbewerb um mehr Ladung mit anderen Häfen wie Rotterdam und Antwerpen bereits verloren gegeben?
Der Umschlag hängt immer von der globalen Konjunktur ab. Deswegen trifft die schwache konjunkturelle Lage natürlich alle Häfen gleichermaßen. In Hamburg ist der Rückgang am wenigsten dramatisch. Häfen an der Westküste wie Rotterdam und Antwerpen mit Zeebrügge haben gleichwohl wegen ihres direkten Nordseezugangs Entwicklungspotenziale und Flächen, die uns in Hamburg nicht zur Verfügung stehen. Deshalb müssen wir unsere eigenen Möglichkeiten nutzen. Wir haben große Potenziale, unseren Hafen als Standort für den Im- und Export von erneuerbaren Energien zu etablieren. Wir haben auch große Potenziale beim Im- und Export von Massengut, ein aktuell robuster Bereich. Und wir sehen zudem – wenn die Konjunktur sich wieder weltweit erholt – moderate Wachstumschancen beim Containerumschlag. Wir haben aber nicht mehr die Situation wie 2004/2005, als das Ladungsvolumen fast automatisch immer weiter nach oben ging. Hier hat sich die Welt verändert. Und deshalb muss man sich auch in Hamburg mit dem Gedanken vertraut machen, dass man nur in internationalen Zusammenhängen erfolgreich ist. Bestimmten globalen Entwicklungen kann man aber nicht mit kommunalem Handwerkszeug begegnen. Beim Thema Infrastrukturausbau etwa benötigen wir eine Kooperation der deutschen Seehäfen mit der Bundesregierung – so wie die Niederländer und Belgier das bereits machen.
Die Umschlagzahlen in Hamburg sind in den vergangenen Jahren kräftig gesunken – viele Experten führen dies auch darauf zurück, dass Hamburg im Vergleich zu anderen Häfen viel zu teuer ist. Sehen Sie das auch so?
Die Ware fließt dahin, wo sie gebraucht wird. Richtig ist: Hamburg anzulaufen ist aufwendig, denn wir haben eine relativ lange Revierfahrt – das kostet Treibstoff, Zeit und damit Geld. Aber ein sehr großer Teil der Ladung wird auch hier direkt verarbeitet. Die Kosten für den Transport auf der Schiene oder auf der Straße sind viel höher als per Schiff. Aus diesem Grund wird weiter Ladung hierhertransportiert, die ohnehin hier in die Region muss. Es gibt in diesem Zusammenhang sicher Aufgaben beispielsweise im Bereich der Automatisierung, die wir angehen müssen. Jeden Monat traurig auf die Umschlagzahlen anderer Häfen zu blicken, bringt uns hingegen nicht weiter – zumal wir uns mit Häfen vergleichen müssten, mit denen wir nicht vergleichbar sind.
Seit Jahren wird darüber gesprochen, dass die marode Köhlbrandbrücke ersetzt werden muss. Nun fängt man wegen neuer Erkenntnisse zu der Bodenbeschaffenheit bei den Planungen quasi wieder bei null an. Wie kann das sein? Wurde von Ihren Vorgängern in der Wirtschaftsbehörde schlampig gearbeitet? Oder ist allein die Hafenbehörde HPA schuld?
Eine neue Köhlbrandquerung ist ein Jahrhundertprojekt, das aus gutem Grund nicht eine Person allein zu verantworten hat. 2018 hat es eine Machbarkeitsstudie gegeben, auf deren Grundlage man sich für einen Tunnel entschieden hat, weil man mit Blick auf die damaligen Daten davon ausging, dass ein Tunnel viele Vorteile bietet und nicht sehr viel teurer als eine Brücke wird. Nun liegen uns vertiefte Planungen mit zusätzlichen Bodengutachten vor. Und jetzt wissen wir: Ein Tunnel kann gebaut werden, aber er würde 160 Meter länger und bedeutend teurer. Hamburg bezahlt das Projekt zu 50 Prozent. Das ist das Geld der Hamburger Steuerzahler. Und um eine verantwortliche Entscheidung zu treffen, haben wir nun den Auftrag für eine ergänzende Betrachtung einer Brücke gegeben, um später abzuwägen, welche Alternative die bessere ist.
Die Frage muss erlaubt sein: Warum sind nicht schon früher Probleme bei der Bodenbeschaffenheit aufgefallen?
Ich bin nicht die Autorin der Machbarkeitsstudie. Ich kann nur sagen, auf Basis der seinerzeit vorliegenden Erkenntnisse hat man den Tunnelbau für leichter umsetzbar gehalten bei nur leicht höheren Kosten gegenüber einer Brücke. Das müssen wir nun noch mal betrachten.
Hätte man sich nicht früher genau die Bodenbeschaffenheit anschauen müssen?
Mir ist die Planung im Januar vorgelegt worden. Ich habe sie bewertet und die Entscheidung getroffen, dass jetzt der Zeitpunkt ist, Alternativen durchzuplanen, um dann die beste Entscheidung über einen Ersatz für die alte Köhlbrandbrücke treffen zu können. Denn Augen zu und durch – das darf es hier nicht geben.
