Hamburg. Vor Ostern soll der favorisierte Ersatzbau vorgestellt werden. Welche Ideen bereits vom Tisch sind, welche Variante die Nase vorne hat.
Die Köhlbrandbrücke bewegt die Menschen in Hamburg. Die Liste der Vorschläge darüber, welche Variante das marode Bauwerk im Hafen zukünftig ersetzen soll oder mit welchen Methoden es gar erhalten werden kann, ist inzwischen fast so lang wie die Brücke selbst. Im Juni des vergangenen Jahres hatte Hamburgs Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) angekündigt, die zur Wahl stehenden Alternativen bis Anfang dieses Jahres prüfen zu lassen.
Die Prüfung ist fast abgeschlossen. Nun werden die Kosten noch einmal bewertet. Noch vor Ostern sollen die Ergebnisse vorgestellt werden, verbunden mit einem Vorschlag der Wirtschaftssenatorin. Vor dem Sommer 2024 soll es dann so weit sein, dass eine Entscheidung getroffen werden kann.
Köhlbrandquerung: Neue Brücke hat die größten Chancen
Wird die marode Brücke durch einen großen Bohrtunnel ersetzt, den die Hamburg Port Authority seit mehr als fünf Jahren geplant hat, oder kommt ein neues Brückenbauwerk? Oder versucht man die alte Köhlbrandbrücke zu erhalten, wie es fast 23.000 Unterzeichner einer Petition des Hamburger Denkmalvereins fordern? Das Abendblatt dokumentiert, welche Varianten noch im Rennen sind und wie ihre Erfolgsaussichten stehen.
Für einen großen Bohrtunnel sind die Pläne am weitesten. Es liegt eine abgeschlossene Vorplanung vor. Es geht um zwei Röhren auf einer Länge von 1748 Metern unter dem Köhlbrand. Dazu zwei Tunnelbauwerke für die Zufahrt, einem auf der Westseite mit 309 Meter Länge und einem im Osten mit 350 Metern. Hinzu kämen vier offene Trogbauwerke mit einer Gesamtlänge von mehr als 600 Metern.
Der geplante Außendurchmesser der zwei Röhren liegt bei 16,50 Meter. Die Fahrbahnbreite soll je Richtung 10,50 Meter betragen – zuzüglich eines beidseitigen Randstreifens von einem Meter. Die Fahrbahnhöhe wird mit 4,50 Meter angegeben. Den Raum unter der Fahrbahnplatte wollten SPD und Grüne ursprünglich für automatische Containertransportsysteme nutzen. Als die Kosten aus dem Ruder liefen, einigte man sich auf Radwege.
Köhlbrandquerung: Tunnelkosten steigen astronomisch
Der Vorteil dieser Variante ist: Es gibt schon Planungen, die aus der Schublade geholt werden könnten und an denen die weitere Bauplanung nahtlos anknüpfen könnte. Bei einem Tunnel spielt außerdem keine Rolle, wie hoch die Schiffe sind, die den Köhlbrand passieren, auch wenn der Tiefgang trotzdem nicht unbeschränkt ist. Manche Akteure im Hafen bevorzugen diese Variante, weil sie dann leichter mit ihren Schiffen planen könnten.
Doch Tunnel sind teuer, egal wie sie technisch gebaut werden. 2020 war von Kosten in Höhe von 5,31 Milliarden Euro die Rede – seitdem sind die Baukosten und die Inflation deutlich gestiegen. Die realistischen Kosten für einen Tunnel dürften heute viel höher liegen, als der Senat seinerzeit prognostiziert hatte. Tunnel verbrauchen außerdem viel Platz und bereiten oft zahlreiche Probleme, die erst während des Baus auftauchen.
Die Chancen für eine Realisierung dieser Variante stehen auf Gelb (mittel). Senatorin Leonhard hatte die Planungen im Januar 2023 angehalten, nachdem sie im Dezember 2022 die Leitung der Wirtschaftsbehörde übernommen hatte, und vor einer endgültigen Entscheidung eine gründliche Prüfung aller Alternativen verlangt.
Köhlbrandquerung: Abgespeckter Tunnel als mögliche Variante
Einen abgespeckten Tunnel hatte Leonhard im vergangenen Jahr ins Spiel gebracht. Dabei soll das gesamte Bauwerk eine Nummer kleiner ausfallen. Wird der Durchmesser des Tunnels verringert, muss nicht so tief unter dem Köhlbrand gegraben werden. Dadurch könnten auch die Rampen verkürzt werden.
Der Vorteil dieser Planung ist: Eine abgespeckte Variante dürfte günstiger werden als der ursprünglich geplante Tunnel. Sie behielte aber alle grundsätzlichen Vorteile eines Tunnels gegenüber einer Brücke. Nachteil: Hier besteht nicht viel mehr als die Idee. Anders als bei der großen Tunnellösung kann also nicht sofort nach einer Entscheidung mit den Bauvorbereitungen begonnen werden, sondern es müsste erst eine detaillierte Vorplanung erstellt werden, bevor überhaupt das Plangenehmigungsverfahren begonnen werden könnte.
