Hamburg. Ausgerechnet wegen der Kurzarbeit müssen viele Hamburger vermutlich nachzahlen. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wegen der Corona-Pandemie haben gut 17.000 Hamburger Betriebe im vergangenen Jahr für ihre Beschäftigten Kurzarbeit angemeldet. Allein im April waren mehr als 200.000 Arbeitnehmer davon betroffen. Auf viele von ihnen kommt jedoch in diesem Jahr eine Steuernachzahlung zu.

Wie Beispielrechnungen des Bundes der Steuerzahler zeigen, kann es dabei durchaus um Beträge von mehr als 700 Euro gehen.

Kurzarbeitergeld ist steuerfrei – trotzdem droht Nachzahlung

Zwar ist das Kurzarbeitergeld selbst steuerfrei. Aber bei der nachträglichen Berechnung des prozentualen Steuersatzes für 2020 wird es als Einkommensbestandteil mit berücksichtigt. Damit ergibt sich häufig wegen der sogenannten Progression ein höherer Steuersatz, der auf das reguläre Gehalt angewendet wird und so zu einer Nachzahlung führt. Entgehen kann man der Nachprüfung kaum: Wer mehr als 410 Euro Kurzarbeitergeld erhalten hat, muss eine Steuererklärung abgeben.

Bestrebungen aus der CDU und der FDP, die Progression für 2020 auszusetzen, erteilte die Bundesregierung eine Absage. Die Steuergerechtigkeit spreche dagegen, Kurzarbeitergeld isoliert zu begünstigen, hieß es aus dem Finanzministerium von Olaf Scholz (SPD).

IG Metall fordert Sonderregelung für Steuerjahre 2020 und 2021

Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste, empfindet aber gerade die aktuelle Situation als ungerecht. „Wir brauchen für die Steuerjahre 2020 und 2021 eine Sonderregelung, die Beschäftigte davor schützt, Nachzahlungen leisten zu müssen“, sagt Friedrich: „Es darf nicht sein, dass man Unternehmen wegen der Corona-Krise steuerlich besserstellt, aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch zusätzlich belastet.“

Laut Thomas Eigenthaler, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, kann sich für Kurzarbeiter in manchen Fällen jedoch sogar eine Steuererstattung ergeben. Ehepaare könnten unter Umständen eine Nachzahlung abwenden, wenn sie sich ausnahmsweise getrennt veranlagen lassen.

In einigen Fällen droht sogar eine doppelte Belastung

Diesen Satz haben zweifellos unzählige Menschen schon einmal gesagt: „Mir graut davor, die Steuererklärung zu machen.“ Aber die Hamburgerin Nina Krohn hat einen besonderen Grund für diese Aussage. Denn es ist nicht einfach die lästige Bürokratie, vor der die Justizangestellte zurückschreckt: „Wir werden wohl vom Finanzamt ordentlich zur Kasse gebeten werden.“ Sie rechnet mit einer Steuernachzahlung zwischen 800 und 1200 Euro. Und das liegt an der Corona-Krise: Nina Krohns Ehemann, der beim Hamburger Fußball-Verband beschäftigt ist, war im vorigen Jahr rund neun Monate in Kurzarbeit.

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Im Fall von Nina Krohn schlägt dieser Effekt sogar doppelt durch, weil sie nach der Geburt des zweiten Kindes im vorigen Jahr Elterngeld bezogen hat – und hierfür gilt das Gleiche wie für das Kurzarbeitergeld. „Es wird eine Herausforderung für uns, die Nachforderung zu bezahlen“, sagt Krohn. „Wir werden wohl Verwandte fragen müssen, ob sie uns aus der Klemme helfen können.“

Kurzarbeiter vor Steuernachzahlung: die wichtigsten Anworten

Steuernachzahlungen werden auf sehr viele Kurzarbeiter zukommen. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie viele Menschen sind oder waren in Hamburg in Kurzarbeit?

In Hamburg waren im April und Mai 2020 nach Angaben der Agentur für Arbeit in der Spitze rund 200.000 Menschen in Kurzarbeit – ungefähr jeder fünfte Beschäftigte in der Stadt. Bundesweit lag der Höchststand mit knapp sechs Millionen Menschen im April. Damit erreichte die Kurzarbeiterquote 17,9 Prozent. Im November (neuere Zahlen liegen nicht vor) waren es 6,7 Prozent. Selbst dieser Wert übertrifft noch den Kurzarbeiter-Höchststand der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 von 1,44 Millionen Menschen, entsprechend 5,2 Prozent im Mai 2009.

