Hamburg. Schanzen-Brauer konzentrieren sich auf Hamburg, bringen neue Biersorten heraus und eröffnen bald eine eigene Flaschenabfüllung.

Vor der Antwort auf die Frage, wann er sein erstes Bier getrunken habe, zögert Niklas Nordmann kurz. Aber dann sagt er doch etwas dazu: „Ich wurde mit 13 oder 14 Jahren mit Alsterwasser ,angefüttert‘“. Schließlich kommt Nordmann, der Anfang Oktober in die Geschäftsleitung der Hamburger Ratsherrn Brauerei einzieht und dort die Markenführung übernimmt, aus einer echten Bierdynastie: 1908 gründete sein Ururgroßvater Fritz Nordmann im niedersächsischen Twistringen eine Biergroßhandelsfirma und belieferte die Kunden zunächst noch mit dem Pferdewagen. Heute ist das Familienunternehmen einer der größten Getränkefachgroßhändler Deutschlands – und seit dem Jahr 2004 besitzen die „Nordmänner“, wie sie sich selber nennen, die Marke Ratsherrn.

Alsterwasser gehört erst seit diesem Frühjahr zum Produktprogramm von Ratsherrn. Wie vieles, was die Brauer aus den Schanzenhöfen tun, unterscheidet es sich etwas vom Üblichen: Das Ratsherrn-Alster ist naturtrüb, Öko-zertifiziert und wird mit einer hauseigenen Limonaden-Rezeptur mit auffallender Limetten-Note hergestellt – süßlich ist da nichts. In wenigen Tagen kommt eine weitere Neuheit auf den Markt: „Hamburg Hell“, ebenfalls nicht filtriert und nach den Worten von Nordmann „etwas hopfiger“ als sonstige helle Lagerbiere: „Es wird spannend, ob die Hamburger das annehmen.“

Eine „Exportoffensive“ ist nun nicht mehr angesagt

Wenn Niklas Nordmann „die Hamburger“ sagt, gibt er damit indirekt einen Hinweis auf die künftige Ausrichtung der Marke. Dabei kündigte die Nordmann-Gruppe noch im Sommer 2018 eine „Exportoffensive“ an. Man verfolge eine Strategie der Expansion ins Ausland, wenn auch „mit Augenmaß“. Das klingt jetzt anders.

„Wir sind die Hamburger Brauerei für die Hamburger“, sagt Nordmann. Bisher werde 50 Prozent des Ausstoßes in einem Umkreis von gerade einmal fünf Kilometern um die Schanzenhöfe abgesetzt. Da biete allein das übrige Stadtgebiet schon reichlich Wachstumspotenzial: „Rechts der Alster gibt es für uns Nachholbedarf“, sagt Nordmann. Und von der Reeperbahn bis Blankenese sei auch noch ordentlich Raum, ergänzt Florian Weins, der bereits seit Anfang August neuer Ratsherrn-Geschäftsführer neben Oliver Nordmann, dem Vater von Niklas Nordmann, ist.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Weins, der gemeinsam mit Niklas und Oliver Nordmann die neue, im Hinblick auf die räumliche Expansion deutlich bescheidener anmutende Strategie vertritt, vorher ausgerechnet für den weltweit agierenden Brauereigiganten Anheuser-Busch InBev tätig war – zuletzt als Deutschland-Chef der internationalen Marke Beck’s. Außerhalb der Hansestadt werde sich Ratsherrn bei der Vermarktung auf Regionen konzentrieren, „in denen die Hamburger Urlaub machen“, sagt Weins, also vor allem auf die Nord- und Ostseeküste.

Brauereibranche musste im ersten Halbjahr 2020 einen Absatzrückgang von 6,6 Prozent hinnehmen

Während die gesamte deutsche Brauereibranche im ersten Halbjahr 2020 einen Absatzrückgang von 6,6 Prozent hinnehmen musste, dürfte Ratsherrn wesentlich stärker getroffen worden sein. Denn im Jahr 2019 erwirtschaftete das Unternehmen knapp 55 Prozent des Umsatzes mit Kunden aus der Gas­tronomie. Dieses Geschäft ist aber mit Beginn der Pandemie praktisch komplett weggefallen – „und nicht nur für einen Monat“, sagt Niklas Nordmann: „Das holt man nicht einfach so wieder auf.“ Inzwischen habe man rund 70 Prozent des vorherigen Gastronomieabsatzes zurückgewonnen.