Aufgrund der geringeren Kosten stehen die Chancen nach Informationen des Abendblatts aus den beteiligten Behörden, zwischen Gelb und Grün. Anders gesagt: Wenn es doch ein Tunnel würde, dann dürfte die Planung auf jeden Fall anders aussehen als noch im vergangenen Jahr.
Neue Köhlbrandbrücke ist eine Variante
Denkbar ist nach wie vor auch, dass die Querung des Köhlbrands auch künftig über eine Brücke erfolgt. Wegen des weiter südlich gelegenen, modernen Containerterminals Altenwerder und dem Green Energy Hub, einem Hafenteil, in dem künftig laut Hafenentwicklungsplan des Senats Energieträger umgeschlagen werden sollen, müsste die Brücke aber deutlich höher sein als die heutige. Anstatt von 53 Metern wird nun mit einer Durchfahrthöhe von 74 Metern geplant, damit auch die Containerschiffe der neuesten Generation darunterpassen.
Nach Einschätzungen von Experten dürfte der Bau einer Brücke günstiger sein als der Bau eines Tunnels, auch wenn die ursprünglich errechneten 2,51 Milliarden Euro wegen der Inflation heute zu niedrig angesetzt wären. Auch der Ressourcenaufwand wäre deutlich geringer und man könnte mit weniger Problemen in der Bauphase rechnen. Nachteil: Im Gegensatz zu einem Tunnel ist eine Brücke witterungsanfälliger. Ihre Lebensdauer dürfte mindestens 30 Prozent kürzer sein als die eines Bohrtunnels.
Dennoch dürfte diese Variante die größten Erfolgsaussichten haben. In Zeiten knapper Haushalte kommt weder der Hamburger Senat noch die Bundesregierung, die sich zur Hälfte an den Baukosten beteiligen will, am Kostenargument vorbei. Der mutmaßlich niedrigere Preis spricht für eine Brücke. Auch hier stehen die Chancen zwischen Gelb und Grün, aber näher bei Grün.
Zwei-Brücken-Modell für den Köhlbrand?
Als neue Variante wurde vom ehemaligen Präsidenten des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, Gunther Bonz, einer uralten Überlegung folgend das Zwei-Brücken-Modell ins Spiel gebracht. Die Köhlbrandbrücke, wie wir sie kennen, bliebe stehen und würde künftig den Pkw-Verkehr über den Köhlbrand aufnehmen. Daneben würde eine Ersatzbrücke gleicher Höhe für den Schwerlastverkehr gebaut.
Der dauerhafte Erhalt der alten Brücke sei zu teuer, wenn man auch ein neues Bauwerk errichten und unterhalten müsse, heißt es aus der Wirtschaftsbehörde. Auch wenn die alte Köhlbrandbrücke stillgelegt würde, müsste sie noch verkehrssicher sein, solange sie betreten wird. Damit fielen alle Kosten zum Unterhalt nach wie vor an.
Boden trägt keine zwei Brücken
Die Fundamente für eine weitere Brücke direkt neben den bisherigen Bauflächen in den Boden zu verankern, sei außerdem technisch wegen der erforderlichen Traglast des Bodens kaum möglich, sagen Ingenieure – dann würde eines der beiden Brückenbauwerke nicht stabil stehen.
Es gibt nur wenige Alternativen für den Standort einer Querung, denn die Flächen im Hafen sind für Containerterminals vergeben. Und der Verlauf der Autobahn 7, für die ein Anschluss benötigt würde, ist auch fix. Die Realisierung dieser Idee steht auf Rot. Sie hat keine Chance.
Alte Brücke plus Tunnel – ist das realistisch?
Auch folgende Variante wurde ins Gespräch gebracht: eine Entscheidung für den Bau eines Tunnels bei gleichzeitigem Erhalt der Köhlbrandbrücke als Denkmal. Doch auch hier hat die Wirtschaftsbehörde wegen der gewaltigen Kosten abgelehnt.
Auch bei dieser Variante gibt es technische Vorbehalte. Einen Tunnel unter den gewaltigen Fundamenten der alten Brücke zu graben, gilt als ausgeschlossen. Die Chancen auf eine Realisierung stehen auf Rot (aussichtslos).
Eine Entscheidung wird im Senat fallen. Die Köhlbrandbrücke wird im Wirtschaftsressort verantwortet, weil sie im Hafen liegt und die Hamburg Port Authority, die den Hafen verwaltet, zur Wirtschaftsbehörde gehört. Weil es um ein großes Bauwerk und Verkehrsinfrastruktur geht, sind aber beispielsweise auch die Stadtentwicklungs- und die Verkehrsbehörde am Rande betroffen. Auch die Finanzbehörde dürfte angesichts der zu erwartenden Kosten für den Landeshaushalt ein Wort mitzureden haben.
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Selbst wenn die Entscheidung innerhalb der nächsten zwei Wochen fallen sollte, dürfte die bisherige Köhlbrandbrücke noch viele Jahre in Betrieb sein. Weil jede der denkbaren Varianten überhaupt erst noch im Detail geplant und finanziert werden muss und die Planungen durch den langwierigen Genehmigungsprozess hindurchmüssen, ist ein Baubeginn erst zwischen Anfang und Mitte der 2030er-Jahre realistisch. Senatsvertreter hatten von einem „Jahrhundertbauwerk“ gesprochen. Die Entscheidung steht bevor.