Hamburg. Hohe Kosten würgen den Neubau ab und treiben die Mieten nach oben. Um das zu ändern, will Senatorin Pein einiges ändern. Die Details.
Seit Monaten bewegt sich der zuvor so erfolgsverwöhnte Wohnungsbau in Hamburg auf eine Art Schockstarre zu. Angefangene Projekte werden zwar noch vollendet, aber an neue wagt sich, abgesehen von der städtischen Saga, kaum noch jemand heran. „Das ist kein Rückgang, sondern ein katastrophaler Absturz“, konstatierte kürzlich der scheidende Vorsitzende des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW), Sönke Struck.
Er und viele andere Experten haben dabei vor allem ein Problem im Blick: die hohen Baukosten. Mit rund 6500 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche müsse er aktuell kalkulieren, so der Immobilien-Unternehmer auf der Jahrestagung des BfW. Selbst bei 30 Prozent Eigenkapitaleinsatz komme dabei eine Kaltmiete von knapp 24 Euro pro Quadratmeter heraus. Weil das für die meisten Menschen unbezahlbar sei – zum Vergleich: die tatsächliche Kaltmiete lag in Hamburg 2023 bei durchschnittlich 8,71 Euro pro Quadratmeter –, baue halt kaum noch jemand, so Struck, der forderte: „Wir müssen von diesen hohen Baukosten herunterkommen, dazu gibt es keine Alternative.“
Wohnungsbau in Hamburg durch hohe Baukosten ausgebremst – so will Senat gegensteuern
Ähnlich hatte zuvor auch der Verein der Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften argumentiert. Die Baukosten seien von 2700 Euro pro Quadratmeter in 2005 auf 5800 Euro in 2023 gestiegen, hatte Vorstandsmitglied Peter Kay vorgerechnet. Da er mögliches Eigenkapital außen vor ließ, kam er sogar auf monatliche Kosten von mehr als 30 Euro pro Quadratmeter, die sich unmöglich über die Miete refinanzieren ließen. Die Botschaft war die gleiche: Dann bauen wir halt nicht mehr und investieren lieber in die Sanierung unserer Bestände.
Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) war auf diesen Veranstaltungen jeweils zugegen. Sie kennt die Probleme der Branche, auch weil sie früher als Chefin der städtischen IBA Hamburg selbst Wohnungsbauprojekte entwickelt hat. Pein beziffert die durchschnittlichen Baukosten zwar „nur“ auf gut 4500 Euro pro Quadratmeter, sagt aber auch: „Wenn wir bezahlbaren Wohnraum schaffen wollen, müssen die Baukosten um ein Drittel runter.“
Stadtentwicklungssenatorin Pein: „Die Baukosten müssen um ein Drittel runter“
Indes: Das ist einfacher gesagt als getan. „Es gibt nicht den einen großen Hebel, den wir umlegen können“, sagt die Senatorin im Gespräch mit dem Abendblatt. „Aber es gibt viele kleine Hebel, die man in Bewegung setzen kann und die dann in Summe auch etwas bewirken. Das ist mühsam und braucht eine gemeinsame Kraftanstrengung.“ Das sind ihre Pläne, über die sie am Freitag auch mit Vertretern der Branche auf einem internen Workshop sprach.
Stichwort Baugenehmigungen: Pein hat sich fest vorgenommen, dass bestimmte Bauvorhaben in Hamburg wieder ohne Baugenehmigung durchgeführt werden können. „In Gebieten mit qualifizierten Bebauungsplänen wollen wir Gebäude bis sieben Meter Höhe sowie Dachgeschossausbauten genehmigungsfrei ermöglichen“, sagt sie. Das würde dann für die meisten Einfamilien- und Reihenhäuser gelten und soll Teil der novellierten Bauordnung sein, die bis Ende des Jahres stehen soll.
