Hamburg. Wie Plastik, aber öko: Start-up entwickelt biologisch abbaubares Produkt. Warum die Lösung von Traceless Investoren begeistert.

Anne Lamp geht es so wie vielen im zweiten Jahr der Pandemie: Sie arbeitet immer noch überwiegend von zu Hause, kommuniziert viel in Videokonferenzen. Beim Gespräch mit dem Abendblatt streicht bisweilen Katze Molly durch das Bild. Trotz der Corona-Einschränkungen hat die promovierte Verfahrenstechnik-Ingenieurin vor einigen Monaten den Sprung von der Technischen Universität Hamburg (TUHH) in die Selbstständigkeit gewagt und gemeinsam mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Johanna Baare die gemeinsame Firma Traceless gegründet.

Lösung für weltweites Plastikproblem

Traceless ist englisch und heißt spurlos. Auch die Internetpräsenz traceless.eu des Start-ups ist komplett in Englisch gehalten. All das signalisiert: Hier ist eine Firma, die international ins Geschäft will. Tatsächlich hat Anne Lamp an der Hamburger Hochschule in Harburg ein Verfahren entwickelt, das ein weltweit bestehendes Problem lösen könnte. Die Verschmutzung der Umwelt durch Plastikmüll.

Traceless ist eines dieser Ökotech-Start-ups, die sich mit biologisch abbaubaren Materialien beschäftigen, die die gleichen Eigenschaften wie Kunststoffe haben. Wie Plastik, aber öko. Das Versprechen von Traceless geht noch weiter: Wir haben ein Material, das tatsächlich auch dann in kurzer Zeit spurlos verschwindet, wenn es am Straßenrand liegt oder ins Meer schwappt, so das Start-up.

„Biologisch abbaubar“ hat viele Tücken

„Was heute an sogenanntem Öko-Plastik auf dem Markt ist, lässt sich nicht oder nur in industriellen Großanlagen rückstandsfrei kompostieren. Unser Material verrottet auch im Garten“, erklärt die 30-Jährige den Unterschied. Tatsächlich verbieten Entsorgungsunternehmen wie die Hamburger Stadtreinigung es, Öko-Plastikverpackungen in der grünen Biomülltonne zu entsorgen, obwohl die Hersteller von Kaffeekapseln oder Gemüseverpackungsfolie behaupten, diese seien biologisch abbaubar.

Das stimmt zwar zumeist, funktioniert aber eben nicht in den Kompostmieten der Stadtreiniger. Gartenabfälle und Gemüse zerfallen in ihnen binnen weniger Wochen zu Kompost. Doch in dem finden sich dann immer noch Reste von nicht verrottetem Öko-Plastik. Es dauert lange bis es von Bakterien abgebaut ist.

Investoren steigen mit Millionen ein

Mit dem Traceless-Material läuft derzeit ein Test bei der Stadtreinigung im Kompostwerk Bützberg bei Tangstedt. „Nach fünf Wochen Kompostierung haben wir nur einige sehr kleine holzartige Teile gefunden, von denen sich aber nicht mehr feststellen ließ, ob es ursprünglich unser Material war“, sagt Anne Lamp. Ob die Entsorgungsexperten dieses Ergebnis ebenso gut finden wie sie selbst, wird sie allerdings erst erfahren, nachdem sie der Stadtreinigung die Ergebnisse präsentiert hat. Investoren sind bereits auf das junge Unternehmen und seine weltweit zum Patent angemeldete Technologie aufmerksam geworden.

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Der Hightech Gründer Fonds, Planet A aus Hamburg von Jimdo-Mitgründer Fridtjof Detzner, und das Tech-Beteiligungsunternehmen b.value haben in einer ersten Finanzierungsrunde gemeinsam eine Millionensumme in Traceless investiert. „Einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag“, sagt Anne Lamp. Mehr wollen die Investoren nicht preisgeben. Bei der Verleihung des Future Hamburg Award der Hansestadt am Donnerstag belegten die Gründe­rinnen hinter dem bereits vielfach aus­gezeichneten Luftqualitäts-Start-up Breeze den zweiten Platz.