Zu den Aufgaben von Weins gehört es, die Präsenz der Marke bei Einzelhändlern zu stärken. Die Verkäufe über den eigenen Onlinehandel haben sich zwar in den vergangenen Monaten verdoppelt, sie machen aber erst gut ein Prozent des Gesamtabsatzes aus. Um diesen Geschäftszweig deutlich auszubauen, will sich das Ratsherrn-Team „zwei oder drei starke Partner“ im Bereich des Internethandels suchen.

Weins soll Ratsherrn „organisatorisch und prozessual“ neu aufstellen

Nachdem die Hamburger Brauer in den Jahren 2018 und 2019 die behördlich zugelassene Kapazität ihrer Anlage von 50.000 Hektolitern – zum Vergleich: die neue Holsten-Brauerei in Hausbruch kommt auf eine Million Hektoliter – voll ausschöpften, fallen sie 2020 deutlich darunter zurück. Der Marke Ratsherrn sind Tiefs jedoch nicht fremd. Ursprünglich 1951 von der Elbschloss-Brauerei als Premium-Bier eingeführt, ging die Marke später durch mehrere Hände und spielte nach der Einstellung des Braubetriebs an der Elbchaussee im Jahr 1997 für den damaligen Eigentümer, die Holsten-Gruppe, nur noch eine Nebenrolle.

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Seit 2012 kommt Ratsherrn-Bier aus der eigens dafür errichteten Brauerei in den Schanzenhöfen. Das Pilsener aus der neuen Anlage sei „eigentlich eine Neukreation“, sagt Nordmann: „Die alte Rezeptur aus den 1950er-Jahren hatten wir nicht.“ Zunächst orientierten sich die Schanzen-Brauer stark an der „Craft-Beer“-Bewegung, die aus den USA stammt und damals gerade in Europa ankam. Doch davon will man sich nun nach und nach absetzen. Das bedeutet auch die schrittweise Abkehr von Produktbezeichnungen in englischer Sprache. „Wir wollen aus der Nische heraus und erwachsener werden“, erklärt Nordmann.

Weins soll das Familienunternehmen dabei unterstützen und Ratsherrn „organisatorisch und prozessual“ neu aufstellen. Er sieht allerdings durchaus die Vorteile der mittelständischen Strukturen. „Was mich hier begeistert, ist die Agilität“, so Weins: „Man spricht einfach mit dem Eigentümer und dann gibt es eine Entscheidung“ – auch wenn das manchmal eine sei, „die eher dem Bauchgefühl folgt“.

Die Brauerei will die Kapazität verdoppeln dürfen

Eine für die Zukunft von Ratsherrn wichtige Entscheidung, verbunden mit einer Investition im „deutlich siebenstelligen Bereich“, fiel schon vor längerer Zeit: Während die Flaschenabfüllung bisher bei der Firma Lütvogt in Wagenfeld nahe Diepholz erfolgt, soll im September eine eigene Abfüllanlage in Billstedt in Betrieb gehen. „Das ist für uns die Unabhängigkeitserklärung“, sagt Nordmann: „Wir können dann zum Beispiel ohne langen Vorlauf die Etiketten wechseln.“ An der Zahl von 35 fest angestellten Beschäftigten soll sich jedoch trotz der neuen Anlage nichts ändern.

Zwar wird der gesamte Biermarkt in Deutschland seit Jahren tendenziell immer kleiner. Eine Brauerei wie Ratsherrn könne sich auf längere Sicht dennoch sehr gut entwickeln, glaubt Weins: „Trends wie Regionalität und nachvollziehbare Herkunft spielen uns in die Hände.“ Vor diesem Hintergrund stellt die Geschäftsführung schon die Weichen für künftiges Wachstum: „Wir beantragen gerade, die Kapazität auf 100.000 Hektoliter ausweiten zu dürfen.“