Hamburg. Das gefeierte Hamburger Start-up hat seinen Produktionsstandort gefunden. Wann es losgeht, warum eine Bäckerei eine Rolle spielt.

Da und dort liegt noch etwas Mehl auf dem Betonboden der Produktionshalle. Mehr als 40 Jahre lang wurden in ihr täglich Tausende Brötchen und Brote gebacken, jetzt steht sie leer. Doch künftig wird unter der hohen Decke der ehemaligen Großbäckerei wieder Getreide verarbeitet, genauer gesagt: Getreidereste. Aus ihnen wird das Hamburger Start-up Traceless hier in großem Stil den Grundstoff für biologisch abbaubare Verpackungen herstellen, die langlebiges Plastik ersetzen können.

„Die Produktion startet 2025“, sagt Traceless-Mitgründerin Anne Lamp beim Ortstermin mit dem Abendblatt nahe der Autobahnanschlussstelle Harburg. Bei dem lüftet das junge Unternehmen, um dessen Technologie sich große Hoffnungen ranken, das lange gehütete Geheimnis, wo genau in der Hansestadt es seine erste Fabrik errichten wird: Am früheren Standort von Backhaus Wedemann am Großmoorbogen in Neuland. „Ich freue mich sehr, dass hier wieder etwas ganz Tolles entsteht“, sagt die ehemalige Backhaus-Chefin Franziska Wedemann.

Traceless startet Produktion von Öko-Kunststoff in Hamburger Großbäckerei

Dass sie und die Traceless-Gründerinnen Anne Lamp und Johanna Baare miteinander ins Geschäft kamen, sehen die drei Unternehmerinnen als großen Glücksfall. Es war auch ein Zufall.

Franziska Wedemann hatte ihr 1888 gegründete Familienunternehmen, das vornehmlich Firmen wie Airbus und Asklepios mit Backwaren belieferte, Mitte 2022 an den Mehrheitsgesellschafter der Hamburger Bäckereikette Dat Backhus verkauft. „Bei uns war keine interne Nachfolgeregelung in Sicht, mir war wichtig, dass die 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze behalten“, sagt sie. Der neue Eigentümer übernahm die Belegschaft, demontierte die großen Backöfen. An dem zwischen einem Einrichtungshaus, einem Farbengroßhändler und einem Baumaschinenverleih gelegenen Standort mit der 4000 Quadratmeter großen Produktionshalle hatte er kein Interesse. Franziska Wedemann ließ nach einem Käufer suchen. „Es gab bereits einen ernsthaften Interessenten“, sagt sie.

Hamburger Start-up wäre fast nach Walsrode umgezogen

Was sie damals nicht wusste, war, dass Anne Lamp und Johanna Baare gleichzeitig auf der Suche nach einem Produktionsstandort in Hamburg waren, fast alle Traceless-Beschäftigten leben in der Stadt. Doch ein für die Industrieproduktion geeignetes Grundstück oder Gebäude war schwer zu finden. „Wir hatten die Hoffnung fast schon aufgegeben.“ Das beste Angebot für ihre Millioneninvestition jedenfalls lag den Gründerinnen aus Walsrode vor. Sie standen kurz davor, sich für die Kleinstadt im Heidekreis zu entscheiden.

Der entscheidende Tipp kam gerade noch rechtzeitig von einem gemeinsamen Bekannten. Er stellte den ersten Kontakt zwischen der früheren Chefin des Traditionsunternehmens und den jungen Gründerinnen her. Und wieder war ein bisschen Glück dabei. „Als er zum ersten Mal anrief, war ich gerade in einer Besprechung. Es kann passieren, dass ich einfach nicht dazu komme zurückzurufen. In diesem Fall habe ich es glücklicherweise getan“, sagt Anne Lamp.

Traceless musste erst noch das Geld besorgen

Bis der Kaufvertrag unterschrieben war, vergingen dann noch viele Monate. Traceless musste erst das Geld besorgen. Für die Übergangszeit fand sich eine Lösung, die beiden Seiten Sicherheit gab. Im vergangenen Herbst konnte Traceless schließlich bekannt geben, dass weitere Investoren eingestiegen sind und mehr als 36 Millionen Euro Kapital mitbringen. Die Kaufsumme für die ehemalige Großbäckerei bleibt ein Geheimnis. Johanna Baare, bei Traceless die Frau für die Zahlen, sagt nur so viel: „Wir sind Geschäftsfrauen und haben uns gegenseitig keine Geschenke gemacht, aber eine Lösung gefunden, die für alle Beteiligten sehr gut passt.“

Für Traceless ist der Einstieg in die Produktion ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum profitablen Unternehmen. Am aktuellen Firmensitz in einem Innovationszentrum in Buchholz/Nordheide kann mit der von der promovierten Verfahrenstechnik-Ingenieurin Lamp an der TU Hamburg entwickelten Technologie aus den Getreideresten aus Brauereien, Stärkefabriken oder Alkoholbrennereien nur sehr wenig Ökoplastik-Grundstoff produziert werden.

