Wedel. Statt des umstrittenen Kohlekraftwerks wird nun Windkraft genutzt, um Heizungen warm zu machen. So funktioniert die innovative Anlage.
Jakobus Gäth behält die Fassung. Selbst wenn er merkwürdige Fragen gestellt bekommt, wie denn eigentlich die von Windkraftanlagen an der Nordsee produzierte Energie in der neuen Power-to-Heat-Anlage (Wind-zu-Wärme) in Wedel landet? Solche Anlagen würden ja schließlich bisher ungenutzte, überschüssige, dort produzierte Energie nutzen können.
„Das Stromnetz ist in etwa vorstellbar wie ein Meer, das auf den Füllstand bezogen immer auf gleicher Höhe bleiben muss. Wird an einer Stelle weniger Strom produziert, muss anderswo eine Anlage genutzt werden, um das wieder auszugleichen“, sagt der Betriebsleiter des Heizkraftwerks Wedel.
Kraftwerk Wedel: Bundesnetzagentur kontrolliert das Stromnetz
Die Bundesnetzagentur kontrolliert als staatliche Behörde das Stromnetz. Eingriffe in das Netz – sogenannte Redispatches, also Eingriffe von Kraftwerken, um bestimmte Leitungsabschnitte vor Überlastung zu schützen – seien über jede an dieses Netz angeschlossene Produktionsstätte möglich.
Der sogenannte Übertragungsnetzbetreiber – für die innovative Anlage in Wedel ist es 50 Hertz – kann das Kraftwerk anweisen, wie viel Strom in welchem Zeitraum verbraucht werden soll. Denn: Durch die Wärmeerzeugung wird Strom verbraucht und nicht produziert. In Abhängigkeit vom Strom- und Wärmebedarf können auch Betriebsleiter Gäth und sein Team eigenständig ihren individuellen „Fahrplan“ nach Ankündigung durchführen. „Dann geben wir an, dass wir zum Beispiel die Power-to-Heat-Anlage zwischen 10 und 20 Uhr fahren“, erklärt der Hamburger.
Fernwärme aus Wedel: 27.000 Hamburger Haushalte können sie nutzen
Das Abendblatt hat die Möglichkeit, sich vor Ort über die Funktionsweise des neuen innovativen Öko-Kraftwerks zu informieren. Weite Teile des Hamburger Westens, bis zu etwa 27.000 Haushalte, können bei Maximallast über die Wedeler Hightech-Konstruktion mit umweltfreundlicher Fernwärme versorgt werden. Heizungen werden warm, auch Warmwasser läuft über diese Versorgungslinie.
Bei weniger gefahrener Leistung der Power-to-Heat-Anlage werden in der Heizperiode, die über den Daumen gepeilt von „Oktober bis Ostern“ andauert, dementsprechend weniger Häuser und Wohnungen erreicht.
Zwei große Transportleitungen führen in den Komplex hinein und heraus. „Das ist einmal der Vorlauf, der zur Stadt führt und der Rücklauf, der aus Hamburg wieder hierherführt“, sagt der 33 Jahre alte Betriebsleiter. In der Vorlaufleitung werde zwischen „90 und 133 Grad heißes Wasser“ transportiert.
Über die Temperatur und Menge könne die Leistung der Anlage variiert werden. Bis zu 80 Megawatt – also 80.000 Watt – Stromverbrauch sind in der Power-to-Heat-Anlage maximal möglich. Es gibt zwei parallel aufgebaute Linien, die jeweils mit bis zu 40 Megawatt Leistung je nach Bedarf gefahren werden können.
Wind-zu-Wärme nutzt das Wasserkocher-Prinzip
Das Prinzip dieser Wärmeerzeugung ist ähnlich wie in einem Wasserkocher: Aufbereitetes Wasser wird über Elektroden in großen Elektrokesseln erwärmt. „Das Wasser wird quasi leitfähig gemacht, Elektronen sausen durch das Wasser und laden es thermisch auf“, erklärt der Betriebsleiter.