Kennengelernt haben sich die Verfahrenstechnikerin Lamp, die bis heute nebenbei an der TUHH angehende Doktorandinnen und Doktoranden betreut, und die Wirtschaftsexpertin und Mitgründerin Johanna Baare, in einem Start-up-Förderprogramm. „Wir sind danach in Kontakt geblieben. Und als ich bereit zur Gründung war, war sie die perfekte Gründungspartnerin“, erzählt Anne Lamp.

Traceless kann mehr als andere

Wie beim Hamburger Öko-Start-up Biolutions sind auch bei Traceless Pflanzenreste der Ausgangsstoff für das Material – und zwar nur solche Reste, die sich nicht mehr als Nahrung für den Menschen eignen. Biolutions nutzt zum Beispiel Stroh oder Tomatenpflanzen, um daraus Obst- und Gemüseschalen oder Einweggeschirr herzustellen. Noch in diesem Jahr soll in Schwedt an der Oder (Brandenburg) die Produktion in großem Maßstab starten.

Traceless dagegen nutzt etwa die Reste von in Brauereien, Stärkefabriken oder Ethanol-Raffinerien bereits verarbeitetem Getreide. Daraus entsteht ein Granulat, aus dem auf herkömmlichen Kunststoffverarbeitungsmaschinen Verpackungsfolie oder Besteck hergestellt werden kann. Wie Plastik, aber öko und zudem tatsächlich leicht und schnell spurlos kompostierbar. Die dritte Möglichkeit ist eine wasser- und fettabweisende Beschichtungsflüssigkeit. Traceless produziert ein Grundmaterial, aus dem bei anderen Unternehmen Produkte entstehen, etwa Löffel, die hart wie Plastik sind. Biolutions dagegen produziert die Produkte selbst, kann aber bislang aus Pflanzenresten zum Beispiel keine haltbaren Suppenlöffel fertigen.

Was machen die Traceless-Gründer besser? Anne Lamp mag diese Frage nicht. Schon deshalb nicht, weil es zur Firmenphilosophie gehört, nicht schlecht über andere Unternehmen in der Branche zu reden, die das gleiche Ziel verfolgen. „Wir verstehen uns nicht als Konkurrenten, weil wir alle an unterschiedlichen Produkten arbeiten“, sagt sie. „Wir können uns aber ergänzen.“ Die Traceless-Beschichtung aus Pflanzenresten könnte Biolutions-Teller aus Pflanzenresten gegen Flüssigkeit abdichten.

Bald startet die eigene Fabrik

Seit der Gründung vor neun Monaten ist das Traceless-Team auf mittlerweile zwölf Köpfe angewachsen. Produziert wird das Granulat derzeit in kleinerem Maßstab im ISI-Innovationszentrum in Buchholz (Nordheide). Dort fahren dann und wann Lastwagen vor, die zum Beispiel die Gerstenreste aus einer Brauerei zum Schweinefutterhersteller transportieren, um ein bisschen von ihrer Fracht bei Traceless abzuliefern. Demnächst wird es eine eigene, noch kleinere Produktionsanlage geben.

Im Homeoffice bei Anne Lamp und Johanna Baare wird derweil viel am nächsten wichtigen Schritt für ihr Unternehmen geplant: Einer eigenen, großen Granulatfabrik. „Bei einer Fertigung im industriellen Maßstab können wir zu einem Preis produzieren, der mit herkömmlichem Kunststoffgranulat konkurrenzfähig ist“, sagt die Entwicklerin.

Der Preis wird konkurrenzfähig sein

Der Standort und viele Details zur Fabrik sind noch offen. Aber natürlich soll die Energie allein aus erneuerbaren Quellen stammen und in drei Jahren könnte die Produktion bereits laufen. Das zumindest ist der Plan. In den Tagen vor der Verleihung des Future Hamburg Awards waren die beiden Gründerinnen mit einem Antrag an die EU beschäftigt. Europa soll 2,5 Millionen Euro für die Traceless-Fabrik geben.