Wie Plastik, aber öko: Traceless hat große Chancen auf dem Markt

Es ist zwar genug, um zu testen, ob sich aus diesem Granulat zum Beispiel Versandtaschen für Otto, Essschalen und -besteck für die Lufthansa-Bordverpflegung oder Müllbeutel herstellen lassen, die genauso gut sind wie die gleichen Produkte aus herkömmlichem Kunststoff – aber anders als Plastik nach Gebrauch binnen weniger Wochen spurlos (engl. traceless) verrotten. Doch in Buchholz lässt sich bei Weitem nicht genug Ökoplastik-Grundstoff produzieren, um Kunden aus der Verpackungsindustrie zu beliefern.

In der ungleich größeren Anlage in Harburg sollen künftig pro Jahr mehrere Tausend Tonnen des Materials hergestellt werden. Es ist der Einstieg in die kommerzielle Verwertung der Technologie. „Erste Lieferverträge mit Abnehmern sind bereits unterschrieben“, sagt Johanna Baare. Die Aussichten, dass das mit dem Deutschen und dem Hamburger Gründerpreis ausgezeichnete Start-up hilft, das weltweite Plastikmüllproblem zu lindern und dabei Gewinn abwirft, sind recht gut. Die Verpackungsindustrie kann das Traceless-Material auf bereits vorhandenen Maschinen verarbeiten, muss nicht erst in neue Anlagen investieren. Und die EU ist gerade auf dem Weg zu weiteren Verboten von Einwegplastikverpackungen und -produkten.

Ehemalige Großbäckerei wird zur Ökoplastikfabrik

Am Großmoorbogen muss jetzt erst mal die ehemalige Großbäckerei hergerichtet werden. „Die Baugenehmigung liegt vor, in den nächsten Wochen soll es losgehen“, sagt Anne Lamp. Bis die von Traceless entwickelten Produktionsmaschinen geliefert und installiert sind und die Herstellung anläuft, werden viele weitere Monate vergehen.

Franziska Wedemann ist begeistert, dass aus der alten Produktionshalle für Brot und Brötchen nun eine Art Ökoplastikfabrik wird. „Es ist absolut beeindruckend, was Traceless macht“, sagt sie. Und sie ist überzeugt, dass auch ihr Vater davon angetan wäre, der Anfang der 1980er-Jahre die in einem Wohngebiet in Wilstorf gelegenen Wedemann-Backstube aufgab und auf der grünen Wiese eine moderne Großbäckerei errichten ließ.

„Unter dem Eindruck der Ölkrisen zuvor hat er schon bei der Planung des Gebäudes sehr auf Energieeffizienz geachtet. Er war aufgeschlossen für Innovationen und er hat Frauen in Führungspositionen gefördert. Der Verkauf an Traceless wäre auch seine erste Wahl gewesen, das hat mich in meiner Entscheidung bestätigt“, so Wedemann. Als Vorsitzende des Wirtschaftsvereins für den Hamburger Süden weiß sie inzwischen: Das Start-up war vor der Standortentscheidung eines der begehrtesten Unternehmen bei Wirtschaftsförderern im ganzen Norden.

Hamburgerinnen planen Produktion von Öko-Kunststoff in ganz großem Stil

Schon jetzt allerdings ist klar, dass die Demonstrationsanlage am Großmoorbogen für Traceless ein Zwischenschritt sein soll. Das mittel- bis langfristige Ziel ist der Aufbau einer wirklich großen Produktion im industriellen Maßstab mit einer sehr viel größeren Kapazität. Harburg würde dann zum Standort für die Weiterentwicklung der Technologie werden, heißt es.

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Für eine solche Großfabrik werden Anne Lamp und Johanna Baare weitere Finanzierungsrunden und viele weitere Millionen Euro von Investoren und Banken benötigen. Und ein schätzungsweise 30.000 Quadratmeter großes Grundstück in einem Industriegebiet. Es dürfte erneut ein heftiges Gerangel der Wirtschaftsförderer im Norden um Traceless geben.