Hamburg. Äpfel, Beeren, Peperoni: Bei dem Start-up reifen in Gärkolben und Holzfässern besondere Sorten – von fruchtig bis scharf.
Immer der Nase nach. Der Tipp ist schon mal gut. Durch das Treppenhaus zieht ein leichter Geruch von Essig. Frederik Pavlik und Julia Bärenfaller sind mit ihrer Manufaktur Booze & Essig in einem Gewerbebau in der Nähe von Diebsteich untergekommen. Noch bevor sich die Tür zur Kreativstation in der ersten Etage öffnet, ist der Weg klar. Auf einem großen Tisch in dem loftartigen Raum blubbert es in Gärballons von groß bis klein, an den Wänden lagern Edelstahlkanister und Holzfässer. „Das sind unsere Produkte, in unterschiedlichen Varianten und Stadien“, sagt der Hamburger Koch und Gastronom, der zuletzt vier Jahre das Restaurant Marta in Ottensen betrieben hat.
Alles Essig. Dabei denkt man eher an große Tanks, immer gleiche Flaschen im Supermarktregal und mehr oder weniger scharfen Einheitsgeschmack. Bei Booze & Essig ist das anders. Die Gründer der einzigen Essig-Manufaktur Hamburgs wollen die Deutschen auf Entdeckungstour zu unbekannten Geschmackserlebnissen schicken. „Wir finden, dass Essig als Nahrungsmittel zu wenig geschätzt und anerkannt ist“, sagt Frederik Pavlik. Im vergangenen Jahr haben er und seine Partnerin, die gerade in der Schweiz arbeitet, die ersten Testläufe gemacht. Jetzt wollen sie richtig durchstarten.
Gastronomie Hamburg: Paar eröffnet einzige Essig-Manufaktur Hamburgs
Inzwischen gibt es fünf Essigsorten von Booze & Essig, mit ziemlich ungewöhnlichen Namen wie Beete, Wiese oder Beere. Geschmack: von erdig-fruchtig über krautig-vollmundig bis beerig-buschig. Dabei immer ungefiltert. Klingt abgehoben? Vielleicht, aber es ist schon sehr überraschend, was sich auf der Basis von gegorenen Fruchtextrakten alles machen lässt. Inzwischen verkaufen Pavlik und Bärenfaller ihre Produkte unter anderem in der Hobenköök im Oberhafenquartier, in der Alten Schmiede und im Fachl in Ottensen. Demnächst auch über den eigenen Onlineshop. „Außerdem haben wir Anfragen von Restaurants“, sagt der Essigbrauer.
Aber erst mal zum Anfang: Die Geschäftsidee hatte nämlich mit einem Rückschlag begonnen. Gastronom Pavlik, der in Hamburg unter anderem im Sternelokal Petit Amour am Herd stand, war in seinem 2020 eröffneten Lokal Marta am Spritzenplatz wegen eines Wasserschadens zu einer siebenmonatigen Zwangspause verdonnert. Das war vor gut einem Jahr. Statt Trübsal zu blasen, nutzten er und seine Geschäfts- und Lebenspartnerin Julia Bärenfaller, eine ausgebildete Wein-Sommelière, die Zeit für einen kulinarischen Weiterbildungstripp in Skandinavien.
Wasserschaden im Restaurant, Gastronomen machen kulinarische Fortbildung
Nachdem es bei Besuchen in Restaurants und Manufakturen in Dänemark und Schweden zunächst um die Herstellung von Naturweinen gegangen war, entstand der Plan, die selbst herstellten Fruchtweine oder Cider als Basis für eine eigene Essig-Produktion zu nutzen. „Wein und Essig sind wie Geschwister“, sagt Frederik Pavlik und erinnert sich an seine Zeit in Wien. Der heute 33-Jährige hatte als junger Koch vor einigen Jahren in einem Sterne-Restaurant in der österreichischen Hauptstadt gearbeitet und war oft auf dem Naschmarkt. „Dort gab es damals schon einen Bauern, der eigene Essige angeboten hat.“
Die erste Idee war, maßgeschneiderte Essige für das eigene Restaurant zu kreieren. Das Prinzip des Fermentierens ist schon länger ein Trend in der Gastroszene, weil durch die natürlichen Gärungsprozesse neue Geschmäcker entstehen. Im niedersächsischen Jork etwa gibt es seit einiger Zeit eine kleine Essigmanufaktur. Die Hamburger Gründer besorgten sich gebrauchte Gärballons und weiteres Equipment. Äpfel, Quitten und Birnen holten sie von Obstbauern im Alten Land und von Initiativen wie Das Geld hängt an den Bäumen oder Heckenretter. Anfangs setzten sie ihre Geschmackskreationen noch in ihrer Küche in Bahrenfeld an. „Wir waren total überrascht, wie gut die ersten Ergebnisse waren“, sagt Pavlik. Er nennt es „lebendig“.
