Hamburg. Für das neue Bauwerk benötigt man dreimal so lange wie für das Original vor 50 Jahren. Die Wirtschaft ist genervt. Was der Senat sagt.
In der Überschrift wird das Kind noch nicht recht beim Namen genannt: „Bau des Autobahnzubringers Waltershof mit Köhlbrandkreuzung“ steht über dem Dokument, das erkennbar mit der Schreibmaschine verfasst ist. Erst im weiteren Verlauf wird deutlich, worum es konkret geht: den Bau einer Köhlbrandbrücke. Das Besondere, aus heutiger Sicht geradezu Aberwitzige an dieser „Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft“ vom 5. November 1968: Das Papier war nur sechs Seiten lang. Und keine sechs Jahre später, im September 1974, war die Brücke fertig. Kosten: rund 160 Millionen D-Mark.
Ein halbes Jahrhundert darauf, im April 2024, hat der Hamburger Senat wieder eine „Mitteilung“ an die Bürgerschaft verfasst: Auf 30 Seiten erklärt er dort seine „Neubewertung der Alternativen einer Köhlbrandquerung – Entscheidung für den Ersatzneubau einer Brücke“. Auf Seite 17 prognostiziert er schließlich („realistischer Zeitansatz“), dass diese Brücke im vierten Quartal 2042 für den Verkehr freigegeben werden könnte. Eine Seite davor werden die vermutlichen Kosten genannt: 4,4 bis 5,3 Milliarden Euro.
Neue Köhlbrandbrücke: Bau soll dreimal so lang dauern wie der alten
Zusammengefasst: Auf fünfmal so viel Papier erklärt der Senat, dass der Bau eines Projekts, das so ähnlich vor 50 Jahren an gleicher Stelle schon einmal errichtet wurde, heute dreimal so lang dauern und rund 50-mal so viel kosten wird.
Zugegeben: Die neue Brücke soll mit 73,5 Metern Durchfahrtshöhe rund 20 Meter höher werden, und das ganze Bauwerk wird inklusive Zufahrtsrampen mit rund fünf Kilometern auch rund 1,4 Kilometer länger als das historische Vorbild. Allerdings haben Planer und Baufirmen heutzutage auch ganz andere technische Möglichkeiten und können zudem auf Erfahrungen mit der ersten Brücke zurückgreifen. Wie sind diese 18 Jahre also zu erklären?
Hamburgs Wirtschaft ist ungehalten: Zeitplan sei „viel zu unambitioniert“
Diese Frage stellt man sich auch in der Hamburger Wirtschaft, die händeringend auf die neue Köhlbrandquerung wartet: „Die neue Brücke erst im Zeitraum 2042 bis 2046 fertigzustellen ist viel zu unambitioniert“, sagt Matthias Boxberger, der Vorsitzende des Industrieverbands Hamburg (IVH) – wobei sich 2046 auf das Jahr bezog, in dem dann auch die größten Schiffe die neue, höhere Köhlbrandbrücke passieren können, denn zuvor muss noch die alte, niedrigere abgerissen werden. Seine Forderung: „Der Senat muss jetzt alles daransetzen, dass das neue Bauwerk möglichst innerhalb der nächsten zehn Jahre errichtet werden kann.“
Auch Axel Plaß, Vorsitzer des Vorstands des Vereins Hamburger Spediteure, zeigt sich besorgt, da schon viel Zeit mit der Planung eines – nunmehr wieder verworfenen – Tunnels als Ersatz für die Brücke vergeudet worden sei: „Und jetzt soll es noch einmal fast ein Vierteljahrhundert dauern, bis der Ersatzbau fertig, die alte Brücke abgerissen und das Containerterminal in Altenwerder auch von den größten Containerschiffen angelaufen werden kann.“ Die Handelskammer nimmt die Zeitplanung ebenfalls nicht gerade mit Begeisterung auf: „Die Hamburger Wirtschaft wartet schon zu lange auf eine Entscheidung“, sagt Präses Norbert Aust und erinnert daran, dass für die Tunnelplanung bereits „sechs Jahre verschenkt“ worden seien.
Die größte Schrägseilbrücke der Welt war nach drei Jahren Bauzeit fertig
So mancher Beobachter schaut neidisch ins Ausland: In Frankreich wurde die größte Schrägseilbrücke der Welt, der fast 2,5 Kilometer lange und 340 Meter hohe „Viaduc de Millau“, 2004 nach drei Jahren Bauzeit fertiggestellt, zu Kosten von 400 Millionen Euro. Die fast acht Kilometer lange Öresundbrücke zwischen Kopenhagen und Malmö war im Jahr 2000 nach nur 3,5 Jahren Bauzeit fertig (für eine Milliarde Euro). Und die berühmte Golden Gate Bridge in San Francisco, mit einem Abstand von 1280 Metern zwischen den beiden Pylonen damals die längste Hängebrücke der Welt, ist schon in den 30er-Jahren in nur vier Jahren errichtet worden.
