Hamburg. Behördenabstimmung endet im Eklat. Umweltsenator Kerstan (Grüne) verzögert Entscheidung. Wie es mit dem Jahrhundertprojekt weitergeht.
Der Vorgang wirft kein gutes Licht auf das Klima in der rot-grünen Landespolitik: Seit Wochen stand fest, dass der Senat am Dienstag dieser Woche eine Grundsatzentscheidung zum Bau einer neuen Köhlbrandbrücke fällen sollte. Anschließend wollte Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) die Ergebnisse in der Landespressekonferenz der Öffentlichkeit vorstellen.
Doch stattdessen kam am Dienstag um kurz vor elf Uhr die dürre Mitteilung aus der Senatspressestelle, dass die Landespressekonferenz entfalle. Auf Nachfrage erklärte Senatssprecher Marcel Schweitzer, der Senat habe sich mit der Drucksache zur Köhlbrandbrücke nicht befasst.
Warum sich Hamburg nicht auf eine neue Köhlbrandbrücke einigt
Tatsächlich hatte sich schon am Vortag abgezeichnet, dass sich die Behörden im Vorfeld nicht auf eine einheitliche Bewertung einigen konnten. Und so kam es auch: Selbst bei einer stundenlangen Krisensitzung am Montag bis in den späten Abend konnte keine Einigung erzielt werden, weil sich eine Behörde weigerte, der Drucksache ihre Zustimmung zu erteilen: die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) des grünen Senators Jens Kerstan.
Was genau im Vorfeld passiert ist, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Klar ist aber, dass selbst Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der die Geschlossenheit des Senats bei diesem für die Stadt so bedeutsamen wie auch umstrittenen Bauprojekt in Gefahr sah, keine Einigung zwischen Kerstan und der federführenden Wirtschaftsbehörde herbeiführen konnte. Die Opposition spricht schon von „Politikversagen“ und zweifelt die Handlungsfähigkeit des Senats an.
Köhlbrandbrücke: Abstimmung über Jahrhundertprojekt endet im Eklat
Mit offiziellen Stellungnahmen, wonach „letzte Rückmeldungen im Rahmen der Abstimmung der Drucksache“ noch eingearbeitet würden, versuchten die Beteiligten am Dienstag noch, die Wogen zu glätten. Da war der Eklat im Senat aber schon passiert. Und das ausgerechnet bei der Abstimmung über ein Jahrhundertprojekt, bei dem alle Welt auf die politische Entscheidung wartet.
Wie berichtet, wird nämlich seit einem Jahr erneut öffentlich über einen Ersatzbau für die 1974 eröffnete Köhlbrandbrücke diskutiert. Dass diese marode ist und schnell ersetzt werden muss, ist zwar schon seit vielen Jahren bekannt. Doch nachdem sich jahrelange Planungen zu einem Tunnel als Ersatzbauwerk als ein unkontrollierbares Kostenmonster herausgestellt hatten, zog Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard Mitte 2023 die Reißleine und ließ alle Varianten zum Bau eines Tunnels und einer neuen Köhlbrandbrücke noch einmal prüfen – spätestens damit war die Debatte erneut eröffnet.
Wirtschaftssenatorin Leonhard wollte eine rasche Entscheidung
Schon damals sprach sich Kerstan für einen Erhalt der alten, denkmalgeschützten Köhlbrandbrücke aus. Die fachliche Expertise lag aber bei der Wirtschaftsbehörde, und diese machte deutlich, dass die alte Brücke aufgrund ihres Zustands nicht erhalten werden könne.
Nach neuerlicher Untersuchung mehrerer Varianten für eine Querung des Köhlbrands legte sich Senatorin Leonhard vor drei Wochen fest: Sie plädiert für eine neue Köhlbrandbrücke mit einer Höhe von 73,5 Metern, damit auch Containerschiffe der neuesten Generation darunter hindurchpassen. Dazu wollte sie sich die Zustimmung des Senats einholen.
Senator meldet Bedenken an und fliegt in den Urlaub
Am 8. März wurde eine entsprechende Drucksache an die Behörden verschickt, mit der Bitte, bis zum 15. März etwaige Bedenken anzumelden. Alle Behörden, beispielsweise auch der grüne Verkehrssenator Anjes Tjarks, hätten sich mit ihren Anmerkungen gemeldet, hieß es aus SPD-Kreisen. Keine habe grundlegende Einwände geltend gemacht. Einzig die BUKEA habe die Frist verstreichen lassen.
Stattdessen ließ Behördenchef Kerstan am Freitag – kurz bevor er in den Urlaub nach Mallorca verschwand – mitteilen, dass er Bedenken habe, und übermittelte der Wirtschaftsbehörde ein Papier, in dem er unter anderem erneut die Frage aufwarf, ob denn wirklich der Bau einer Brücke notwendig sei und wie man denn auf die Höhe von 73,5 Metern komme. Bei den Verhandlungen auf Ebene der Staatsräte konnte bis Montagabend keine gemeinsam getragene Formulierung gefunden werden. Auch hektische Telefonate mit Mallorca brachten keinen Konsens.
