Hamburg. Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard stellte die Eckdaten des Projekts vor und nannte auch einen Zeitpunkt für die Fertigstellung.
Der Ort war geschickt ausgewählt, der Zeitpunkt dagegen äußerst ungewöhnlich. Vom fünften Stockwerk des Dockland, jenem ikonischen Bürogebäude in Form eines Parallelogramms am Fischereihafen in Altona, hat man einen prächtigen Blick auf die Elbe, den Hamburger Hafen – und im Hintergrund auch auf jenes nicht weniger einzigartige Bauwerk, um das es an diesem Tag gehen sollte: die Köhlbrandbrücke.
Dass Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) ausgerechnet an einem Ostermontag deren Abriss und Neubau ankündigte, noch dazu einen Tag bevor der rot-grüne Senat dies überhaupt beschließen soll, war hingegen nicht von langer Hand geplant, sondern in erster Linie der politisch turbulenten Vorgeschichte und dem aufziehenden Hamburger Wahlkampf geschuldet.
So viel soll neue Köhlbrandbrücke kosten – Kerstan verhinderte Entscheidung
Wie berichtet, sollte die Entscheidung im Senat schon am Dienstag der Vorwoche fallen und an dem Tag auch verkündet werden – die 30-seitige Drucksache der Wirtschaftsbehörde stand, die Einladungen zur Pressekonferenz im Rathaus waren schon vorbereitet. Doch wenige Tage vorher und nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist schickte die Umweltbehörde von Senator Jens Kerstan (Grüne) noch eine Reihe von Fragen zu dem Papier, die sich nicht mehr rechtzeitig ausräumen ließen – zumal der Umweltsenator sich kurz nach dem Versand in den Urlaub verabschiedete.
In der Wirtschaftsbehörde war man äußerst verärgert über Kerstans Gebaren, zumal sich zwar die Entscheidung, nicht aber deren Verkündung belieibig um eine Woche auf die nächste Senatssitzung verschieben ließen – denn an diesem Dienstag bricht die Wirtschaftssenatorin in aller Frühe zu einer mehrtägigen Dienstreise ins Baltikum auf. Daher bat Leonhard die Medien am Ostermontag zum Gespräch an der Elbe.
Durchfahrtshöhe der Köhlbrandbrücke steigt um 20 auf 73,5 Meter
Auch wenn diese ungewöhnliche Vorwegnahme einer Entscheidung von manchen Beobachtern als Retourkutsche gegenüber den Grünen gewertet wurde, war die Wirtschaftssenatorin und SPD-Landesvorsitzende doch erkennbar bemüht, den Konflikt herunterzuspielen. Wenn es bei so einem Jahrhundertprojekt noch Fragen gebe, „muss man darauf Rücksicht nehmen“, sagte Leonhard. Es habe in den vergangenen Tagen zwar „durchgängig Gespräche“ gegeben, aber worum die sich eigentlich drehten, wollte sie nicht preisgeben. Nur so viel: „Um ein Ob ging es nicht.“
Auch die Durchfahrtshöhe unter der neuen Brücke von 73,5 Metern, von den Grünen dem Vernehmen nach infrage gestellt, findet sich unverändert in der Drucksache des Senats wieder. Dem Papier zufolge will er der Bürgerschaft aus drei Gründen empfehlen, sich für einen Neubau der 1974 eröffneten Köhlbrandbrücke und gegen einen lange favorisierten Tunnel als Ersatzbauwerk zu entscheiden.
Neue Köhlbrandbrücke kostet bis zu 5,3 Milliarden Euro – aber deutlich weniger als ein Tunnel
Erstens die Kosten: Der Tunnel in der ursprünglich geplanten Version habe zwar mit bis zu 130 Jahren die längste Lebensdauer, sei aber mit Kosten von 6,0 bis 7,15 Milliarden Euro die mit Abstand teuerste Lösung und berge erhebliche Genehmigungsrisiken, so der Senat. Selbst ein abgespeckter, schmalerer Tunnel würde noch 5,4 bis 6,37 Milliarden kosten. Die Brücke wird hingegen mit 4,4 bis 5,3 Milliarden veranschlagt – wäre also um bis zu 1,8 Milliarden Euro günstiger als ein „großer“ Tunnel.
