Hamburg. HPA-Chef Jens Meier und Reeder Nikolaus H. Schües arbeiten auf internationaler Ebene an einem großen Ziel. Doch es gibt Widerstände.

Die Schifffahrt steht vor einer großen Herausforderung: Bis 2050 muss die Flotte von etwa 62.000 Schiffen, die täglich rund um den Globus unterwegs sind, klimaneutral sein. Doch auf einen einheitlichen Weg dahin können sich die Schifffahrt betreibenden Staaten nicht einigen. Stattdessen gibt es viele Einzelaktionen und die Politik der kleinen Schritte.

Ausgerechnet zwei Hamburger haben sich jetzt auf die Fahnen geschrieben, der internationalen Branche bei der Verfolgung ihrer Klimaziele Beine zu machen. Sie tun es qua Amtes: Der eine ist Präsident des Verbandes der Welthäfen, der andere Präsident der weltgrößten Schifffahrtsorganisation, BIMCO (Baltic International Maritime Council), die 66 Prozent der Weltflotte vertritt.

Hamburg: Wie die Schifffahrt doch noch klimaneutral werden will

Die beiden spielen in der maritimen Branche Hamburgs seit Längerem eine führende Rolle: Jens Meier ist seit 16 Jahren Vorsitzender der Geschäftsführung der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA). Nikolaus H. Schües ist Miteigentümer und Geschäftsführer der renommierten Hamburger Reederei F. Laeisz. Jetzt wollen sie gemeinsam der Nachhaltigkeit mehr Geltung verschaffen. Absprachen erfolgen auf dem kurzen Dienstweg. Ihre Büros sind nur wenige Steinwürfe voneinander entfernt.

Das Containerschiff „HMM Hamburg“ kommt in Hamburg an. Die Schifffahrt ist für 2,5 Prozent der klimaschädlichen Gase verantwortlich. Wie sie davon wegkommt ist immer noch offen.
Das Containerschiff „HMM Hamburg“ kommt in Hamburg an. Die Schifffahrt ist für 2,5 Prozent der klimaschädlichen Gase verantwortlich. Wie sie davon wegkommt ist immer noch offen. © IMAGO/Nikito | IMAGO stock

Bei der UN-Klimakonferenz in Dubai im vergangenen Dezember, sind Meier und Schües schon als Tandem aufgetreten. An diesem trüben Winternachmittag sitzen sie gemeinsam im Aufsichtsratszimmer der HPA und erläutern dem Abendblatt exklusiv, wie sie ihrem Anliegen mehr Aufmerksamkeit verschaffen wollen.

Häfen sollen Wegbereiter der Energiewende werden

„Vielen Menschen ist die Tragweite der Dekarbonisierung noch gar nicht bewusst“, sagt Meier. „Sie denken, dass wir die Schiffe grüner machen müssen, was ja auch stimmt. Aber eigentlich geht es auch um die Dekarbonisierung der gesamten Wirtschaft, wobei die Schifffahrt eine herausragende Rolle spielt, nämlich als Transporteur nicht fossiler Kraftstoffe wie Ammoniak. Wir brauchen Häfen und Schiffe als Wegbereiter der Energiewende.“

Die Schifffahrt könne die Leuchtturmbranche der Dekarbonisierung werden, glaubt auch Schües. „Wir müssen diese enorme Aufgabe als Chance begreifen, dann schaffen wir es auch. Das liegt zum einen daran, dass wir im Verhältnis zu anderen Verkehrsträgern schon relativ klimafreundlich sind. Die Schifffahrt emittiert durchschnittlich 40 Gramm CO₂, wenn sie eine Tonne eine Meile weit transportiert. Zum Vergleich: Sie emittieren 80 Gramm, wenn sie eine Meile weit joggen. Zum anderen sind wir eine international regulierte Branche: Das bedeutet: Wenn der Regulator, also die Internationale Maritime Organisation (IMO) Vorschriften zur Emission erlässt, sind sie Gesetz und gelten überall auf der Welt, es kommt nicht zu Wettbewerbsverzerrungen.“

Nicht alle Staaten finden den Klimawandel schlimm

Drittens sei die Branche gegenüber externen Kosten relativ unempfindlich. „Das hat sich während der Corona-Krise gezeigt. Obgleich die Transportpreise extrem anstiegen, hatte das kaum Auswirkungen auf die Nachfrage. Ob ein Turnschuh 20 oder 35 Cent mehr kostet wegen des Transports, ändert nichts an der Kaufentscheidung.“