Warum also braucht es 18 Jahre, um in Hamburg den 400 Meter breiten Köhlbrand zu überwinden? Dazu muss man zunächst fairerweise einschränken: Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) geht davon aus, dass sich Planung und Bau noch so beschleunigen lassen, dass die Brücke spätestens 2040 eröffnet wird – das wären dann 16 statt 18 Jahre. Und: Bei den Vergleichsprojekten ist hier nur die Bauzeit genannt, in den 16 bis 18 Jahren für die neue Köhlbrandbrücke ist hingegen auch die Planungsphase enthalten. Die reine Bauzeit gibt der Senat mit 9,5 Jahren an. Indes: Das wären immer noch 50 Prozent mehr als unsere Vorväter für Planung und Bau der alten Köhlbrandbrücke benötigt haben.
Wirtschaftsbehörde: Bau der Brücke „größere Herausforderung“ als vor 50 Jahren
Warum das so ist, dazu erklärt die Wirtschaftsbehörde: „Die neue Brücke wird größer als das Bestandsbauwerk – und sie wird vor allem neben der bestehenden Brücke errichtet, die parallel noch im Betrieb bleibt“, teilte Sprecher Martin Helfrich auf Abendblatt-Anfrage mit. „Nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich ist also beides in Einklang zu bringen. Beides bringt mit sich, dass der Bau einer neuen Brücke eine größere Herausforderung darstellt als der seinerzeitige Bau.“
Hinzu komme, und das dürfte wohl der springende Punkt sein, „dass es heute andere genehmigungsrechtliche Rahmenbedingungen gibt als 1968“, so Helfrich. „Planfeststellungsverfahren und viele Belange, die wir heute sehr ernst nehmen, galt es zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht zu berücksichtigen.“ Auch das Vergaberecht sowie der rechtliche Rahmen – von der Pflicht zur Untersuchung auf Kampfmittel-Überbleibsel im Untergrund bis zur Berücksichtigung von Umweltbelangen – sowie die weiteren erforderlichen Beteiligungsverfahren seien „viel umfangreicher“ geworden, so der Sprecher der Wirtschaftsbehörde.
Neue Köhlbrandbrücke: Baugenehmigung wird für das Jahr 2031 erwartet
Die lange Planungsphase von rund neun Jahren geht also in erheblichem Maße auf die schon sprichwörtliche deutsche Regelungswut zurück. In Jahreszahlen: Der Senat erwartet im dritten Quartal dieses Jahres die politische Weichenstellung durch die Bürgerschaft. Anschließend plant er ausweislich seiner Drucksache rund 2,5 Jahre für die Vorplanung inklusive Architektenwettbewerb ein. „Daran schlösse sich die Entwurfsplanung an, die auch die Grundlage für die Einreichung des Planfeststellungsantrags im 2. Quartal 2031 darstellen würde“, heißt es weiter. Der Planfeststellungsbeschluss – quasi die Baugenehmigung – sei „im zweiten Quartal 2033 zu erwarten“.
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Im Anschluss folge die rund 9,5 Jahre dauernde Bauzeit. Wie die ermittelt wurde, kann die Wirtschaftsbehörde nur andeutungsweise erklären: „Die Zeitplanungen basieren teilweise auf Ergebnissen aus der bisherigen Tunnelplanung sowie aktuellen Erfahrungswerten bei vergleichbaren Infrastrukturmaßnahmen“, so Helfrich. „Sie stellen im Moment nur einen Rahmen dar, der im Verlauf der weiteren Planung zu konkretisieren ist.“ Gleichwohl betont er, dass alle Planungen „bewusst sorgsam kalkuliert“ seien und „zeitliche Puffer“ enthielten. Man sehe noch „Beschleunigungspotenziale“.
Helfen könnten dabei die Erfahrungen mit dem Bau und Unterhalt des Bestandsbauwerks. Das wird nämlich von der Hamburg Port Authority (HPA) auch aufgrund seines maroden Zustands so gut überwacht wie kaum ein anderes Bauwerk in Deutschland. Wind, Schwingungen, Korrosion – diverse Sensoren und regelmäßige Prüfungen liefern permanent Daten zum Zustand der Köhlbrandbrücke. „Selbstverständlich“ würden diese Erfahrungen auch mit einfließen, so Helfrich.
Neue Köhlbrandbrücke: Auch vor 50 Jahren lief nicht alles glatt – aber schneller
Inwiefern der Neubau dadurch beschleunigt werden kann, ist aber offen. Kleiner Trost: Auch beim Bau der ersten Köhlbrandbrücke lief nicht alles glatt. Die sollte eigentlich „im Laufe des Jahres 1972 in Betrieb genommen werden“, so die Mitteilung des damaligen Senats. Als sie dann 1974 tatsächlich eröffnet wurde, nur sechs Jahre nach dem Senatsbeschluss, war sie also sogar zwei Jahre zu spät dran.