Der benötigte Strom für diesen Prozess läuft durch dicke, rote Kabel – mit einer Spannung von 10.000 Volt. Zum Vergleich: Eine Steckdose hat 420 Volt Spannung. Stromschläge von 50 Volt sind lebensgefährlich. Auch unbedachte Berührungen mit einer Zehn-Volt-Spannung können je nach körperlicher Verfassung schon tödlich sein.
Dementsprechend gesichert sind die beiden „Käfige“ in der oberen Etage der zweigeschossigen Power-to-Heat-Anlage. Sobald die Tür geöffnet wird, werde die gesamte Anlage aus Sicherheitsgründen laut Gäth sofort ausgeschaltet.
„Wir können zufrieden sein, dieses Projekt so schnell zum Laufen bekommen zu haben“
Die entstehende Wärme wird über sogenannte Wärmetauscher an das Heizwasser im Hamburger Wärmenetz abgegeben – und, wenn es eine Redispatch-Maßnahme von 50 Hertz ist, als „grüne“ Fernwärme eingespeist. „Wir können wirklich zufrieden sein, dass wir dieses Projekt in dieser durchaus ambitionierten Zeitspanne zum Laufen bekommen haben. Trotz Corona und des Kriegs in der Ukraine“, meint der Betriebsleiter des Wedeler Heizkraftwerks.
Gut 31,5 Millionen Euro hat 50 Hertz am Standort in Wedel investiert, diese Kosten sollen möglichst innerhalb von fünf Jahren ausgeglichen sein. Der Spatenstich für das Öko-Kraftwerk war im September 2021, Richtfest wurde im Juli 2022 gefeiert. Im Juni des Vorjahres gab es die offizielle Eröffnungszeremonie mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen).
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In der Folge entstanden Irritationen, etwa innerhalb der Wedeler Politik, warum die Anlage erst anschließend so spät in Betrieb genommen worden war. Im November 2023 gab es zwei Tage im Probebetrieb. Im Dezember lief die Anlage bereits mehr als 170 Stunden.
„Für uns persönlich war es ein Meilenstein, als der Probebetrieb einwandfrei lief“, so Gäth. Denn: Bereits bei den Probeläufen werde ja tatsächlich Wärme produziert. So etwas sei vergleichbar mit dem Kauf eines Autos, das man vorher erst noch Probe fährt.
Umweltschädliche Steinkohle soll im Heizkraftwerk Wedel ersetzt werden
Nach wie vor wird im Heizkraftwerk, das im Tinsdaler Weg direkt an der Elbe liegt, Kohle verbrannt. Der fossile Brennstoff wird mit Schiffen direkt angeliefert. Bis Ende 2025 soll damit Schluss sein. Durch Power-to-Heat in Wedel sollen laut Angaben der zuständigen Hamburger Energiewerke jährlich bis zu 100.000 Tonnen umweltschädliches CO2 (Kohlenstoffdioxid) eingespart werden. Gut 50.000 Tonnen Steinkohle sollen jährlich weniger bis zum Kohle-Aus verbrannt werden.
Gibt es schon Zahlen, wie viele Emissionen durch den Betrieb des PtH-Kraftwerks bisher tatsächlich eingespart werden konnten? „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen diese Zahlen noch nicht vor. Die Auswertung erfolgt nach Ende der Heizperiode“, sagt Jakobus Gäth..
Laut Bundesumweltamt lag die sogenannte Jahresabgasfracht des Kohlekraftwerks Wedel im Jahr 2022 bei exakt 1,27 Millionen Tonnen CO2, 755.000 Kilo Schwefeloxiden, 734.000 Kilo Stickoxiden und 13 Kilo Quecksillber. Bis 2030 möchte Deutschland den Kohle-Ausstieg endgültig schaffen. In Wedel ist zum Ende des Vorjahres die „grüne“ Zukunft eingeläutet worden. Warum die Wedeler selbst von ihrer PtH-Anlage nicht profitieren können, hat Stadtwerke-Chef Jörn Peter Maurer erklärt.