Hamburg. Insolvenzverwalter spricht von „sehr komplexem Geflecht von Unternehmen“. Jurist prüft, wo angekündigte Steuerrückerstattungen sind.

Nicht nur die Zahl ist bemerkenswert. Auch die Liste der Unternehmen, die in den vergangenen Wochen Insolvenz angemeldet haben. Die Warenhaus-Ketten Galeria Karstadt Kaufhof und KaDeWe Group, Modemarken wie Taschenhersteller Bree oder Herrenausstatter Wormland sind darunter, und die Signa-Gruppe des österreichischen Investors René Benko.

Da ist fast untergegangen, dass auch das Hamburger Start-up ExpressGroup kurz vor Weihnachten beim Amtsgericht der Hansestadt Insolvenzantrag eingereicht hat. Als vorläufiger Insolvenzverwalter wurde Marc-André Borchert von der SBL Rechtsanwaltsgesellschaft bestellt. Kerngeschäft der ExpressGroup ist die Steuerplattform ExpressSteuer, die Kunden eine besonders einfache Abwicklung der jährlichen Steuererklärungen bei hohen Rückerstattungen verspricht.

Start-up ExpressSteuer insolvent – Kunden bangen um ihr Geld

Was für viele Menschen offenbar eine äußerst verlockende Idee war, könnte richtig teuer werden. Denn Ungewissheit besteht, was aus den 30 Millionen Euro Kapital wird, die das Gründerteam bei Investoren eingesammelt hatte. Zudem ist unklar, ob und wann die Kunden an noch ausstehende Steuerrückerstattungen kommen. Nach Abendblatt-Informationen haben sich erste Mandanten juristischen Beistand gesucht. Zuerst hatte das Branchenportal Business Insider berichtet.

Aber von Anfang an: „Ich habe ein sehr komplexes Geflecht von Unternehmen vorgefunden“, beschreibt Insolvenzverwalter Borchert die Situation auf Abendblatt-Anfrage. Seit fast zwei Monaten sei er mit der „Aufdeckung der internen Prozesse beschäftigt“. Die Lage ist kompliziert, auch weil zur ExpressGroup zwei weitere inzwischen insolvente Firmen gehören: die ExpressGroup Services GmbH und die FlexTaxForce.

Gründer hatten 30 Millionen Euro bei Investoren eingesammelt

Geschäftliche Verquickungen gibt es zudem mit der BB Steuerberatungsgesellschaft im niedersächsischen Grasberg, deren Steuerberater offenbar die Steuererklärungen erstellt und der ExpressGroup in Rechnung gestellt haben. Auch diese Gesellschaft hat am 29. Januar Insolvenzantrag gestellt.

Beobachter wundern sich, wie es dazu kommen konnte. ExpressSteuer war 2019 von damals vier Gründern gestartet worden. Bei der Kundenakquise gingen die Jungunternehmer eher unkonventionelle Wege und warben verstärkt in sozialen Medien wie Instagram und TikTok. In der Corona-Zeit bot ExpressSteuer von Kurzarbeit Betroffenen zeitweise statt einer 20-Prozent-Provision einen Festpreis von 49 Euro. Die Zahl der registrierten Kunden stieg schnell und soll zuletzt Berichten zufolge bei bis zu 200.000 gelegen haben. Anfang 2022 verkündete Geschäftsführer Maximilian Graf Lambsdorff, Spross der bekannten Familie und damals 26 Jahre alt, in Interviews Umsätze von knapp 35 Millionen Euro und hohe Wachstumsziele.

Insolvenzverwalter sucht Käufer für ExpressGroup

Im vergangenen Jahr war es still um das vermeintliche Vorzeige-Start-up geworden. Im August hatte Graf Lambsdorff auf dem Jobportal LinkedIn nach Mitmietern für die Firmenzentrale in der HafenCity gesucht.

Klar ist, dass den ExpressGroup-Gründern das Geld ausging und die Investoren nicht bereit waren, etwas nachzuschießen. Am 12. Dezember beantragte das Unternehmen Insolvenz. Der Geschäftsbetrieb läuft offiziell weiter. Neue Kunden werden allerdings aktuell nicht aufgenommen. Die 60 Beschäftigten erhalten für einen Zeitraum von drei Monaten Insolvenzgeld. Wie es dann für sie weitergeht, ist offen. Insolvenzverwalter Borchert ist auf der Suche nach einem Käufer für die ExpressGroup und arbeitet dafür auch mit den beiden verbliebenen Geschäftsführern Maximilian Graf Lambsdorff und Dennis Konrad zusammen.

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„Es gibt zahlreiche Interessenten und wir führen Gespräche“, sagte Borchert dem Abendblatt. Ziel sei die langfristige Fortführung des Unternehmens. Dabei ist er in enger Abstimmung mit seinem Kollegen Hans-Joachim Berner von der Kanzlei WillmerKöster mit Sitz in Verden und Hamburg, der als vorläufiger Insolvenzverwalter der BB Steuerberatungsgesellschaft bestellt wurde. Eine von dessen wichtigsten Aufgaben ist zu erklären, wo die von den Finanzämtern zurückerstatteten Gelder der ExpressSteuer-Kunden sind.

ExpressSteuer-Kunden haben Rechtsanwalt engagiert

Auf der Facebook-Seite der Firma machen zahlreiche Betroffene aus ganz Deutschland ihrer Wut und Empörung Luft. „Das war ‘ne Lachnummer. Am 6.1.2023 eingereicht. Ein ganzes Jahr gewartet. Und jetzt bekomm ich nur ’ne Mail mit Mandatsniederlegung“, schreibt einer. In einem anderen Post warnt ein Kunde. „Vorsicht, Betrug! Solltet ihr eine offene Steuererklärung bei ExpressSteuer haben, dann meldet euch schnellstmöglich bei eurem Finanzamt.“

Wo die Rückerstattungen sind, will auch der Dortmunder Rechtsanwalt Falk-Christian Barzik wissen. Er vertritt nach eigenen Angaben inzwischen zehn Mandanten, die ihre Steuererklärung über die App ExpressSteuer haben machen lassen und jetzt auf Geld warten. „Wenn es gut gelaufen ist, liegen die Gelder auf einem Treuhandkonto“, so Barzik gegenüber dem Abendblatt. Als sogenanntes Anderkonto wäre es pfändungssicher und im Insolvenzfall wären diese Gelder nicht Teil der Insolvenzmasse. Der Jurist hat inzwischen den ersten Testlauf für einen Mandanten gestartet, um die ihm zustehende Rückerstattung zu bekommen. Ergebnis offen.