Hamburg. Der junge Chef erklärt, warum die Brauerei mit einer Tradition bricht – und wieso neuerdings Japaner Pils aus der Schanze trinken.
Anfang 2023 hat Niklas Nordmann die Geschäftsführung der Ratsherrn-Brauerei übernommen, seit Beginn dieses Jahres ist er gemeinsam mit seinem Vater Oliver Gesellschafter des Unternehmens. Nun verordnet der 31 Jahre alte Chef der traditionsreichen Hamburger Biermarke eine Verjüngungs- und Modernisierungskur. Das Ergebnis ist in den Getränkeregalen der ersten Supermärkte bereits zu sehen: Ratsherrn hat die Halskrause (fast ganz) abgelegt. „Wir liefern nur noch Flaschen im neuen Design aus“, sagt Nordmann über den Stand der Dinge beim Traditionsbruch.
Ratsherrn will modern sein – und schafft die Halskrause ab
Die sogenannte Hamburger Halskrause war bis vor gut 100 Jahren Teil der Amtstracht und zugleich Statussymbol von Bürgermeistern und Senatoren in der Hansestadt. Und das seit 72 Jahren gebraute Ratsherrn-Bier nutzte sie seit jeher als eine Art Logo und Wiedererkennungssymbol. Als Flaschenhals und Kronkorken des einst in der Elbschloss-Brauerei gebrautes Bieres noch mit goldglänzender Aluminiumfolie überzogen wurden und „alter, weißer Mann“ kein Schimpfwort war, zierte das Foto eines gesetzteren Herrn mit kompliziert gefaltetem Halsschmuck das Etikett.
Selbst als die Nordmanns die Marke vor Jahren wiederbelebten, blieb die Halskrause. Wenngleich der Umgang mit ihr bisweilen spielerische Züge annahm. So schlug etwa auf dem Etikett des India Pale Ale ein Hai seine Zähne in das hanseatische Ornat. Jetzt ist Schluss damit. Allein auf den Kronkorken findet sich künftig noch ein stilisierter Ratsherrn-Kopf mit Krause.
Traditions-Logo gilt als konservativ und „sehr männlich“
„Während des großen Craftbeer-Hypes galt in der Branche die Devise: Je verrückter, desto besser. Dafür fehlt heute die Berechtigung“, sagt Nordmann. Und Marketingleiterin Nina Maerker findet, diese Halskrause sei doch eher konservativ, ein bisschen von oben herab, belehrend und „sehr männlich“. Ratsherrn wolle aber moderner, weltoffener sein.
Dennoch: Jeder Abschied vom Althergebrachten ist mit einem Risiko verbunden. Dem Aus für die Halskrause ging daher intensive Marktforschung voraus. „Wenn man fragt, ob das Logo bleiben soll, sagen viele Ja. Aber, wenn es nicht mehr da ist, fällt das eher nicht auf“, fasst Niklas Nordmann die Ergebnisse zusammen.
Ratsherrn: Matrosenschluck heißt jetzt White Oat IPA
Neue Farben haben die zehn Sorten aus der Brauerei in den Schanzenhöfen bekommen, teils auch neue Namen. Das hopfenstarke Dry Hopped Pils heißt jetzt Hoppy Pilsener, der Matrosenschluck firmiert unter Oat White IPA. Und mit Mildes Lime 0,0 % kommt in wenigen Tagen eine ganz neue alkoholfreie und mit einem Schuss Limette aufgepeppte Sorte auf den Markt.
All das soll helfen, die Hamburger Brauerei weiter nach vorn zu bringen. Die Pandemie und ihre Folgen hat sie inzwischen hinter sich gelassen. „Wir haben 2023 wieder den Stand von 2019 erreicht“, sagt Nordmann über Ab- und Umsatz der Brauerei, die mit 40 Prozent einen ungewöhnlich hohen Anteil der Produktion in der Gastronomie absetzt.
Hamburger Brauerei: Deutsche Restaurantkette in Japan zapft Pils aus der Schanze
Neuerdings sogar in Japan. Ratsherrn ist mit den Gründern einer auf deutsche Küche und deutsches Bier spezialisierten Restaurantketten namens Schmatz ins Geschäft gekommen. Schmatz hat um die 50 Filialen in dem fernöstlichen Land. „Ich habe einen der Gründer zufällig kennengelernt“, sagt Nordmann. Seit etwa einer Woche werde bei Schmatz nun auch Ratsherrn Pils gezapft.
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In den Bürofluren der Brauerei an der Lagerstraße wird derweil beim Thema Halskrause auch ein leichter Abschiedsschmerz erkennbar. Jedenfalls an der Tür zur Herren-Toilette. Irgendwer hat dem stilisierten Männer-Symbol eine Krause unter den Kopf geklebt.