Die niedrigere Summe steht jeweils für ein „realistisches“ Szenario, in dem alles glattläuft und die Baupreise nur moderat um 2,2 Prozent pro Jahr steigen, während die höhere Summe leichte Verzögerungen sowie eine Preissteigerung von 3,2 Prozent pro Jahr einpreist. Die Kosten für den Abriss der bestehehendne Brücke sind jeweils schon enthalten. Leonhard betonte, dass der Bund zugesagt habe, 50 Prozent der Nettobaukosten zu übernehmen: „Zwei Milliarden Euro werden das sicher werden.“
Neue Köhlbrandbrücke im Hamburger Hafen soll „Ikone der Ingenieurbaukunst“ werden
Zweitens votiert der Senat auch aus aus ökologischer Sicht für eine Brücke, da beim Bau weniger Emissionen verursacht würden. Drittens verweist er auf die stadtbildprägende Funktion der denkmalgeschützten heutigen Brücke und verspricht, auch das neue Bauwerk werde eine „Ikone der Ingenieurbaukunst“. Leonhard erklärte zwar, dass es zunächst einen Architektenwettbewerb geben werde, aber sie gehe davon aus, dass auch die neue Köhlbrandquerung eine Schrägseilbrücke mit zwei Pylonen werde – passenderweise hatte die Wirtschaftsbehörde bereits eine Illustration mitgebracht, wie das Bauwerk aussehen könnte.
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Entscheidender Unterschied bei aller Ähnlichkeit: Die Durchfahrtshöhe zwischen Wasser und Brückenunterkante soll mit 73,5 Metern gut 20 Meter über dem aktuellen Bauwerk liegen. Dies soll gewährleisten, dass auch die größten Containerschiffe der Welt, die mit eingeklappten Masten bis zu 67 Meter aus dem Wasser ragen, die südlich des Köhlbrands gelegenen Umschlagsplätze erreichen können.
Abbau der alten Köhlbrandbrücke dauert vier Jahre
Die neue Brücke würde etwas nördlich der heutigen entstehen und einen erheblich weiteren Bogen schlagen. Denn aufgrund der größeren Höhe und der dadurch längeren Zufahrtsrampen steigt die Länge des gesamten Bauwerks von jetzt 3,6 auf dann fast 5,0 Kilometer – bei je zwei Fahrstreifen und einem Seitenstreifen je Fahrtrichtung. Die Spannweite zwischen den Pylonen steigt von heute 325 auf 400 Meter.
Vollständig zur Verfügung stehen wird die größere Durchfahrtshöhe aber wohl erst im Jahr 2046. Denn zunächst kalkuliert der Senat mit neun Jahren Planungszeit und dann noch einmal neun Jahren Bauzeit von 2033 bis 2042 für die neue Brücke – und danach muss vier Jahre lang die alte abgerissen werden. Leonhard betonte allerdings, dass sie noch Hebel sehe, den Planungsprozess zu beschleunigen, sodass sie eine Freigabe der neuen Brücke für den Verkehr „Ende der 2030er-Jahre, spätestens 2040“ anstrebe. Schneller wäre ein Tunnel, dessen Planung schon erheblich weiter vorangeschritten war, auch nicht fertig gewesen.