Wer muss eine Steuererklärung abgeben und bis wann?

Viele der rund 26 Millionen sogenannten Normalarbeitnehmer in Deutschland sind nicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet. Etwa die Hälfte dieser Personen reicht sie freiwillig ein. Wer aber Nebeneinkünfte von mehr als 410 Euro im Jahr kassiert hat, muss eine Steuererklärung abgeben – zu diesen Nebeneinkünften zählt auch das Kurzarbeitergeld.

Reicht man die Formulare selbst ein, endet die Frist für das Einkommensjahr 2020 am 2. August 2021. Beauftragt man einen Lohnsteuerhilfeverein oder einen Steuerberater, hat man noch Zeit bis zum 28. Februar 2022. „Vielen der Betroffenen ist diese Pflicht nicht bewusst, man geht davon aus, dass Kurzarbeitergeld ja steuerfrei ist“, sagt dazu Dennis Konrad, Geschäftsführer des Hamburger Start-ups ExpressSteuer, das eine Online-Steuererklärung in nur fünf Minuten verspricht.

Wonach richtet sich, ob eine Steuernachzahlung fällig wird?

Das hängt von mehreren Faktoren ab – vor allem davon, wie lange die Kurzarbeit dauerte und ob jemand in Monaten, für die er Kurzarbeitergeld bezogen hat, teilweise auch gearbeitet hat. Es spielt aber auch eine Rolle, welche Ausgaben man steuerwirksam absetzen kann und ob jemand zusammen mit dem Ehepartner eine gemeinsame Steuererklärung abgibt oder nicht.

Wie errechnet sich die Steuerbelastung für Kurzarbeiter?

Weil die tatsächliche Steuerbelastung von etlichen individuell unterschiedlichen Sachverhalten abhängt, kann hier nur beispielhaft gezeigt werden, wie sich der sogenannte Progressionsvorbehalt über das Kurzarbeitergeld auf den Steuersatz auswirkt.

Hätte es kein Kurzarbeitergeld gegeben, dann würde ein Arbeitnehmer, der 2020 ein zu versteuerndes Einkommen von 30.000 Euro erzielte, bei einem Steuersatz von 16,97 Prozent insgesamt 5091 Euro an den Fiskus abführen.

Erhielt der Beschäftigte im Jahr 2020 zusätzlich 6000 Euro Kurzarbeitergeld vom Staat, wurde ihm in den monatlichen Gehaltsabrechnungen insgesamt auch nicht mehr abgezogen, denn die Sozialleistung ist ja an sich steuerfrei.

Aber: Bei der Berechnung des endgültigen Steuersatzes wird das Kurzarbeitergeld mit einbezogen. Und aus dem Einkommen von nun 36.000 Euro ergibt sich ein höherer Steuersatz („Progression“) von 19,4055 Prozent. Wird dieser erhöhte Steuersatz auf das Einkommen von 30.000 Euro angewendet, ergibt das eine Steuerlast von 5821 Euro – also 730 Euro mehr als ohne Kurzarbeitergeld. Diese Differenz holt sich der Fiskus in diesem Jahr als Nachzahlung.

Wie hoch kann eine Steuernachzahlung ausfallen?

Pauschal lässt sich das nicht beantworten, es hängt vom Einzelfall ab. Experten empfehlen aber, etwa 15 Prozent des Kurzarbeitergeldes für etwaige Steuernachzahlungen beiseitezulegen. Generell müssen hauptsächlich Personen, die verkürzt gearbeitet haben und ihr Gehalt im selben Monat mit Kurzarbeitergeld aufgestockt bekamen, Nachzahlungen befürchten.

Wer kann mit einer Steuererstattung rechnen?

Wie der Bund der Steuerzahler (BdSt) vorgerechnet hat, gibt es durchaus auch Fälle, in denen der Fiskus den Beziehern von Kurzarbeitergeld im vorigen Jahr zu viel Einkommensteuer abgezogen hat, so dass diese Beschäftigten nach Abgabe ihrer Steuererklärung mit einer Erstattung vom Finanzamt rechnen können. Das kann nach Angaben des BdSt vor allem dann vorkommen, wenn jemand für einige Monate zu 100 Prozent in Kurzarbeit („Kurzarbeit 0“) war und in den übrigen Monaten regulär gearbeitet hat.