Hamburger Senat will Gebäude bis sieben Meter Höhe ohne Baugenehmigung ermöglichen
Die Bauherren müssten ihr Vorhaben dann nur noch jeweils den Behörden anzeigen und sich an die Festsetzungen im B-Plan halten. Diese sind in Hamburger Wohngebieten in der Regel „qualifiziert“, enthalten also etliche Vorgaben, wie dort gebaut werden darf, etwa hinsichtlich der Höhe, der Abstände oder der Geschossflächenzahl. In einigen anderen Bundesländern gelten ähnliche Regelungen bereits, und auch in Hamburg gab es dieses „Bauanzeigeverfahren“ früher, es wurde jedoch 2006 unter dem damaligen CDU-Senat aufgrund der geringen Nachfrage wieder abgeschafft.
Dass eine Rückkehr zu dieser liberaleren Vorgehensweise nicht für massenhaft neue Wohnungen sorgen wird, ist der Senatorin klar – schließlich entstehen die vor allem im wesentlich höheren Geschosswohnungsbau. Doch in einigen Bezirken entstünden noch nennenswerte Zahlen an Einfamilien- und Reihenhäusern, für die dann künftig keine Baugenehmigung mehr nötig wären, so Pein. „Das senkt einerseits die Kosten der Bauvorhaben, andererseits entlastet es unsere Bauprüfabteilungen, sodass sie die größeren Vorhaben schneller bearbeiten können.“
Die Genehmigungsgebühren richten sich in Hamburg nach den Baukosten: Je 1000 Euro Herstellungskosten sind zum Beispiel 13,70 Euro Gebühren fällig. Bei einem Haus für 200.000 Euro wären das also mehr als 2700 Euro, die Bauherren einsparen würden – plus Zeit und Kosten für die Erstellung des Bauantrages.
Hamburger Senatorin will mehr Tempo bei Baugenehmigungen machen
Im Jahr 2021 hätten unter diesen Bedingungen rund 400 Baugenehmigungen nicht erteilt werden müssen, so die Stadtentwicklungsbehörde. Angesichts von knapp 6000 Baugenehmigungen, die in dem Jahr insgesamt erteilt wurden, würden also rechnerisch rund 6,5 Prozent der Vorgänge entfallen, was schon eine spürbare Entlastung bewirken könnte.
Stichwort Tempo: Ohnehin hat Karen Pein sich vorgenommen, für eine schnellere Bearbeitung der Bauanträge zu sorgen. Mit durchschnittlich sieben Monaten sei Hamburg da zwar gar nicht so schlecht, dennoch kennt auch die Senatorin die Fälle, in denen es wesentlich länger gedauert hat und ein Bauvorhaben dadurch in eine Phase stark steigender Baukosten geraten ist, wie das etwa die Genossenschaft Kaifu Nordland in Lokstedt erlebt hat, die nun für ihre Verhältnisse völlig unübliche 20 Euro pro Quadratmeter Miete nehmen muss.
Bauanträge werden nur noch digital eingereicht und bearbeitet
Da aufgrund der Flaute am Bau derzeit vermehrt Architekten und Ingenieure auf dem Markt sind, will die Senatorin versuchen, diese für die hamburgische Verwaltung zu gewinnen und das Personal in den Bauprüfabteilungen aufzustocken: „Wir arbeiten gerade an einem Schulungsprogramm, damit solche Fachkräfte uns möglichst schnell helfen können.“ Die Hoffnung dahinter: Wenn mehr Personal gleichzeitig weniger Fälle zu bearbeiten hat, sollte das für eine deutlich schnellere Bearbeitung sorgen können.