Wirtschaftssenatorin Leonhard: Erhalt der alten Köhlbrandbrücke wird immer teurer
Allen Forderungen, die alte Brücke zu erhalten, erteilte die Wirtschaftssenatorin erneut eine Absage. Das Bauwerk sei marode und nicht mehr zu retten. Im Übrigen sei es in den 60er-Jahren geplant worden, als die heutigen Schiffsgrößen noch nicht absehbar waren, weswegen die Brücke schon heute ein erhebliches Hindernis für den Schiffsverkehr darstelle. Auch die Zunahme des Straßenverkehrs – an durchschnittlichen Werktagen passieren 34.000 Fahrzeuge die Köhlbrandbrücke, davon 12.700 Lkw – sei so nicht erwartet worden und setze dem Bauwerk mächtig zu. Es noch 15 Jahre zu erhalten werde immer teurer: Aktuell koste die Instandhaltung 3,3 Millionen Euro im Jahr und werde auf 10,7 Millionen im Jahr 2029 steigen, dennoch gebe es zunehmende Verkehrseinschränkungen.
Genau darauf verwies Handelskammer-Präses Norbert Aust: „Selbst bei günstiger Planungs- und Bauzeit befürchten wir weitere Einschränkungen und noch mehr Sperrungen der vorhandenen Brücke.“ Der Senat müsse daher beantworten, wie er bis zur Fertigstellung der neuen Brücke einen zuverlässigen Zugang zum Hafen sicherstelle, so Aust. Grundsätzlich gelte: „Die Hamburger Wirtschaft wartet schon zu lange auf eine Entscheidung, die auch Planungssicherheit bringt. Zuletzt wurden sechs Jahre verschenkt, in denen ein Tunnel angestrebt wurde.“
Neue, höhere Köhlbrandbrücke: Kritik von CDU, Linkspartei und Umweltverbänden
Für die CDU kritisierte Fraktionschef Dennis Thering, dass es noch bis in die 2040er-Jahre dauern soll, bis die neue Brücke fertiggestellt wird: „In der Zeit kann eine Menge passieren, und es bleibt zu hoffen, dass diese neue Köhlbrandbrückenplanung der SPD-Wirtschaftssenatorin nun solider ist als die bisherigen.“ CDU-Wirtschaftsexperte Götz Wiese ergänzte: „Die Finanzierung der neuen Köhlbrandbrücke ist nicht gesichert, die Fertigstellung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben, die konkrete Planung ist bislang kaum mehr als eine Computeranimation.“
Auch Norbert Hackbusch, Hafenexperte Linksfraktion, übte scharfe Kritik: „Brauchen wir wirklich in 20 Jahren noch eine derart hohe Brücke? Und was bedeutet eine solche enorme Höhe für witterungsbedingte Folgekosten und die Nutzbarkeit dieses XXL-Bauwerks?“ Gleichwohl räumte er ein, dass die Köhlbrandbrücke „ein entscheidendes Infrastruktur-Projekt für unsere Stadt“ sei, und kritisierte: „Trotzdem verbummelt der Senat Jahre bis zur Entscheidung, zerstreitet sich dann in der allerletzten Woche und präsentiert nun einen halb garen und nicht zu Ende gedachten Entwurf.“
Denkmalverein Hamburg: 25.000 Unterschriften gegen Abriss der Köhlbrandbrücke
Die Umweltverbände Nabu und BUND bezeichneten den Neubau als keine sinnvolle Lösung: „Eine Brücke mit dieser Höhe wirkt politisch kurzsichtig – gerade in einer Zeit, in der die Klimakrise spürbar und die Haushalte knapp sind. Der Köhlbrand braucht eine solide, keine windanfällige Querung, die ständig gesperrt ist“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. „Ein Tunnel hätte den Vorteil, dass dieser etwa doppelt so lange hält wie eine Brücke.“ Das wies die Wirtschaftssenatorin zurück: Der Senat gehe auch für die neue Brücke von einer Lebensdauer von bis zu 100 Jahren aus.
Der Denkmalverein Hamburg forderte erneut den Erhalt der bestehenden Brücke und verwies darauf, dass eine entsprechende Online-Petition schon fast 25.000-mal unterschrieben worden sei. Die Denkmalschützer bezweifeln die Notwendigkeit eines Brückenneubaus mit einer Durchfahrthöhe von mehr als 70 Metern.