Der Wille zur notwendigen Umkehr sei in der Branche da, meint Schües. Das Problem seien eher die 175 Mitgliedstaaten, die in der IMO organisiert sind. Die hätten völlig unterschiedliche Interessen, die derzeit kaum unter einen Hut zu bringen seien. „Nicht alle Staaten halten den Stopp des Klimawandels für notwendig. Andere fürchten steigende Transportpreise.“

Gegner der Dekarbonisierung können nicht überstimmt werden

Das sei der wesentliche Unterschied zwischen der Industrie und der Politik. „In den Schifffahrtsverbänden spielen Gegner der Dekarbonisierung kaum eine Rolle. Sie werden einfach überstimmt. In der IMO geht das nicht.“

Um den Druck auf die Mitgliedstaaten zu erhöhen, sind Schifffahrt und Häfen in ihren Bemühungen zusammengerückt: „Die Häfen spielen bei dem Vorhaben eine ganz entscheidende Rolle. Deshalb haben wir uns mit weiteren Schifffahrtsorganisationen und der IMO zusammengetan, um die Dynamik zu erhöhen“, sagt Meier.

Weniger CO₂: Schiffe schleichen über die Meere

Immerhin hat die IMO bereits drei Daten zur schrittweisen Reduktion der Treibhausgase beschlossen: Diese sollen bis 2030 im Vergleich zu 2008 um mindestens 20 Prozent und bis 2040 um 70 Prozent gesenkt werden, um die Schifffahrt bis 2050 klimaneutral zu machen.

„Das Ziel für 2030 ist erreichbar“, sagt Schües. Die Weltflotte habe bereits große Fortschritte bei der Absenkung ihrer Treibhausgase gemacht. 2008 hat die Schifffahrt noch 1,1 Milliarden Tonnen emittiert. 2020 waren es 880 Millionen Tonnen. „Das lag an der Drosselung der Geschwindigkeit auf See von 21 auf 16 bis 17 Knoten (von 40 auf 30 Kilometer pro Stunde). So konnten deutliche Einsparungen erzielt werden. Jetzt wächst die Flotte zwar wieder und damit die Gesamtemission der Branche, aber gleichzeitig lässt sich die Effizienz der Schiffe weiter steigern.“

Noch gibt es nicht den Kraftstoff der Zukunft

Deutlich schwieriger sei es, die Hürde bis 2040 zu erklimmen, glaubt der Hamburger Reeder und Verbandsfunktionär.. „Da ist es dann nicht mehr möglich, die notwendige Reduktion der Treibhausgase allein mit Effizienzsteigerung und Geschwindigkeitsdrosselung zu erreichen.“ Dafür benötige die Industrie alternative Kraftstoffe, die nach wie vor sowohl in ihrer Verfügbarkeit als auch in ihrer Distribution noch gar nicht sichergestellt seien.

Die „Ane Maersk“ ist das erste große Containerschiff, das mit grünem Methanol betrieben Hamburg anlaufen wird.
Die „Ane Maersk“ ist das erste große Containerschiff, das mit grünem Methanol betrieben Hamburg anlaufen wird. © Maersk | Maersk

„Es wird darüber nachgedacht, die alten Maschinen weiterzunutzen, aus denen der Kohlenstoff herausgefiltert wird, das nennt man Carboncapture. Es wird daran gedacht, in einigen Jahrzehnten die Schifffahrt auf Nuklearantriebe umzustellen. Und es wird im großen Stil bereits daran gearbeitet, alternative Treibstoffe auf Wasserstoffbasis einzusetzen.“

Getreidefelder müssen für Schiffstreibstoffe geopfert werden

Wasserstoff selbst sei schwer zu lagern und zu transportieren, weil es nur mit Minus 253 Grad Celsius im flüssigen Zustand gehalten werden könne. „Also ist es sinnvoller, den Wasserstoff mit einem anderen Molekül zu verbinden.“ Zwei kommen laut Schües infrage: „C“ also Kohlenstoff und „N“ also Stickstoff. „Wenn wir Wasserstoff mit Kohlenstoff verbinden, erhalten wir Methanol. Allerdings setzt Methanol bei der Verbrennung Kohlenstoff frei. Dann könnte man genauso gut mit einem fossilen Brennstoff weiterfahren“, sagt Schües.