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Stichwort Digitalisierung: Zudem setzt die Senatorin darauf, dass die Digitalisierung die Bearbeitung von Bauanträgen erheblich vereinfacht. Seit Anfang des Jahres müssen Bauherren das Portal „Bauantrag 2.0“ nutzen: Vom Einreichen der Unterlagen über die Prüfung bis zur Genehmigung ist der gesamte Vorgang seitdem digital. Pein: „Ziel ist es, vorhandene Ressourcen effizienter einzusetzen, die Bau- und Wohnungswirtschaft weiter zu entlasten und ihr den Rücken freizuhalten für das wesentliche gemeinsame Ziel: die Bereitstellung von mehr bezahlbarem Wohnraum in Hamburg.“
Stichwort DIN-Normen: „Es gibt bundesweit mehr als 7000 anerkannte Regeln der Technik für den Baubereich, von denen nur einige Hundert im Baugenehmigungsprozess relevant sind“, sagt Pein. Die Vorhabenträger hielten sich aber in der Regel an alle diese Vorgaben, da sie andernfalls bei Mängeln regresspflichtig sein könnten, so die Senatorin. „Das ist ein enormer Aufwand, den wir eindämmen wollen, indem wir als Stadt gemeinsam mit den Wohnungsbauunternehmen und weiteren zentralen Akteuren eigene Mindeststandards definieren, die gutes Wohnen ermöglichen bei niedrigeren Baukosten.“
Mehr als 7000 DIN-Normen legen dem Hamburger Wohnungsbau Fesseln an
Pein denkt dabei unter anderem an Decken- und Wandstärken, an die Zahl der Steckdosen oder an andere Vorgaben, die aus ihrer Sicht über das Ziel hinausschießen: „Ich glaube, dass wir insgesamt in zu hohen Standards bauen und zu viel Material verbrauchen“, sagte sie kürzlich dem NDR. 20 Prozent der Baukosten ließen sich durch Lockerungen bei den DIN-Normen einsparen, schätzt sie. Das Problem: Diese Normen werden in DIN-Ausschüssen festgelegt, in denen vor allem die Bauwirtschaft das Sagen hat – daher appelliert die Senatorin bei jeder Gelegenheit an die Vertreter der Hamburger Wohnungswirtschaft, sich in diesen Ausschüssen zu engagieren.
Stichwort Effizienzhaus: Unter diesem Motto untersucht die Saga schon länger, wie sich noch günstiger Wohnraum schaffen lässt. Jüngst beauftragte der städtische Wohnungskonzern mehrere Teams aus Architekten und Bauunternehmen, unabhängig voneinander im Rahmen eines Realisierungswettbewerbes Lösungen für kostengünstiges Bauen zu entwickeln, das dennoch den Nutzeranforderungen als auch den klimapolitischen und städtebaulichen Ansprüchen genügt. Im Ergebnis kamen die Teams auf Herstellungskosten je Quadratmeter Wohnfläche von durchschnittlich 3700 Euro – rund 15 bis 20 Prozent unter den aktuell üblichen Kosten der Saga.
Saga-Versuch zeigt: So lässt sich kostengünstig Wohnraum in Hamburg schaffen
Die frühzeitige Bildung von Teams aus Architekten und Bauunternehmen in Verbindung mit einer definierten Kostenobergrenze habe eine Reihe von wertvollen Lösungsansätzen hervorgebracht, sagte Saga-Vorstand Snezana Michaelis: „Vorgabe hierbei war der konsequente Verzicht auf Tiefgaragen bzw. Untergeschosse und die Vereinfachung von Baukörpern bei gleichbleibend hohem gestalterischen Anspruch.“ Diese Erkenntnisse werde man jetzt in die praktische Anwendung bringen. Noch 2024 soll mit dem Bau eines Pilotgebäudes begonnen werden.
Auch Senatorin Pein, qua Amt Aufsichtsratsvorsitzende der Saga, zeigte sich erfreut, „wie durch effiziente Planung sowie Vereinfachungen an Gebäudekubatur und Fassade und eine maßvolle Reduzierung der technischen Standards bei gleichbleibend hohem architektonischen Anspruch die Baukosten erheblich gesenkt werden“. Sie ist überzeugt, dass auf diesem Weg auch bezahlbarer, frei finanzierter Wohnraum geschaffen werden könne. Jetzt muss die Theorie nur noch im großen Stil in die Realität übertragen werden.