Umweltbehörde spielt den Streit im Senat herunter
Die Umweltbehörde will sich zu all diesen Vorgängen nicht äußern. Sprecherin Renate Pinzke sagte lediglich: „Wir äußern uns nicht zu Drucksachen, die sich noch in der internen Behördenabstimmung befinden.“ Intern war aus der Behörde aber zu erfahren, dass die Zeit zur Abstimmung mit fünf Tagen zu kurz gewesen sei. Schließlich gehe es um eine Entscheidung für ein Jahrhundertprojekt. Im Übrigen sei es üblich, Senatsdrucksachen noch einmal zu überarbeiten.
Auch auf der Seite der Grünen hieß es, man könne die Aufregung nicht verstehen. Die neue Köhlbrandquerung sei ein Milliardenprojekt, an dem seit Jahren geplant werde – da komme es auf eine Woche mehr oder weniger nicht an, meinte eine mit dem Thema vertraute Person. Die Zeit für die Abstimmung der umfangreichen Senatsdrucksache sei mit einer Woche einfach zu knapp bemessen gewesen, zudem sei mit der Ankündigung der Entscheidung für diesen Dienstag von SPD-Seite ein unnötiger Einigungsdruck aufgebaut worden.
Grüne sind grundsätzlich für neue Köhlbrandbrücke
Ärgerlich sei das vor allem, weil das Thema zu Zeiten des früheren Wirtschaftssenators Michael Westhagemann (parteilos) verbummelt worden sei und man den ursprünglich geplanten Tunnel viel eher hätte beerdigen sollen – was dann erst dessen Nachfolgerin Melanie Leonhard (SPD), die Ende 2022 ins Amt kam, umsetzte und den Schwenk hin zu einer neuen Brücke vollzog.
Deren Bau werde von den Grünen aber voll unterstützt. „Je höher, desto besser“, hieß es aus Parteikreisen, um der SPD die Hand zu reichen. Aber man wolle sich nicht jetzt schon exakt auf die geplanten 73,5 Meter Durchfahrtshöhe festlegen, sondern diesen Wert erst mal nur als „Zielpunkt“ für die Planung nehmen, um eventuell noch auf die Entwicklung der Schiffsgrößen reagieren zu können. Viel wichtiger sei aber, nun den Bund davon zu überzeugen, dass er möglichst einen Großteil der geschätzten Kosten von rund fünf Milliarden Euro übernimmt. Denn Hamburg allein könne sich das Mammutprojekt nicht leisten.
Opposition zweifelt Handlungsfähigkeit des Hamburger Senats an
Von der Opposition gab es hingegen Spott und Häme. Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Dennis Thering, sprach von einem Desaster für Bürgermeister Tschentscher und seinen rot-grünen Senat. „Wieder Streit statt Entscheidung, wieder kommt ein für Hamburg wichtiges Infrastrukturprojekt nicht voran. Ist Rot-Grün überhaupt noch handlungsfähig? Unsere Stadt und unser Hafen brauchen einen verlässlichen Senat. Doch stattdessen wird das Projekt Köhlbrandquerung immer mehr zum Symbol eines rot-grünen Senats, der bei bedeutenden Vorhaben scheitert.“
Der Hafenexperte der Linksfraktion, Norbert Hackbusch meinte: „Die Planungen der Köhlbrandquerung werden zunehmend zu einem Desaster für die Hamburger Politik. Seit Jahren mit höchster Priorität eingestuft, verhaspelt sich der Senat schon wieder.“
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Rot-Grün mache sich mit dem endlosen Hin und Her um die Erneuerung der Köhlbrandquerung langsam lächerlich, ergänzte die FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein. „Statt jetzt auch noch öffentlich über die Höhe einer neuen Brücke zu streiten, sollte dringend Tempo in den Prozess des Neubaus gebracht werden. Dieser Senat vernachlässigt den Hafen und die Verkehrsinfrastruktur der Stadt seit Langem sträflich, vor allem zulasten der Wirtschaftsverkehre.“
Über die Drucksache soll nun in der kommenden Senatssitzung abgestimmt werden. Nach Ostern, wenn die Formulierungen auch Kerstan gefallen. „Die Wirtschaftssenatorin vertritt dabei sowohl das Interesse der Hafenwirtschaft an einer zügig geklärten Perspektive für eine neue Querung als auch das Ziel, allen Beteiligten eine informierte und gründlich vorbereitete Entscheidung zu ermöglichen“, sagte ihr Sprecher am Dienstag.