Klimaneutral werde Methanol erst, wenn der Kohlenstoff aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt würde. „Die Technik ist möglich, der Transport ist einfach, die Maschinen können es gut verbrennen. Es gibt nur einen großen Nachteil“, sagt Schües. „Methanol ist nicht wirklich skalierbar. Denn um die Menge zu liefern, die für den Betrieb der 62.000 Schiffe auf der Welt benötigt wird, bedarf es nicht nur einiger Soja-Felder am Amazonas. Um das herzustellen, bedarf es gewaltiger landwirtschaftlicher Anbaugebiete.“ Um massenweise Methanol zu produzieren, müssten also im großen Stil Getreide- und Futtermittelfelder umgewidmet werden. Das könne und wolle nicht jedes Land.

Atomfrachter sind wieder in der Diskussion

Das andere Molkühl ist Stickstoff. Unsere Atemluft besteht zu 70 Prozent aus Stickstoff. Es ist also reichlich verfügbar. Die Alternative, nämlich Wasserstoff im großen Stil mit Stickstoff zu Ammoniak zu verbinden, hat auch hohe Hürden: „Es ist zwar giftig, stinkt und braucht minus 30 Grad um flüssig zu bleiben. Viele Marktteilnehmer glauben aber, dass Ammoniak eine große Rolle spielen wird – und das sehe ich genauso.“

„Am Ende werden verschiedene Lösungen zum Einsatz kommen. Es ist auch möglich, dass langfristig Nuklearfrachter wieder eine Rolle spielen können.“ Atomschiffe? In Korea und Japan wird schon fleißig an dieser Alternative gebastelt. Wer das nicht will, muss auf Wasserstoff setzen.

Noch viele Hürden für klimaneutrale Schifffahrt

Aber gibt es genügend neue wasserstoffbasierte Treibstoffe für alle? Fakt sei, dass die Schifffahrt die benötigten Mengen kaufen könne, weil sie eben insgesamt gesehen nicht besonders kostensensitiv sei, sagt Schües. Das falle anderen Industrien an Land deutlich schwerer. Um das 2040er-Ziel bei den Treibhausgasreduktionen zu erreichen, seien zwar noch erhebliche Anstrengungen zu unternehmen, es bedürfe ja einer technologischen Transformation der Weltflotte.

„Und es hängt maßgeblich vom Regulator, also der IMO ab, ob wir gemeinsam das Ziel erreichen – die Industrie ist dazu bereit. Wenn das geschafft ist, wird die dritte Hürde, 2050 komplett klimaneutral zu sein, kein Problem mehr darstellen. Skalierung ist dann nur noch ein kleiner Schritt.“

Spitzentreffen in Hamburg geplant

Wie stellen sich die Häfen darauf ein? „In Hamburg bereiten wir uns derzeit auf beide Lösungen vor und haben das Ziel, spätestens 2027 fertig zu sein“, sagt Meier. „Das Unternehmen Mabanaft zum Beispiel baut bereits die entsprechenden Anlagen hier, um Ammoniak zu lagern und mittels Cracker wieder in Wasserstoff umzuwandeln.“ Die Firma Evos bereite sich auf den Umschlag von Methanol vor. „Am Ende bin auch ich gespannt, welcher Treibstoff sich durchsetzt.“ Die Motorenindustrie teste die Herstellung von Maschinen, die beides verbrennen können.

„Das Besondere ist, dass wir aus Hamburger Sicht die Chance haben, der IMO unser Wissen bereitzustellen und unseren Einfluss geltend zu machen, dass uns diese Transformation gelingt. Wir arbeiten derzeit auch an einem einheitlichen Index, um die Schiffe hinsichtlich ihrer Umweltstandards in allen Häfen gleich zu bewerten. Da haben einige Länder noch Nachholbedarf.“

Weitere Wirtschaftsthemen

Inzwischen hätten aber alle verstanden, dass es nicht sinnvoll sei, wenn jeder seine eigenen Standards und Programme entwickele. Meier ist voller Tatendrang: „Wir wollen die Zeit der doppelten Präsidentschaft nutzen, um mit einer Sprache zu sprechen und gemeinsam bei der IMO in London aufzutreten. Übrigens, das nächste gemeinsame Treffen wird es bereits in wenigen Wochen in Hamburg geben.“