Essig aus der Manufaktur: Faktoren Luft und Zeit
Allerdings braucht man neben dem Wissen über die Prozesse vor allem Geduld. Denn es kann schon bis zu einem Jahr dauern, bis ein Essig so ist, wie die Manufaktur-Gründer ihn sich vorstellen. „Viel hängt an den Faktoren Luft und Zeit“, sagt Frederik Pavlik. Zudem entwickelt das Gastronomenpaar immer wieder neue Ansätze, um weitere Geschmacksnuancen herauszukitzeln. Vor einigen Monaten ist die Manufaktur in das Gewerbegebiet am Rand von Eimsbüttel umgezogen. Inzwischen ist der Platz auch hier knapp, und der nächste Umzug steht an. „Wir suchen noch passende Räume.“
Seit Anfang dieses Jahres konzentrieren sich die Booze & Essig-Gründer komplett auf die Manufaktur. Das Restaurant Marta, benannt nach Pavliks Großmutter, ist seit Ende 2023 geschlossen. „Das Projekt war für vier Jahre geplant, und die sind vorbei“, erklärt der Koch, der nach seiner Ausbildung in Nordrhein-Westfalen schon in Israel, Wien, Südafrika und Japan gearbeitet hat. Jetzt soll es mit dem neuen Unternehmen weitergehen.
Essig gilt als gut für den Körper
Wichtig ist ihm, dass bei Booze & Essig – der Name ist vom Englischen „booze“ abgeleitet, was Trinken oder Zechen bedeutet – nicht um zusammengemischte Essig-Erzeugnisse geht. „Wir machen einen lebendigen Essig aus puren Fruchtsäften. Das schmeckt nicht nur besser, sondern ist auch gut für den Körper.“ Unter anderem haben Studien gezeigt, dass Essig Blutzuckerwerte senken kann. „Unseren Essig kann man für Limonaden, Longdrinks und natürlich zum Verfeinern von Speisen nutzen“, sagt Gründer Pavlik. Sogar pur schmeckt der Essig aus Hamburg.
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Aktuell gibt es fünf Sorten: AQB (für Apfel-Quitte-Birne), Beete, Beere, Wiese und Rauchpepper in zwei Größen mit 100 Millilitern in einer Art Flachmann-Flasche für 5,50 Euro und 250 Millilitern für zehn bis 13 Euro je nach Sorte. Bislang haben die Gründer ihre Essige vor allem auf Märkten verkauft und über spezielle Händler. Außerdem gibt es Kooperationen für kleinere Mengen von Fruchtwein, wie zuletzt mit dem Start-up Klaar Fruchtfermente aus Kneese in Mecklenburg für einen Rhabarber-Boskop-Cider.
Gastronomie Hamburg: Paar eröffnet neue Essig-Manufaktur
Noch ist die neue Essig-Manufaktur nicht profitabel. Aber das soll sich in diesem Jahr ändern. In den nächsten Monaten sollen weitere Vertriebspartner und Abnehmer dazukommen. Dabei setzt Gastronom Pavlik vor allem auf das Interesse von Restaurants. Es gebe bereits zahlreiche Gespräche „Was wir machen, ist Pionierarbeit“, sagt der Essigbrauer. Das Ziel: Essig als Grundnahrungsmittel so bekannt zu machen, dass mehr Menschen es ganz selbstverständlich in ihre Ernährung einbauen.