Der Hafenexperte der CDU, Götz Wiese, hat bereits mit Blick auf die Köhlbrandplanung indirekt die Ablösung von HPA-Chef Jens Meier gefordert, dessen Vertrag bald ausläuft. Stehen Sie hinter Meiers Arbeit?
Ich sehe keinen Anlass, irgendwelche personellen Veränderungen vorzunehmen.
Favorisieren Sie als Ersatzbauwerk für die Köhlbrandbrücke eher einen Tunnel oder doch wieder eine Brücke?
Ich bin offen für beides. Ich möchte aber erst eine Einschätzung zu einer Ersatzbrücke kennen, bevor ich etwas vorschlage. Wichtig ist mir, dass wir in Kenntnis aller Fakten entscheiden – und nicht auf Basis einer Draufsicht, die früher einmal gemacht worden ist.
Und die Pylonen der alten Brücke werden abgebaut?
Das Schicksal der Pylonen hängt stark davon ab, was an Stelle der alten Brücke tritt.
Wenn der Tunnel kommt, könnten sie also stehen bleiben?
Da habe ich große Zweifel, aber das müssen uns dann die Bauingenieure sagen. Mein Lebenszweck ist es jedenfalls nicht, der Stadt die Pylonen zu nehmen. (lacht)
Wann können wir mit der Inbetriebnahme der neuen Köhlbrandquerung rechnen?
Leonhard: Wir werden zunächst eine verlässliche Planung erstellen. Man darf sich jetzt nicht unter Druck setzen lassen. Jeder Monat, den man jetzt nicht ordentlich arbeitet, kostet uns später Jahre. So etwas möchte niemand mehr erleben in der Stadt. Wir haben alle noch mit der Elbphilharmonie ein solches negatives Beispiel vor Augen. Eine Verzehnfachung der Kosten und eine Verfünffachung der Bauzeit – das darf bei der Köhlbrandquerung auf gar keinen Fall passieren. Lieber jetzt ein paar Monate innehalten und gut planen – davon werden wir später profitieren.
- Köhlbrandbrücke- Massive Kritik am Senat wegen der Kosten
- Köhlbrandbrücke- Kosten für Rückbau steigen massiv
- So soll sich der Hamburger Hafen bis 2040 verändern
Wann wird die letzte Fahrt eines Lkw über die alte Köhlbrandbrücke möglich sein?
Bis zur Inbetriebnahme der neuen Querung am Köhlbrand wird man die Brücke befahren können. Was man in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen darf, ist die Tatsache, dass die A26-Ost – nach menschlichem Ermessen – früher fertig sein wird. Und sie wird dann bereits zu einer Entlastung des Verkehrs über den Köhlbrand führen.
Verlassen wir den Hafen: Jüngst hat Aurubis-Chef Roland Harings damit gedroht, die Investition in ein Batterie-Recyclingwerk wegen der hohen Energiepreise ins Ausland zu verlagern. Beunruhigen Sie solche Aussagen?
Ja! Nicht unbedingt konkret im Fall Aurubis, weil ich davon überzeugt bin, dass es gute Gründe für Aurubis gibt, das Werk hier in Hamburg zu bauen. Aber solche Äußerungen hört man leider von vielen Unternehmern bundesweit – und sie können uns nicht unbesorgt lassen. Ich denke aber, dass diese Probleme mittlerweile in der Regierungskoalition in Berlin erkannt worden sind. Und ich möchte in diesem Zusammenhang auf den einstimmigen Beschluss der Wirtschaftsministerkonferenz für einen Industriestrompreis hinweisen.
Gehen Sie davon aus, dass die Bundesregierung dem Beschluss folgen wird?
Es gibt Ambitionen der Bundesregierung hier etwas zu tun, aber es gibt natürlich auch haushaltspolitische Zwänge. Ich denke, dass eine Strompreissubventionierung für einen begrenzten Zeitraum notwendig ist.
Wie hoch sollte der Industriestrompreis pro Kilowattstunde sein?
Er sollte im einstelligen Cent-Bereich liegen. Am besten unter acht Cent.
Zum Schluss: Wie haben Sie die Erstfassung des Heizungsgesetzes von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wahrgenommen? Sind Sie beim Frühstück vom Stuhl gefallen?
(lacht): Dem Ursprungsentwurf ist am meisten damit gedient, wenn man überhaupt nicht mehr über ihn spricht. Aus zwei Gründen: Die Kommunikation hat die Menschen verunsichert. Und die Umsetzbarkeit war letztlich auch nicht gegeben. Diese Erkenntnis hat sich nun offensichtlich auch in Berlin durchgesetzt, wie man an den aktuellen Änderungen sieht, die ich befürworte. Aber für den notwendigen Kampf gegen den Klimawandel war die Debatte über das Heizungsgesetz nicht gut. Das ist im Nachhinein sehr schade.