Warum lässt die Bundesregierung eine Mehrbelastung zu?

Zwar hatte die FDP im Sommer 2020 gefordert, dass Lohnersatzleistungen, die im Zusammenhang mit der Corona-Krise stehen, nicht dem Progressionsvorbehalt unterliegen sollen. Dieser Vorstoß blieb aber erfolglos. Wie das Bundesfinanzministerium dazu schreibt, werde mit dem Progressionsvorbehalt „der verfassungsrechtlich gebotene Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sichergestellt“.

Schließlich erhöhe das bezogene Kurzarbeitergeld diese Leistungsfähigkeit. Aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) kann dieses Prinzip jedoch gerade bei Beschäftigten mit niedrigem Einkommen – etwa in der Gastronomie – zu einer „untragbaren Mehrbelastung“ führen. Das gelte vor allem dann, wenn das Kurzarbeitergeld nicht durch den Arbeitgeber aufgestockt werde.

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„Wer mit dem Kurzarbeitergeld erhebliche Einkommenseinbußen hinzunehmen hat, soll nicht auch noch mit Steuernachzahlungen zu kämpfen haben“, sagte DGB-Vorstand Stefan Körzell dazu: „Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Koalition Millionen Beschäftigte, die Kurzarbeitergeld erhalten, im Regen stehen lässt.“ Dennis Konrad geht allerdings davon aus, dass sich an der Rechtslage auch in diesem Jahr nichts ändert: „Man müsste dazu wohl eine komplette Steuerreform auf den Weg bringen.“

Wie wird das Kurzarbeitergeld in der Steuererklärung erfasst?

Das Kurzarbeitergeld ist in der Lohnsteuerbescheinigung, die man vom Arbeitgeber erhält, aufgeführt (Zeile 15). In den Steuererklärungsbögen ist die „Lohnersatzleistung“ in der Anlage N, Zeile 28, einzutragen.

Lohnt sich eine Steuererklärung gleich noch für frühere Jahre?

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts für 2016 – neuere Daten liegen nicht vor – ergibt sich, dass von den rund 13,7 Millionen Menschen, die damals in Deutschland eine Steuererklärung abgaben, zwölf Millionen eine Erstattung erhielten. Sie betrug im Schnitt 1027 Euro – die Mühe kann sich also durchaus lohnen. Selbst für 2017 kann man noch bis zum 31. Dezember 2021 die Steuerformulare einreichen, sofern es sich um eine freiwillige Steuererklärung handelt.

Wer hilft bei der Steuererklärung?

Wer sich nicht selbst an die Arbeit machen möchte, kann sich an einen Lohnsteuerhilfeverein wenden. Dem Bundesverband dieser Vereine zufolge liegt der durchschnittliche Jahresbeitrag bei 150 Euro. Zumindest teilweise kann er als Steuerberatungskosten abgesetzt werden. Steuerberater sind in der Regel teurer. Ihr Honorar richtet sich nach einer Gebührenordnung. Für eine Einkommensteuererklärung über Einkünfte von 30.000 Euro kann man mit rund 280 Euro rechnen.

„Steuerberater sind derzeit aber meist total überlastet, weil sie unter anderem mit der Beantragung von Corona-Hilfen für Unternehmen beschäftigt sind“, sagt Konrad. Neben ExpressSteuer haben sich in den vergangenen Jahren etliche Apps oder Online-Steuerprogramme etabliert, die eine erhebliche Arbeitserleichterung und zum Teil höhere Rückerstattungen versprechen.

Dazu gehören unter anderem smartsteuer.de, lohnsteuer-kompakt.de oder steuerfuchs.de, die häufig um die 30 Euro verlangen. ExpressSteuer berechnet speziell Kurzarbeitern 49 Euro, lässt die Steuererklärung dafür aber über ein Hamburger Steuerberatungsbüro einreichen. Damit gilt die spätere Abgabefrist (28. Februar 2022), was Vorteile für Kurzarbeiter haben kann, so Konrad: „Wer 500 oder 600 Euro nachzahlen muss, möchte das vielleicht möglichst lange hinauszögern.“